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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Line Nacht auf dem Brocken

Stimme -- nee, so dumm Simmer nich, nu werd erscht emal dicht'g ausge-
schlafen; vielleicht geht se och gar nich uff, und dann Hammer de Bescherung,
nec, so dumm! Na, gute Nacht, Schmidt, Schlaf wohl un laß dersch gut be¬
kommen!" Zur Ehre dieses Herrn Redners will ich annehmen, daß er nicht
wußte, was er that, vor allen Dingen uicht, wie laut er brüllte, es müßte
denn sein, daß Schmidt sehr harthörig gewesen wäre.

Ein weiteres Streichholz belehrt uns, daß die Gespensterstunde seit ge¬
raumer Zeit vorüber ist. 'Nun werden wir doch wohl Ruhe haben. Aber
wie? Ist es denn jetzt eigentlich noch der Mühe wert, sich auf der Marter¬
bank wieder zurechtzulegen? Auf den Bergen geht die Sonne früh auf. An¬
gezogen will mau doch auch fein, sonst erkältet man sich "i der Morgenfrische.
Genug, es wurde nichts mehr mit dem Schlaf. Man duselte so hin, eine
Stunde oder zwei, und zählte die einzelnen Stäbe des Rostes, die sich deutlich
durch ihren Druck unterscheiden ließen.

Endlich graut der Morgen. Nun wird wohl der Wecker bald erscheinen.
Aber was ist denn das? Halb fünf? Wir haben also den Sonnenaufgang richtig
verschlafen, verschlafe" -- o Ironie des Schicksals! -- in einem solchen Bett!
Zu unserm Trost erfahren wir, daß die Brockensvnne wieder einmal nicht
aufgegangen ist. Mau muß, wie es scheint, ein Sonntagskind sein, um dieses
Genusses teilhaftig zu werden. Tragen wir also das Unvermeidliche mit
Würde. Tragen nur es, ohne in den Fehler so vieler Leidensgenossen zu
verfallen, die ihren Schmerz in Verse ausgehaucht haben. Das Fremdenbuch
auf dein Brocken weiß davon schreckliche Dinge zu erzählen. Wie viel Ent¬
täuschung, Entsagung, Entrüstung enthalten diese Blätter!

Zum Überfluß fängt es an zu regnen. Große Beratung. Sollen Nur
hier oben gutes Wetter abwarten oder trotz des Regens den Weg unter die
Füße nehmen? Der Überlegung wird ein jähes Ende bereitet durch das Schicksal
in Gestalt eines Kellners. Der hält uns unverlangt die quittirte Rechnung
vor die Nase. Das war ein Zeichen, daß wir weiter wandern sollten.

Draußen lernen wir die auittirte Rechnung verstehen. Da sind die Omni¬
busse angespannt. Daß Leute auch einmal nicht mit dem Omnibus konnten
sahren wollen, der Fall war nicht vorgesehen. Mnu war hier offenbar nur
auf DuKendreisende wie den Berliner Kommerzienrat eingerichtet.

Wir schüttelten den Staub des Brockens von unsern Füßen und wan¬
derten auf Schusters Rappen über Schierke und Elend thalwärts. Elend!
Als einst im Mittelalter fromme Mönche hier eine Herberge für Elende (d. h.
Fremde; Elend ^ kek1ig.mal, fremdes Land) an den Weg bauten, da werden sie
ihnen nicht gerade Sprungfedermatratzen zum Lager angewiesen haben, aber
besser waren sie jedenfalls gebettet, als wir im Brockeuhotel Zimmer Ur. 33.
Wir stärkten uns mit einer Satte Dickmilch, und so tröstete uns das Elend
unten über das Elend, das wir oben ausgestanden hatten.


Line Nacht auf dem Brocken

Stimme — nee, so dumm Simmer nich, nu werd erscht emal dicht'g ausge-
schlafen; vielleicht geht se och gar nich uff, und dann Hammer de Bescherung,
nec, so dumm! Na, gute Nacht, Schmidt, Schlaf wohl un laß dersch gut be¬
kommen!" Zur Ehre dieses Herrn Redners will ich annehmen, daß er nicht
wußte, was er that, vor allen Dingen uicht, wie laut er brüllte, es müßte
denn sein, daß Schmidt sehr harthörig gewesen wäre.

Ein weiteres Streichholz belehrt uns, daß die Gespensterstunde seit ge¬
raumer Zeit vorüber ist. 'Nun werden wir doch wohl Ruhe haben. Aber
wie? Ist es denn jetzt eigentlich noch der Mühe wert, sich auf der Marter¬
bank wieder zurechtzulegen? Auf den Bergen geht die Sonne früh auf. An¬
gezogen will mau doch auch fein, sonst erkältet man sich "i der Morgenfrische.
Genug, es wurde nichts mehr mit dem Schlaf. Man duselte so hin, eine
Stunde oder zwei, und zählte die einzelnen Stäbe des Rostes, die sich deutlich
durch ihren Druck unterscheiden ließen.

Endlich graut der Morgen. Nun wird wohl der Wecker bald erscheinen.
Aber was ist denn das? Halb fünf? Wir haben also den Sonnenaufgang richtig
verschlafen, verschlafe» — o Ironie des Schicksals! — in einem solchen Bett!
Zu unserm Trost erfahren wir, daß die Brockensvnne wieder einmal nicht
aufgegangen ist. Mau muß, wie es scheint, ein Sonntagskind sein, um dieses
Genusses teilhaftig zu werden. Tragen wir also das Unvermeidliche mit
Würde. Tragen nur es, ohne in den Fehler so vieler Leidensgenossen zu
verfallen, die ihren Schmerz in Verse ausgehaucht haben. Das Fremdenbuch
auf dein Brocken weiß davon schreckliche Dinge zu erzählen. Wie viel Ent¬
täuschung, Entsagung, Entrüstung enthalten diese Blätter!

Zum Überfluß fängt es an zu regnen. Große Beratung. Sollen Nur
hier oben gutes Wetter abwarten oder trotz des Regens den Weg unter die
Füße nehmen? Der Überlegung wird ein jähes Ende bereitet durch das Schicksal
in Gestalt eines Kellners. Der hält uns unverlangt die quittirte Rechnung
vor die Nase. Das war ein Zeichen, daß wir weiter wandern sollten.

Draußen lernen wir die auittirte Rechnung verstehen. Da sind die Omni¬
busse angespannt. Daß Leute auch einmal nicht mit dem Omnibus konnten
sahren wollen, der Fall war nicht vorgesehen. Mnu war hier offenbar nur
auf DuKendreisende wie den Berliner Kommerzienrat eingerichtet.

Wir schüttelten den Staub des Brockens von unsern Füßen und wan¬
derten auf Schusters Rappen über Schierke und Elend thalwärts. Elend!
Als einst im Mittelalter fromme Mönche hier eine Herberge für Elende (d. h.
Fremde; Elend ^ kek1ig.mal, fremdes Land) an den Weg bauten, da werden sie
ihnen nicht gerade Sprungfedermatratzen zum Lager angewiesen haben, aber
besser waren sie jedenfalls gebettet, als wir im Brockeuhotel Zimmer Ur. 33.
Wir stärkten uns mit einer Satte Dickmilch, und so tröstete uns das Elend
unten über das Elend, das wir oben ausgestanden hatten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/381>, abgerufen am 23.11.2024.