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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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der Gymnasialstadt, die Knnbenliebschaft mit der koketten, friihreifen Ncanya,
über die er doch Stasia nicht vergessen kann, das alles ist mit großer Lebens¬
wahrheit und Anschaulichkeit vor Augen gestellt. Aber durch das Ganze geht,
als ein mystisch-phantastisches Element, das Geheimnis, daß Witolds Mutter
Petronelln, als sie mit ihm guter Hoffnung war, von dem Bauschen des weißen
und purpurnen polnischen Banners, das der Oberst am Schlachttage von Boreml
im Hofe seines Hauses hatte aufhängen lassen, erschreckt worden ist. Seitdem
kaun sich Jung Witold nicht an den polnischen Farbe" ersättigen. Es ist
nicht bloß die leidenschaftliche patriotische Empfindung, die ihn treibt, sich den
Anblick immer und überall zu verschaffen, nein, er steht unter der Herrschaft
einer dunkeln Gewalt. Schon im Verkehr mit Mauya "war plötzlich eine
kitzelnde, prickelnde, unbezwingbare Lust in ihm, auf dem weißleuchtenden
Fleische das rote Blut zu sehen, daß die polnischen Farben da wären, seine
Farben und seine Fahne." Er verwundet, wenn er im Schnee spazieren geht,
sich selbst, um die roten Blutstropfen in das Weiß sickern zu sehen, und doch
achtet er gar nicht ans diese wunderliche Ausartung seiner patriotischen Empfin¬
dungen. Diese sind mich, nebenbei gesagt, nicht so heiß, daß sie ihn in Ver¬
schwörungen verstrickten, nur das dunkle Bedürfnis, die Nationalfarben zu sehen,
die Gewißheit, sich an ihrem Anblick zu laben, schlägt immer wieder durch.
Schließlich verlobt sich Witold mit seiner Jugendgespielin Stasia, er liebt die
blonde, ans der polnischen Art geschlagne Braut zärtlich, die Schilderung des
Spazierganges, den die Verlobten acht Tage vor der Hochzeit hinter dem Rücken
der gestrengen Tante Anieln mit einander machen, gehört zu dem sinnigsten und
poetisch empfnndensten des Romans. Und nun findet die Hochzeit statt, und
ni der Brautnacht erwacht Witold an Stasias Seite. Sein junges Weib
schläft so schon und süß, und sein Leben fließt in dem bleichen Mondlicht an
ihm vorüber. Alte Gestalten und Erinnerungen tauchen auf, "eine sonderbare
Angst vor sich selber beschlich ihn," er muß an seinen im polnischen Aufstande
von 18Z0 gefallnen Oheim denken, der mit der roten Wunde auf der Weiße"
Brust noch gesagt hat: "Auch das sind ja unsre Farben." Und dn mit einem-
male bäumt sich der Wahnsinn, der jahrelang in ihm geschlummert und nnr
gezuckt hat, auf, er fühlt ein unwiderstehliches Verlangen, die weißen Brüste
seiner Frau von rotem Blut überrieselt zu sehen, "Köuigspnrpnr, roten Königs-
pnrpur sollte sie tragen, das Edelste, was es gäbe im Himmel und auf Erden."
