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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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und Weite weltbewegender Gedanken schwingen sie sich kaum auf. Sie haben
sie eben noch nicht gewonnen, die halbe Welt, und was sie gethan haben, ge¬
schah durch Ideen, die von der alten Welt ausgingen; weltbewegende Gedanken
sind bis jetzt noch nicht aus der neuen Welt gekommen. Die Denkweise hier
in der neuen Welt mit ihrer ewigen Glücksjagd ist zu banausisch, als daß
sie für die Welt erlösend wirken könnte.

Wir verließen das kleine Eichendickicht und traten hinaus auf die Jn-
depeudenee-Avenue, die prächtigste Villenstraße, die ich je in der alten und neuen
Welt gesehen habe. Mit siegcsgewissem Lächeln deutete mein Führer, als er
mein Staunen über diese Prachtstraße sah, ans all die ausgebreitete Herrlich¬
keit hin, als wenn er sagen wollte: "Alles das ist für euch da, ihr braucht
nur zuzugreifen. Wozu da noch zurück uach der alten Welt?"

Es war ein märchenhaft schönes Landschaftsbild, das dn vor mir lag.
Welche überschwengliche Freigebigkeit des Raumes, welche Breite der Fahr-
und Fußwege! Alles machte den Eindruck der Wohlhabenheit und Vornehm¬
heit. Zu beiden Seiten lagen weit ausgebreitet wohlgepflegte englische Parks
mit herrlichen Terrassen und Schattengängen, freien Wiesengründen und hohen
Baumgruppen, und darin Schlösser und Villen mit Springbrunnen und Teichen,
in denen sie sich spiegelten. Dabei hat diese prachtvolle Straße fast überall
Fernsichten hinab in das weite Missourithal. Sie begrenzt den l^erabhnng
einer der Hochebnen, und nußer ihrer breiten Anlage selbst wirkt großartig
der prachtvolle panoramaartige Hintergrund.

Durch diese Straße an einem Sommermorgen zu gehen, wie ich es nachher
öfter that, ist ein herrlicher Genuß. Hier weht balsamische frische Luft, weit
unten liegt die graubraune Dunstschicht mit dem fernen Gewühl der Stadt,
deren Lärm nicht zu uns dringen kann. Über uns ist klarer, blauer Himmel,
und die Glocken der Kühe und Schafe auf den Parkwiesen lassen uns vollends
vergessen, daß wir uns in einer Stadt befinden. Daran mahnt uns höchstens
der elektrische oder der Kabelomnibus oder der aus seinem Zweirade vorbei¬
sausende Stadtbriefträger oder an der Straßenecke die Apotheke mit ihren
großen, bunten Krystallflaschen im Schaufenster und ihrem marmornen Soda¬
wassergehäuse, wo der Spaziergänger für fünf Cents zwanzig Pfennige)
ein erfrischendes Glas Sodaercam in zierlichen, uickelstrahlenden Krhstallgläsern
bekommt. Strahlend und siegesgewiß lacht einen diese ganze Welt an, als
wollte sie sagen: "Das ist erst der Anfang, das erste Jahrhundert unsrer
Zivilisation; was werdet ihr erst am Ende des nächsten Jahrhunderts von
diesem Bilde sagen!"

Treten wir in eins dieser Häuser an der Jndependeuee-Avenue, so stimmt
alles, was der kunstsinnige Baumeister, den man von Europa hatte kommen
lassen, im Innern entworfen hat, harmonisch zum Äußern: da sehen wir wirk¬
liche, prächtige Arkaden, da glänzen Säulenkapitäle weiß und golden, die


und Weite weltbewegender Gedanken schwingen sie sich kaum auf. Sie haben
sie eben noch nicht gewonnen, die halbe Welt, und was sie gethan haben, ge¬
schah durch Ideen, die von der alten Welt ausgingen; weltbewegende Gedanken
sind bis jetzt noch nicht aus der neuen Welt gekommen. Die Denkweise hier
in der neuen Welt mit ihrer ewigen Glücksjagd ist zu banausisch, als daß
sie für die Welt erlösend wirken könnte.

Wir verließen das kleine Eichendickicht und traten hinaus auf die Jn-
depeudenee-Avenue, die prächtigste Villenstraße, die ich je in der alten und neuen
Welt gesehen habe. Mit siegcsgewissem Lächeln deutete mein Führer, als er
mein Staunen über diese Prachtstraße sah, ans all die ausgebreitete Herrlich¬
keit hin, als wenn er sagen wollte: „Alles das ist für euch da, ihr braucht
nur zuzugreifen. Wozu da noch zurück uach der alten Welt?"

Es war ein märchenhaft schönes Landschaftsbild, das dn vor mir lag.
Welche überschwengliche Freigebigkeit des Raumes, welche Breite der Fahr-
und Fußwege! Alles machte den Eindruck der Wohlhabenheit und Vornehm¬
heit. Zu beiden Seiten lagen weit ausgebreitet wohlgepflegte englische Parks
mit herrlichen Terrassen und Schattengängen, freien Wiesengründen und hohen
Baumgruppen, und darin Schlösser und Villen mit Springbrunnen und Teichen,
in denen sie sich spiegelten. Dabei hat diese prachtvolle Straße fast überall
Fernsichten hinab in das weite Missourithal. Sie begrenzt den l^erabhnng
einer der Hochebnen, und nußer ihrer breiten Anlage selbst wirkt großartig
der prachtvolle panoramaartige Hintergrund.

Durch diese Straße an einem Sommermorgen zu gehen, wie ich es nachher
öfter that, ist ein herrlicher Genuß. Hier weht balsamische frische Luft, weit
unten liegt die graubraune Dunstschicht mit dem fernen Gewühl der Stadt,
deren Lärm nicht zu uns dringen kann. Über uns ist klarer, blauer Himmel,
und die Glocken der Kühe und Schafe auf den Parkwiesen lassen uns vollends
vergessen, daß wir uns in einer Stadt befinden. Daran mahnt uns höchstens
der elektrische oder der Kabelomnibus oder der aus seinem Zweirade vorbei¬
sausende Stadtbriefträger oder an der Straßenecke die Apotheke mit ihren
großen, bunten Krystallflaschen im Schaufenster und ihrem marmornen Soda¬
wassergehäuse, wo der Spaziergänger für fünf Cents zwanzig Pfennige)
ein erfrischendes Glas Sodaercam in zierlichen, uickelstrahlenden Krhstallgläsern
bekommt. Strahlend und siegesgewiß lacht einen diese ganze Welt an, als
wollte sie sagen: „Das ist erst der Anfang, das erste Jahrhundert unsrer
Zivilisation; was werdet ihr erst am Ende des nächsten Jahrhunderts von
diesem Bilde sagen!"

Treten wir in eins dieser Häuser an der Jndependeuee-Avenue, so stimmt
alles, was der kunstsinnige Baumeister, den man von Europa hatte kommen
lassen, im Innern entworfen hat, harmonisch zum Äußern: da sehen wir wirk¬
liche, prächtige Arkaden, da glänzen Säulenkapitäle weiß und golden, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/50>, abgerufen am 23.11.2024.