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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Alassenbewegung und Nationalitätenpolitik in "Österreich

seine besondern Vorteile. Ans den Slawen rekrutirt sich in Österreich zum
guten Teil das Proletariat; je mehr dieses feste Gestaltung gewinnt und ge¬
schlossen ans den Kampfplatz tritt, desto mehr fühlt sich das Deutschtum der
bürgerlichen Kreise eingeengt. So ist jetzt ein Tiefstand des deutschen Ein¬
flusses in Österreich eingetreten. Niederlagen aber rufen Einkehr und Nach¬
denken hervor, und so kommt es, daß diese Zeit des Absteigens ernste, reifere
Publizistische Arbeiten zu Tage fördert als die Tage des Glanzes. Fast gleich¬
zeitig sind zwei tüchtige Bücher erschienen, die sich in dem Eindringen in den
großen Gegenstand gewissermaßen ergänzen. Armand Freiherr von Dumreicher,
dessen Wort im Abgeordnetenhause schon oft anspornend und gedankenerweckend
für sein Volk ertönte, und Dr. Michael Hainisch erweitern den politischen Ge¬
sichtskreis ihrer Stammesgenossen durch Arbeiten, aus denen sich ein reicher
Vorrat von Ideen schöpfen küßt.^)

Schon als schriftstellerische Leistung ist das Buch Dumreichcrs hoch an¬
zuschlagen. Es ist formvollendet nicht bloß durch die Anmut der Sprache,
den Glanz der Bilder, sondern vor allem auch durch die auch aus der kleinsten
Anmerkung herausleuchtcnde Einheit des Stils. Manche Wörter, die Dum¬
reicher prägt, verdienten in den politischen Sprachschatz der Deutschen aufge¬
nommen zu werden, so wenn er von der Zurückdrängung des deutschen Ele¬
ments in den Städten Böhmens und Krams spricht und sich beklagt, daß
der "nationale Atmungsranm der Minderheiten" immer mehr eingeengt werde.

Der Verfasser spricht von den gothischen Denkmälern deutscher Künstler
in den jetzt slawisirten Städten Polens und Böhmens. Daran knüpft er eine
schwermütige Betrachtung in Worten, wie sie so einfach und ergreifend nur
ein Meister der Rede bilden kann: "Viel deutsches Erbe ist in den Sudeten¬
ländern, in den Karpathengcbieten den Jahrhunderten zum Opfer gefallen,
vieles steht noch aufrecht. Aber die vornehmen und schöpferischen deutschen
Minderheiten sind eingeschrumpft, überwuchert, ausgejätet, verschwunden. Heute
füllt überquellendes slawisches Volksleben den prächtigen und ehrwürdigen
Rahmen aus deutscher Vorzeit. Die deutschen Werke sind noch da, nicht mehr
die deutschen Menschen. Auch dort reden die Steine. Jedoch reden sie von
dein, was war und nicht mehr ist. 3u,xii IvMnuwr," Den Bewohnern Wiens,
die dem Eindringen des slawischen Elements gleichgiltig gegenüber stehen und
mit naivem Stolz auf die Blüte der Architektur und der Bildhauerkunst in
Osterreich als eine dauernde Bürgschaft für den Bestand des deutschen Lebens
ü> Österreich hinweisen, rust Dumreicher warnend zu: "Oft schon waren prunk¬
volle Werke nur die Boten nahen Verfalls. Als sich Scamozzis und Longhenas



*) A. Freiherr von Dumreicher, Südostdeutsche Betrachtungen. Leipzig,
Duncker und Humdloi. -- Dr. Michael Haiuisch, Die Zukunft der Deutsch-Öster¬
reicher. Wien, Franz Deuticke.
Alassenbewegung und Nationalitätenpolitik in «Österreich

seine besondern Vorteile. Ans den Slawen rekrutirt sich in Österreich zum
guten Teil das Proletariat; je mehr dieses feste Gestaltung gewinnt und ge¬
schlossen ans den Kampfplatz tritt, desto mehr fühlt sich das Deutschtum der
bürgerlichen Kreise eingeengt. So ist jetzt ein Tiefstand des deutschen Ein¬
flusses in Österreich eingetreten. Niederlagen aber rufen Einkehr und Nach¬
denken hervor, und so kommt es, daß diese Zeit des Absteigens ernste, reifere
Publizistische Arbeiten zu Tage fördert als die Tage des Glanzes. Fast gleich¬
zeitig sind zwei tüchtige Bücher erschienen, die sich in dem Eindringen in den
großen Gegenstand gewissermaßen ergänzen. Armand Freiherr von Dumreicher,
dessen Wort im Abgeordnetenhause schon oft anspornend und gedankenerweckend
für sein Volk ertönte, und Dr. Michael Hainisch erweitern den politischen Ge¬
sichtskreis ihrer Stammesgenossen durch Arbeiten, aus denen sich ein reicher
Vorrat von Ideen schöpfen küßt.^)

Schon als schriftstellerische Leistung ist das Buch Dumreichcrs hoch an¬
zuschlagen. Es ist formvollendet nicht bloß durch die Anmut der Sprache,
den Glanz der Bilder, sondern vor allem auch durch die auch aus der kleinsten
Anmerkung herausleuchtcnde Einheit des Stils. Manche Wörter, die Dum¬
reicher prägt, verdienten in den politischen Sprachschatz der Deutschen aufge¬
nommen zu werden, so wenn er von der Zurückdrängung des deutschen Ele¬
ments in den Städten Böhmens und Krams spricht und sich beklagt, daß
der „nationale Atmungsranm der Minderheiten" immer mehr eingeengt werde.