Er holt das große Messer in der Küche, er sucht nach dem pochenden Herzen
und ermordet, indem er ihr das Messer ins Herz stößt, das ahnungslose
schlummernde junge Weib. "Das Blut schwoll auf, und er mußte jauchzen,
jauchzen, jauchzen, wenn auch ein Etwas in ihm aufschrie in furchtbaren
Schmerz. In feinem Strich sprang der rote Lebenssaft empor. Das weiße
Fleisch, und quellende dunkle Pnrpnrtropfen -- Pvlenfarben, leuchtende Polen¬
farben!" Dann sitzt er bis zum Morgen an ihrem Bett, läßt sich verhaften,


der Gymnasialstadt, die Knnbenliebschaft mit der koketten, friihreifen Ncanya,
über die er doch Stasia nicht vergessen kann, das alles ist mit großer Lebens¬
wahrheit und Anschaulichkeit vor Augen gestellt. Aber durch das Ganze geht,
als ein mystisch-phantastisches Element, das Geheimnis, daß Witolds Mutter
Petronelln, als sie mit ihm guter Hoffnung war, von dem Bauschen des weißen
und purpurnen polnischen Banners, das der Oberst am Schlachttage von Boreml
im Hofe seines Hauses hatte aufhängen lassen, erschreckt worden ist. Seitdem
kaun sich Jung Witold nicht an den polnischen Farbe» ersättigen. Es ist
nicht bloß die leidenschaftliche patriotische Empfindung, die ihn treibt, sich den
Anblick immer und überall zu verschaffen, nein, er steht unter der Herrschaft
einer dunkeln Gewalt. Schon im Verkehr mit Mauya „war plötzlich eine
kitzelnde, prickelnde, unbezwingbare Lust in ihm, auf dem weißleuchtenden
Fleische das rote Blut zu sehen, daß die polnischen Farben da wären, seine
Farben und seine Fahne." Er verwundet, wenn er im Schnee spazieren geht,
sich selbst, um die roten Blutstropfen in das Weiß sickern zu sehen, und doch
achtet er gar nicht ans diese wunderliche Ausartung seiner patriotischen Empfin¬
dungen. Diese sind mich, nebenbei gesagt, nicht so heiß, daß sie ihn in Ver¬
schwörungen verstrickten, nur das dunkle Bedürfnis, die Nationalfarben zu sehen,
die Gewißheit, sich an ihrem Anblick zu laben, schlägt immer wieder durch.
Schließlich verlobt sich Witold mit seiner Jugendgespielin Stasia, er liebt die
blonde, ans der polnischen Art geschlagne Braut zärtlich, die Schilderung des
Spazierganges, den die Verlobten acht Tage vor der Hochzeit hinter dem Rücken
der gestrengen Tante Anieln mit einander machen, gehört zu dem sinnigsten und
poetisch empfnndensten des Romans. Und nun findet die Hochzeit statt, und
ni der Brautnacht erwacht Witold an Stasias Seite. Sein junges Weib
schläft so schon und süß, und sein Leben fließt in dem bleichen Mondlicht an
ihm vorüber. Alte Gestalten und Erinnerungen tauchen auf, „eine sonderbare
Angst vor sich selber beschlich ihn," er muß an seinen im polnischen Aufstande
von 18Z0 gefallnen Oheim denken, der mit der roten Wunde auf der Weiße»
Brust noch gesagt hat: „Auch das sind ja unsre Farben." Und dn mit einem-
male bäumt sich der Wahnsinn, der jahrelang in ihm geschlummert und nnr
gezuckt hat, auf, er fühlt ein unwiderstehliches Verlangen, die weißen Brüste
seiner Frau von rotem Blut überrieselt zu sehen, „Köuigspnrpnr, roten Königs-
pnrpur sollte sie tragen, das Edelste, was es gäbe im Himmel und auf Erden."
Er holt das große Messer in der Küche, er sucht nach dem pochenden Herzen
und ermordet, indem er ihr das Messer ins Herz stößt, das ahnungslose
schlummernde junge Weib. „Das Blut schwoll auf, und er mußte jauchzen,
jauchzen, jauchzen, wenn auch ein Etwas in ihm aufschrie in furchtbaren
Schmerz. In feinem Strich sprang der rote Lebenssaft empor. Das weiße
Fleisch, und quellende dunkle Pnrpnrtropfen — Pvlenfarben, leuchtende Polen¬
farben!" Dann sitzt er bis zum Morgen an ihrem Bett, läßt sich verhaften,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/419>, abgerufen am 28.07.2024.