Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
!^N>'5UM coiila!

beruft sich dann ans mancherlei geschichtliche Beispiele, namentlich innerhalb
der römisch-katholischen Kirche, wie das Streben nach Wahrheit gerade durch
die Kirche bekämpft und gehindert wurden sei. Durch die Kirche allerdings
und im Namen der Religion. Aber nicht die Religion war es, die dem
Wahrheitstriebe, als mit ihr unverträglich, entgegentreten müszte, sondern
Herrschsucht, Fanatismus, Kurzsichtigkeit und Eigensinn, die sich hinter dem
undurchdringlichen Schilde der Unfehlbarkeit göttlicher Gebote und Offen¬
barungen verbargen -- die waren es, die den Kampf gegen die Wahrheit
führten --, menschliche Schwächen und Niedrigkeiten, die so recht unsrer tie¬
rischen Natur angehören. Freilich, damit verträgt sich das Wesen der Wahr¬
heit nicht, aber damit verträgt sich das Wesen der wahren Religion ebenso
wenig. "Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten wollen, die müssen ihn im
Geist und in der Wahrheit anbeten" -- in diesem Worte Christi ist das Wesen
der Religion in der edelsten und erhabensten Weise ausgedrückt.

Als Antwort auf die geschichtlichen Beispiele unsrer Gegner könnten wir
sogar einen geschichtlichen Gegenbeweis bringen. Wenn man uns den un¬
bedingten Wert der Wahrheit zugestand, so geschah es doch mit dem Zusätze,
die Religion, der Glaube sei eS nicht, den wir zu ihrer Erfassung bedürften;
die Wahrheit beruhe ja nur im Denken, sei nur im Denken erreichbar, man
möge also die Forderung des Glaubens lieber in die des Denkens umwandeln.
Nun sagt Feuerbach einmal nicht unzutreffend von Hegel, er habe seiner Zeit
den kategorischen Imperativ: Denkt! zugerufen. Seine Zeit hat ihn gehört
und beherzigt, aber wohin hat uus die Denkvergötterung, zu der die "Hegelei"
schließlich ausartete, geführt? Die in unsrer Zeit vorzugsweise den Wert des
Denkens gegenüber dem Glauben betonen, die Anhänger der induktiven Me¬
thode, die werden die letzten sein, solchen Ergebnissen zuzustimmen. Oder, wenn
wir uns um hundert Jahre zurückdenken, wann war die Parole "Denkt!"
energischer gegen den Glauben ausgerufen, als von der französischen Anfklü-
rnng, von den Encyklopädisten! Zunächst entwickelte sich daraus der Sensua¬
lismus, und dann, als das Volk begann, seine Folgerungen zu ziehen, die
Revolution. Man soll sich freilich hüten, nach den äußerstem Folgerungen, die
aus einer Lehre oder einem Grundsatz gezogen werden können, ihren Wert
oder Unwert zu beurteilen; immerhin aber dürfen wir diese Erwägungen geltend
machen gegen die entsprechenden Angriffe der Freidenker auf die Religion.

Nun werden wir aber die ungeduldige Frage hören, was wir denn
eigentlich wollen? Was nach unsrer Ansicht die Religion leisten könne für
freie Geistesentwicklung? Wie sie den geistigen Mängeln unsrer Zeit entgegen¬
arbeiten könne? Wir haben im Verlaufe unsrer Betrachtungen zuweilen statt
Religion das Wort Glauben gebraucht, gegenüber dem Denken, das Wissen
und Erfahrung zum Zweck hat. Wir fürchten nicht, daß man dieses viel
mißbrauchte und mißdeutete Wort wie so oft mit einem mitleidigen Achsel-


!^N>'5UM coiila!

beruft sich dann ans mancherlei geschichtliche Beispiele, namentlich innerhalb
der römisch-katholischen Kirche, wie das Streben nach Wahrheit gerade durch
die Kirche bekämpft und gehindert wurden sei. Durch die Kirche allerdings
und im Namen der Religion. Aber nicht die Religion war es, die dem
Wahrheitstriebe, als mit ihr unverträglich, entgegentreten müszte, sondern
Herrschsucht, Fanatismus, Kurzsichtigkeit und Eigensinn, die sich hinter dem
undurchdringlichen Schilde der Unfehlbarkeit göttlicher Gebote und Offen¬
barungen verbargen — die waren es, die den Kampf gegen die Wahrheit
führten —, menschliche Schwächen und Niedrigkeiten, die so recht unsrer tie¬
rischen Natur angehören. Freilich, damit verträgt sich das Wesen der Wahr¬
heit nicht, aber damit verträgt sich das Wesen der wahren Religion ebenso
wenig. „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten wollen, die müssen ihn im
Geist und in der Wahrheit anbeten" — in diesem Worte Christi ist das Wesen
der Religion in der edelsten und erhabensten Weise ausgedrückt.

