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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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vor allem eine gute und wohlfeile Justiz. Diese gewährte den Unterthanen
auch der Regierungsgewalt gegenüber Schutz gegen Rechtsverletzungen. Da¬
durch war Kurhessen in gewissem Sinne das freieste Land in ganz Deutschland.
Man ist sich auch dessen, was man in allen diesen Beziehungen im Jahre 1867
verloren hat, in Kurhessen vollkommen bewußt gewesen oder wenigstens bald
darauf bewußt geworden.

Hatte der Kurfürst unliebenswürdige Eigenschaften, so hatte er doch auch
seine guten Seiten. Protektion, Nepotismus, Geldmncherei, Begünstigung des
Adels oder des Klerikalismus und ähnliche Auswüchse des Staatslebens sind
unter seiner Regierung nicht aufgekommen. Daß ihm anch das Muckertum im
Grunde seines Herzens zuwider war, beweist die von Shbel selbst seiner
Darstellung eingereihte Erzählung, wie Hassenpflug schließlich (1855) daran
scheiterte, daß er seinen Freund Vilmar zu einer Art hessischen Papstes machen
wollte.

Ich möchte deshalb alle bitten ^ und ich richte diese Worte auch an
Männer, die so hoch stehen wie Shbel und Treitschke --, über frühere kur¬
hessische Verhältnisse doch nicht so absprechend zu urteilen, wie das vielfach
geschieht. Stoff zu sittlicher Entrüstung über frühere Zustände kaun der Ge-
schichtsfreund auch anderwärts und vielleicht viel näher finden, wenn er nur
die Augen darauf werfen will.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Industrie und Fischereirecht.
"

In der ersten Nummer der neu erschei¬
nenden "Zeitschrift für Fischerei findet sich ein interessanter Vortrag des im
Fischereiwesen sehr bewanderten Amtsgerichtsrats seelig zu Kassel abgedruckt, der
nicht allein die Aufmerksamkeit der Beteiligten und der Juristen, die in Fischerei¬
sachen das Recht zu finden haben, sondern in einer gewissen Richtung auch die
Beachtung weiterer Kreise verdient. Die sehr einsichtige und übersichtliche Dar¬
stellung, die sich auf zahlreiche Gerichtsentscheidungen über Verunreinigung von
Fischwassern stützt, zeigt nämlich in überraschender Weise, wie schwer der Einfluß
des wirtschaftlichen Götzen unsrer Zeit, der Industrie, auf den übrigen volkswirt¬
schaftlichen Interessen lastet.

seelig zeigt, daß das Gesetz zwar einem Mißbräuche der fischhaltigen Ge¬
wässer zu Fabrikzwecken, besonders bei Ableitung ihrer sogenannten Abwässer, ent¬
gegentritt, insofern also ihre Interessen und die der Fischzüchter gleichmäßig und
unparteiisch abwägt; daß aber trotzdem das thatsächliche Übergewicht der Fabrik¬
interessen derart wirkt, daß sich nicht nur die Beteiligten dieses Rechtsschutzes kaum
bewußt sind, sondern sich auch die Verwaltungsbehörden wenig geneigt zeigen,


vor allem eine gute und wohlfeile Justiz. Diese gewährte den Unterthanen
auch der Regierungsgewalt gegenüber Schutz gegen Rechtsverletzungen. Da¬
durch war Kurhessen in gewissem Sinne das freieste Land in ganz Deutschland.
Man ist sich auch dessen, was man in allen diesen Beziehungen im Jahre 1867
verloren hat, in Kurhessen vollkommen bewußt gewesen oder wenigstens bald
darauf bewußt geworden.

Hatte der Kurfürst unliebenswürdige Eigenschaften, so hatte er doch auch
seine guten Seiten. Protektion, Nepotismus, Geldmncherei, Begünstigung des
Adels oder des Klerikalismus und ähnliche Auswüchse des Staatslebens sind
unter seiner Regierung nicht aufgekommen. Daß ihm anch das Muckertum im
Grunde seines Herzens zuwider war, beweist die von Shbel selbst seiner
Darstellung eingereihte Erzählung, wie Hassenpflug schließlich (1855) daran
scheiterte, daß er seinen Freund Vilmar zu einer Art hessischen Papstes machen
wollte.

