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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Von unsern Hochschulen

nicht eher zu ihr zurück, als bis der Herr Vater ans das allerbestimmteste
erklärt, der Worte seien genug gewechselt, er wünsche min endlich Thaten zu
sehn. Was der gesamten Philologie und Juristerei in größerm oder ge¬
ringerm Maße fehlt, das ist der Zusammenhang mit dem lebendig flutenden
Leben unsers Volkes. Nur weil die Hochschulen sich in sich selbst zurück¬
gezogen haben, ist es möglich geworden, daß eine große Zahl von akademischen
Lehrern, in der Regel die bestbezahlten ordentlichen Professoren, für ihre
Studenten so erbärmlich wenig Zeit übrig haben. Es giebt deren eine ganze
Anzahl, und es sind berühmte Namen darunter, die ihren Schülern keine
zwei Stunden täglich widmen. Von einem geistigen Verkehr zwischen Lehrer
und Schüler kann gar keine Rede sein, dazu haben die Herren Professoren
von heute keine seit mehr. Mit der Herausgabe eines alten Schusters, den
kein Mensch mehr nötig hat, mit Arbeiten für gelehrte Gesellschaften, mit der
Redaktion von Fachschriften oder mit Politik beschäftigt, haben sie sür ihre
Lehrthätigkeit knapp soviel Zeit übrig, um das zu thun, was sie thun müssen,
d. h. ein Privatkvlleg und ein Publikum zu lesen und einmal die Woche
praktische Übungen abzuhalten. Da die Vorlesungen gewöhnlich einen Cyklus
bilden, der nnr einmal ausgearbeitet wird und sich dann bis an das selige
Ende des Dozenten von zwei zu zwei Jahren wiederholt, so ist die Arbeit
nicht eben allzu groß. Die Herren vollends, die es auch nur versuchen, auf
Geist und Charakter ihrer Schüler einen bildenden Einfluß auszuüben, sind
zu zählen.'') Dagegen ist es keineswegs selten, daß die Professoren die
Schüler für ihre Zwecke ausnutzen, indem sie sie Themata bearbeiten lassen,
die nur dadurch Wert haben, daß sie für des "Meisters" eigne Arbeiten recht
bequem zu verwenden sind. Auf die Individualität des Schülers Rücksicht
zu nehme", fällt keinem Dozenten ein, wenn es nicht zufällig in feinen Kram
paßt. Freilich hat er in den seltensten Fällen von dieser Individualität über¬
haupt eine Ahnung. Aber das liegt nicht an ihm, das liegt um der be¬
schränkten Gleichmacherei unsrer Examenvorschrifteu. Der Staat kauu ja be¬
kanntlich keinen Beamten anstellen, ohne sich nach allen Richtungen hin wohl
verklausulirt zu haben, was der Beamte zu thun und was er zu lassen hat.

Eine Folge des engherzigen Prüfnngsreglemeuts ist es anch, daß einzelne
Professoren, nämlich die, die in der Prüfungskommission sitzen, von Zuhörern
überlaufen sind, während andre, und nicht selten die anregendsten, vor leeren
Bänken sprechen. Wenn der Student schweres Geld sür langweilige Kollegien
zahlt, die er hören muß, so bleibt ihm keins übrig sür die, die er gern hören
möchte. Wenn denn einmal geprüft werden soll -- ich will nicht bestreuten,



") Für Leute, die sachliche Erörterungen nur lesen, um persönliche Spitzen horauszn-
tlanbcn, bemerke ich, daß ich Herrn Professor Schmölle nie gesehen habe, das; er aber meines
Wissens bei seinen Schülern in hoher Achtung steht.
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nicht eher zu ihr zurück, als bis der Herr Vater ans das allerbestimmteste
erklärt, der Worte seien genug gewechselt, er wünsche min endlich Thaten zu
sehn. Was der gesamten Philologie und Juristerei in größerm oder ge¬
ringerm Maße fehlt, das ist der Zusammenhang mit dem lebendig flutenden
Leben unsers Volkes. Nur weil die Hochschulen sich in sich selbst zurück¬
gezogen haben, ist es möglich geworden, daß eine große Zahl von akademischen
Lehrern, in der Regel die bestbezahlten ordentlichen Professoren, für ihre
Studenten so erbärmlich wenig Zeit übrig haben. Es giebt deren eine ganze
Anzahl, und es sind berühmte Namen darunter, die ihren Schülern keine
zwei Stunden täglich widmen. Von einem geistigen Verkehr zwischen Lehrer
und Schüler kann gar keine Rede sein, dazu haben die Herren Professoren
von heute keine seit mehr. Mit der Herausgabe eines alten Schusters, den
kein Mensch mehr nötig hat, mit Arbeiten für gelehrte Gesellschaften, mit der
Redaktion von Fachschriften oder mit Politik beschäftigt, haben sie sür ihre
Lehrthätigkeit knapp soviel Zeit übrig, um das zu thun, was sie thun müssen,
d. h. ein Privatkvlleg und ein Publikum zu lesen und einmal die Woche
praktische Übungen abzuhalten. Da die Vorlesungen gewöhnlich einen Cyklus
bilden, der nnr einmal ausgearbeitet wird und sich dann bis an das selige
Ende des Dozenten von zwei zu zwei Jahren wiederholt, so ist die Arbeit
nicht eben allzu groß. Die Herren vollends, die es auch nur versuchen, auf
Geist und Charakter ihrer Schüler einen bildenden Einfluß auszuüben, sind
zu zählen.'') Dagegen ist es keineswegs selten, daß die Professoren die
Schüler für ihre Zwecke ausnutzen, indem sie sie Themata bearbeiten lassen,
die nur dadurch Wert haben, daß sie für des „Meisters" eigne Arbeiten recht
bequem zu verwenden sind. Auf die Individualität des Schülers Rücksicht
zu nehme», fällt keinem Dozenten ein, wenn es nicht zufällig in feinen Kram
paßt. Freilich hat er in den seltensten Fällen von dieser Individualität über¬
haupt eine Ahnung. Aber das liegt nicht an ihm, das liegt um der be¬
schränkten Gleichmacherei unsrer Examenvorschrifteu. Der Staat kauu ja be¬
kanntlich keinen Beamten anstellen, ohne sich nach allen Richtungen hin wohl
verklausulirt zu haben, was der Beamte zu thun und was er zu lassen hat.

Eine Folge des engherzigen Prüfnngsreglemeuts ist es anch, daß einzelne
Professoren, nämlich die, die in der Prüfungskommission sitzen, von Zuhörern
überlaufen sind, während andre, und nicht selten die anregendsten, vor leeren
Bänken sprechen. Wenn der Student schweres Geld sür langweilige Kollegien
zahlt, die er hören muß, so bleibt ihm keins übrig sür die, die er gern hören
möchte. Wenn denn einmal geprüft werden soll — ich will nicht bestreuten,



") Für Leute, die sachliche Erörterungen nur lesen, um persönliche Spitzen horauszn-
tlanbcn, bemerke ich, daß ich Herrn Professor Schmölle nie gesehen habe, das; er aber meines
Wissens bei seinen Schülern in hoher Achtung steht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/430>, abgerufen am 24.11.2024.