Als Antwort auf die geschichtlichen Beispiele unsrer Gegner könnten wir
sogar einen geschichtlichen Gegenbeweis bringen. Wenn man uns den un¬
bedingten Wert der Wahrheit zugestand, so geschah es doch mit dem Zusätze,
die Religion, der Glaube sei eS nicht, den wir zu ihrer Erfassung bedürften;
die Wahrheit beruhe ja nur im Denken, sei nur im Denken erreichbar, man
möge also die Forderung des Glaubens lieber in die des Denkens umwandeln.
Nun sagt Feuerbach einmal nicht unzutreffend von Hegel, er habe seiner Zeit
den kategorischen Imperativ: Denkt! zugerufen. Seine Zeit hat ihn gehört
und beherzigt, aber wohin hat uus die Denkvergötterung, zu der die „Hegelei"
schließlich ausartete, geführt? Die in unsrer Zeit vorzugsweise den Wert des
Denkens gegenüber dem Glauben betonen, die Anhänger der induktiven Me¬
thode, die werden die letzten sein, solchen Ergebnissen zuzustimmen. Oder, wenn
wir uns um hundert Jahre zurückdenken, wann war die Parole „Denkt!"
energischer gegen den Glauben ausgerufen, als von der französischen Anfklü-
rnng, von den Encyklopädisten! Zunächst entwickelte sich daraus der Sensua¬
lismus, und dann, als das Volk begann, seine Folgerungen zu ziehen, die
Revolution. Man soll sich freilich hüten, nach den äußerstem Folgerungen, die
aus einer Lehre oder einem Grundsatz gezogen werden können, ihren Wert
oder Unwert zu beurteilen; immerhin aber dürfen wir diese Erwägungen geltend
machen gegen die entsprechenden Angriffe der Freidenker auf die Religion.