Ich möchte deshalb alle bitten ^ und ich richte diese Worte auch an
Männer, die so hoch stehen wie Shbel und Treitschke —, über frühere kur¬
hessische Verhältnisse doch nicht so absprechend zu urteilen, wie das vielfach
geschieht. Stoff zu sittlicher Entrüstung über frühere Zustände kaun der Ge-
schichtsfreund auch anderwärts und vielleicht viel näher finden, wenn er nur
die Augen darauf werfen will.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Industrie und Fischereirecht.
"

In der ersten Nummer der neu erschei¬
nenden „Zeitschrift für Fischerei findet sich ein interessanter Vortrag des im
Fischereiwesen sehr bewanderten Amtsgerichtsrats seelig zu Kassel abgedruckt, der
nicht allein die Aufmerksamkeit der Beteiligten und der Juristen, die in Fischerei¬
sachen das Recht zu finden haben, sondern in einer gewissen Richtung auch die
Beachtung weiterer Kreise verdient. Die sehr einsichtige und übersichtliche Dar¬
stellung, die sich auf zahlreiche Gerichtsentscheidungen über Verunreinigung von
Fischwassern stützt, zeigt nämlich in überraschender Weise, wie schwer der Einfluß
des wirtschaftlichen Götzen unsrer Zeit, der Industrie, auf den übrigen volkswirt¬
schaftlichen Interessen lastet.

seelig zeigt, daß das Gesetz zwar einem Mißbräuche der fischhaltigen Ge¬
wässer zu Fabrikzwecken, besonders bei Ableitung ihrer sogenannten Abwässer, ent¬
gegentritt, insofern also ihre Interessen und die der Fischzüchter gleichmäßig und
unparteiisch abwägt; daß aber trotzdem das thatsächliche Übergewicht der Fabrik¬
interessen derart wirkt, daß sich nicht nur die Beteiligten dieses Rechtsschutzes kaum
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[0479] vor allem eine gute und wohlfeile Justiz. Diese gewährte den Unterthanen auch der Regierungsgewalt gegenüber Schutz gegen Rechtsverletzungen. Da¬ durch war Kurhessen in gewissem Sinne das freieste Land in ganz Deutschland. Man ist sich auch dessen, was man in allen diesen Beziehungen im Jahre 1867 verloren hat, in Kurhessen vollkommen bewußt gewesen oder wenigstens bald darauf bewußt geworden. Hatte der Kurfürst unliebenswürdige Eigenschaften, so hatte er doch auch seine guten Seiten. Protektion, Nepotismus, Geldmncherei, Begünstigung des Adels oder des Klerikalismus und ähnliche Auswüchse des Staatslebens sind unter seiner Regierung nicht aufgekommen. Daß ihm anch das Muckertum im Grunde seines Herzens zuwider war, beweist die von Shbel selbst seiner Darstellung eingereihte Erzählung, wie Hassenpflug schließlich (1855) daran scheiterte, daß er seinen Freund Vilmar zu einer Art hessischen Papstes machen wollte. Ich möchte deshalb alle bitten ^ und ich richte diese Worte auch an Männer, die so hoch stehen wie Shbel und Treitschke —, über frühere kur¬ hessische Verhältnisse doch nicht so absprechend zu urteilen, wie das vielfach geschieht. Stoff zu sittlicher Entrüstung über frühere Zustände kaun der Ge- schichtsfreund auch anderwärts und vielleicht viel näher finden, wenn er nur die Augen darauf werfen will. Maßgebliches und Unmaßgebliches Industrie und Fischereirecht. " In der ersten Nummer der neu erschei¬ nenden „Zeitschrift für Fischerei findet sich ein interessanter Vortrag des im Fischereiwesen sehr bewanderten Amtsgerichtsrats seelig zu Kassel abgedruckt, der nicht allein die Aufmerksamkeit der Beteiligten und der Juristen, die in Fischerei¬ sachen das Recht zu finden haben, sondern in einer gewissen Richtung auch die Beachtung weiterer Kreise verdient. Die sehr einsichtige und übersichtliche Dar¬ stellung, die sich auf zahlreiche Gerichtsentscheidungen über Verunreinigung von Fischwassern stützt, zeigt nämlich in überraschender Weise, wie schwer der Einfluß des wirtschaftlichen Götzen unsrer Zeit, der Industrie, auf den übrigen volkswirt¬ schaftlichen Interessen lastet. seelig zeigt, daß das Gesetz zwar einem Mißbräuche der fischhaltigen Ge¬ wässer zu Fabrikzwecken, besonders bei Ableitung ihrer sogenannten Abwässer, ent¬ gegentritt, insofern also ihre Interessen und die der Fischzüchter gleichmäßig und unparteiisch abwägt; daß aber trotzdem das thatsächliche Übergewicht der Fabrik¬ interessen derart wirkt, daß sich nicht nur die Beteiligten dieses Rechtsschutzes kaum bewußt sind, sondern sich auch die Verwaltungsbehörden wenig geneigt zeigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/479>, abgerufen am 23.11.2024.