Der Verfasser spricht von den gothischen Denkmälern deutscher Künstler
in den jetzt slawisirten Städten Polens und Böhmens. Daran knüpft er eine
schwermütige Betrachtung in Worten, wie sie so einfach und ergreifend nur
ein Meister der Rede bilden kann: „Viel deutsches Erbe ist in den Sudeten¬
ländern, in den Karpathengcbieten den Jahrhunderten zum Opfer gefallen,
vieles steht noch aufrecht. Aber die vornehmen und schöpferischen deutschen
Minderheiten sind eingeschrumpft, überwuchert, ausgejätet, verschwunden. Heute
füllt überquellendes slawisches Volksleben den prächtigen und ehrwürdigen
Rahmen aus deutscher Vorzeit. Die deutschen Werke sind noch da, nicht mehr
die deutschen Menschen. Auch dort reden die Steine. Jedoch reden sie von
dein, was war und nicht mehr ist. 3u,xii IvMnuwr," Den Bewohnern Wiens,
die dem Eindringen des slawischen Elements gleichgiltig gegenüber stehen und
mit naivem Stolz auf die Blüte der Architektur und der Bildhauerkunst in
Osterreich als eine dauernde Bürgschaft für den Bestand des deutschen Lebens
ü> Österreich hinweisen, rust Dumreicher warnend zu: „Oft schon waren prunk¬
volle Werke nur die Boten nahen Verfalls. Als sich Scamozzis und Longhenas



*) A. Freiherr von Dumreicher, Südostdeutsche Betrachtungen. Leipzig,
Duncker und Humdloi. — Dr. Michael Haiuisch, Die Zukunft der Deutsch-Öster¬
reicher. Wien, Franz Deuticke.
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[0443] Alassenbewegung und Nationalitätenpolitik in «Österreich seine besondern Vorteile. Ans den Slawen rekrutirt sich in Österreich zum guten Teil das Proletariat; je mehr dieses feste Gestaltung gewinnt und ge¬ schlossen ans den Kampfplatz tritt, desto mehr fühlt sich das Deutschtum der bürgerlichen Kreise eingeengt. So ist jetzt ein Tiefstand des deutschen Ein¬ flusses in Österreich eingetreten. Niederlagen aber rufen Einkehr und Nach¬ denken hervor, und so kommt es, daß diese Zeit des Absteigens ernste, reifere Publizistische Arbeiten zu Tage fördert als die Tage des Glanzes. Fast gleich¬ zeitig sind zwei tüchtige Bücher erschienen, die sich in dem Eindringen in den großen Gegenstand gewissermaßen ergänzen. Armand Freiherr von Dumreicher, dessen Wort im Abgeordnetenhause schon oft anspornend und gedankenerweckend für sein Volk ertönte, und Dr. Michael Hainisch erweitern den politischen Ge¬ sichtskreis ihrer Stammesgenossen durch Arbeiten, aus denen sich ein reicher Vorrat von Ideen schöpfen küßt.^) Schon als schriftstellerische Leistung ist das Buch Dumreichcrs hoch an¬ zuschlagen. Es ist formvollendet nicht bloß durch die Anmut der Sprache, den Glanz der Bilder, sondern vor allem auch durch die auch aus der kleinsten Anmerkung herausleuchtcnde Einheit des Stils. Manche Wörter, die Dum¬ reicher prägt, verdienten in den politischen Sprachschatz der Deutschen aufge¬ nommen zu werden, so wenn er von der Zurückdrängung des deutschen Ele¬ ments in den Städten Böhmens und Krams spricht und sich beklagt, daß der „nationale Atmungsranm der Minderheiten" immer mehr eingeengt werde. Der Verfasser spricht von den gothischen Denkmälern deutscher Künstler in den jetzt slawisirten Städten Polens und Böhmens. Daran knüpft er eine schwermütige Betrachtung in Worten, wie sie so einfach und ergreifend nur ein Meister der Rede bilden kann: „Viel deutsches Erbe ist in den Sudeten¬ ländern, in den Karpathengcbieten den Jahrhunderten zum Opfer gefallen, vieles steht noch aufrecht. Aber die vornehmen und schöpferischen deutschen Minderheiten sind eingeschrumpft, überwuchert, ausgejätet, verschwunden. Heute füllt überquellendes slawisches Volksleben den prächtigen und ehrwürdigen Rahmen aus deutscher Vorzeit. Die deutschen Werke sind noch da, nicht mehr die deutschen Menschen. Auch dort reden die Steine. Jedoch reden sie von dein, was war und nicht mehr ist. 3u,xii IvMnuwr," Den Bewohnern Wiens, die dem Eindringen des slawischen Elements gleichgiltig gegenüber stehen und mit naivem Stolz auf die Blüte der Architektur und der Bildhauerkunst in Osterreich als eine dauernde Bürgschaft für den Bestand des deutschen Lebens ü> Österreich hinweisen, rust Dumreicher warnend zu: „Oft schon waren prunk¬ volle Werke nur die Boten nahen Verfalls. Als sich Scamozzis und Longhenas *) A. Freiherr von Dumreicher, Südostdeutsche Betrachtungen. Leipzig, Duncker und Humdloi. — Dr. Michael Haiuisch, Die Zukunft der Deutsch-Öster¬ reicher. Wien, Franz Deuticke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/443>, abgerufen am 23.11.2024.