Nun werden wir aber die ungeduldige Frage hören, was wir denn
eigentlich wollen? Was nach unsrer Ansicht die Religion leisten könne für
freie Geistesentwicklung? Wie sie den geistigen Mängeln unsrer Zeit entgegen¬
arbeiten könne? Wir haben im Verlaufe unsrer Betrachtungen zuweilen statt
Religion das Wort Glauben gebraucht, gegenüber dem Denken, das Wissen
und Erfahrung zum Zweck hat. Wir fürchten nicht, daß man dieses viel
mißbrauchte und mißdeutete Wort wie so oft mit einem mitleidigen Achsel-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215581"/>
          <fw type="header" place="top"> !^N&gt;'5UM coiila!</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1740" prev="#ID_1739"> beruft sich dann ans mancherlei geschichtliche Beispiele, namentlich innerhalb<lb/>
der römisch-katholischen Kirche, wie das Streben nach Wahrheit gerade durch<lb/>
die Kirche bekämpft und gehindert wurden sei. Durch die Kirche allerdings<lb/>
und im Namen der Religion. Aber nicht die Religion war es, die dem<lb/>
Wahrheitstriebe, als mit ihr unverträglich, entgegentreten müszte, sondern<lb/>
Herrschsucht, Fanatismus, Kurzsichtigkeit und Eigensinn, die sich hinter dem<lb/>
undurchdringlichen Schilde der Unfehlbarkeit göttlicher Gebote und Offen¬<lb/>
barungen verbargen &#x2014; die waren es, die den Kampf gegen die Wahrheit<lb/>
führten &#x2014;, menschliche Schwächen und Niedrigkeiten, die so recht unsrer tie¬<lb/>
rischen Natur angehören. Freilich, damit verträgt sich das Wesen der Wahr¬<lb/>
heit nicht, aber damit verträgt sich das Wesen der wahren Religion ebenso<lb/>
wenig. &#x201E;Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten wollen, die müssen ihn im<lb/>
Geist und in der Wahrheit anbeten" &#x2014; in diesem Worte Christi ist das Wesen<lb/>
der Religion in der edelsten und erhabensten Weise ausgedrückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1741"> Als Antwort auf die geschichtlichen Beispiele unsrer Gegner könnten wir<lb/>
sogar einen geschichtlichen Gegenbeweis bringen. Wenn man uns den un¬<lb/>
bedingten Wert der Wahrheit zugestand, so geschah es doch mit dem Zusätze,<lb/>
die Religion, der Glaube sei eS nicht, den wir zu ihrer Erfassung bedürften;<lb/>
die Wahrheit beruhe ja nur im Denken, sei nur im Denken erreichbar, man<lb/>
möge also die Forderung des Glaubens lieber in die des Denkens umwandeln.<lb/>
Nun sagt Feuerbach einmal nicht unzutreffend von Hegel, er habe seiner Zeit<lb/>
den kategorischen Imperativ: Denkt! zugerufen. Seine Zeit hat ihn gehört<lb/>
und beherzigt, aber wohin hat uus die Denkvergötterung, zu der die &#x201E;Hegelei"<lb/>
schließlich ausartete, geführt? Die in unsrer Zeit vorzugsweise den Wert des<lb/>
Denkens gegenüber dem Glauben betonen, die Anhänger der induktiven Me¬<lb/>
thode, die werden die letzten sein, solchen Ergebnissen zuzustimmen. Oder, wenn<lb/>
wir uns um hundert Jahre zurückdenken, wann war die Parole &#x201E;Denkt!"<lb/>
energischer gegen den Glauben ausgerufen, als von der französischen Anfklü-<lb/>
rnng, von den Encyklopädisten! Zunächst entwickelte sich daraus der Sensua¬<lb/>
lismus, und dann, als das Volk begann, seine Folgerungen zu ziehen, die<lb/>
Revolution. Man soll sich freilich hüten, nach den äußerstem Folgerungen, die<lb/>
aus einer Lehre oder einem Grundsatz gezogen werden können, ihren Wert<lb/>
oder Unwert zu beurteilen; immerhin aber dürfen wir diese Erwägungen geltend<lb/>
machen gegen die entsprechenden Angriffe der Freidenker auf die Religion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1742" next="#ID_1743"> Nun werden wir aber die ungeduldige Frage hören, was wir denn<lb/>
eigentlich wollen? Was nach unsrer Ansicht die Religion leisten könne für<lb/>
freie Geistesentwicklung? Wie sie den geistigen Mängeln unsrer Zeit entgegen¬<lb/>
arbeiten könne? Wir haben im Verlaufe unsrer Betrachtungen zuweilen statt<lb/>
Religion das Wort Glauben gebraucht, gegenüber dem Denken, das Wissen<lb/>
und Erfahrung zum Zweck hat. Wir fürchten nicht, daß man dieses viel<lb/>
mißbrauchte und mißdeutete Wort wie so oft mit einem mitleidigen Achsel-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0491] !^N>'5UM coiila! beruft sich dann ans mancherlei geschichtliche Beispiele, namentlich innerhalb der römisch-katholischen Kirche, wie das Streben nach Wahrheit gerade durch die Kirche bekämpft und gehindert wurden sei. Durch die Kirche allerdings und im Namen der Religion. Aber nicht die Religion war es, die dem Wahrheitstriebe, als mit ihr unverträglich, entgegentreten müszte, sondern Herrschsucht, Fanatismus, Kurzsichtigkeit und Eigensinn, die sich hinter dem undurchdringlichen Schilde der Unfehlbarkeit göttlicher Gebote und Offen¬ barungen verbargen — die waren es, die den Kampf gegen die Wahrheit führten —, menschliche Schwächen und Niedrigkeiten, die so recht unsrer tie¬ rischen Natur angehören. Freilich, damit verträgt sich das Wesen der Wahr¬ heit nicht, aber damit verträgt sich das Wesen der wahren Religion ebenso wenig. „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten wollen, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten" — in diesem Worte Christi ist das Wesen der Religion in der edelsten und erhabensten Weise ausgedrückt. Als Antwort auf die geschichtlichen Beispiele unsrer Gegner könnten wir sogar einen geschichtlichen Gegenbeweis bringen. Wenn man uns den un¬ bedingten Wert der Wahrheit zugestand, so geschah es doch mit dem Zusätze, die Religion, der Glaube sei eS nicht, den wir zu ihrer Erfassung bedürften; die Wahrheit beruhe ja nur im Denken, sei nur im Denken erreichbar, man möge also die Forderung des Glaubens lieber in die des Denkens umwandeln. Nun sagt Feuerbach einmal nicht unzutreffend von Hegel, er habe seiner Zeit den kategorischen Imperativ: Denkt! zugerufen. Seine Zeit hat ihn gehört und beherzigt, aber wohin hat uus die Denkvergötterung, zu der die „Hegelei" schließlich ausartete, geführt? Die in unsrer Zeit vorzugsweise den Wert des Denkens gegenüber dem Glauben betonen, die Anhänger der induktiven Me¬ thode, die werden die letzten sein, solchen Ergebnissen zuzustimmen. Oder, wenn wir uns um hundert Jahre zurückdenken, wann war die Parole „Denkt!" energischer gegen den Glauben ausgerufen, als von der französischen Anfklü- rnng, von den Encyklopädisten! Zunächst entwickelte sich daraus der Sensua¬ lismus, und dann, als das Volk begann, seine Folgerungen zu ziehen, die Revolution. Man soll sich freilich hüten, nach den äußerstem Folgerungen, die aus einer Lehre oder einem Grundsatz gezogen werden können, ihren Wert oder Unwert zu beurteilen; immerhin aber dürfen wir diese Erwägungen geltend machen gegen die entsprechenden Angriffe der Freidenker auf die Religion. Nun werden wir aber die ungeduldige Frage hören, was wir denn eigentlich wollen? Was nach unsrer Ansicht die Religion leisten könne für freie Geistesentwicklung? Wie sie den geistigen Mängeln unsrer Zeit entgegen¬ arbeiten könne? Wir haben im Verlaufe unsrer Betrachtungen zuweilen statt Religion das Wort Glauben gebraucht, gegenüber dem Denken, das Wissen und Erfahrung zum Zweck hat. Wir fürchten nicht, daß man dieses viel mißbrauchte und mißdeutete Wort wie so oft mit einem mitleidigen Achsel-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/491
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/491>, abgerufen am 23.11.2024.