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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Charles Kingsley als Dichter und Sozialreformer

setzen. So schreibt er 1849 an seine Fran: "^ögLt soll nicht tot sein, sondern
unter neuem Namen und mit neuen Szenen wieder erstehen. Im nächsten
Teil "Die Künstler" will ich versuchen, das verwickelte Garn durch Gespräche
über Kunst zu entwirren, die natürlich die tiefsten Fragen der Wissenschaft,
der Anthropologie, des sozialen Lebens und des Christentums mit berühren
werden. Wenn ich die Kunst eines Volks sür das echteste Sinnbild seines
Glaubens und als bedeutendes Erziehungsmittel betrachte, so halte ich sie
auch für geeignet, den Geist meines Helden, des Mannes der Zukunft, zu
bilden. Er, sein Freund Mellot und sein Vetter Lukas, der eben Romantiker
geworden ist, sollen die drei großen Schulen vertreten: Mellot das klassische
Heidentum und den französischen Fourierismus, der heutzutage die alten philo¬
sophischen Lehren zu verwirklichen scheint; Lukas die spätere manichüische oder
rein geistige Schule; Lancelot versucht die historische Malerei, findet keinen
Stoff und geht auf Landschaft und Tiere zurück bis zum einfachen Natu¬
ralismus unsrer Lcmdseer und Creswick, der Vertreter unsrer einzigen lebens¬
fähigen Kunstschule, die in England jetzt möglich ist; er wird durch Tregarvas
einfaches Christentum über seinen bloßen Naturglauben erhoben, während er
von ihm zugleich die echte, demokratische Gesinnung annimmt, die das Schöne
sowohl den Armen wie den Reichen als Erbteil gönnt. Tregarva ist der
Typus des englischen, tnnsthasfenden Puritaners, der nach und nach von der
göttlichen Mission der Kunst überzeugt wird und erkennt, daß diese Mission
vom Protestantismus, nicht vom Papsttum ausgeht. So glaube ich, daß
Lancelot, der auf seinen Naturalismus Trcvnrgas Christentum, Mellots
Klassizität und den geistigen Symbolismus von Lukas pfropft, befähigt wird,
der vermittelnde Künstler der Zukunft zu werden." Diesen Künstlerroman
hat Kingsley nicht geschrieben, andre, neue und größere Entwürfe zogen ihn
davon ab. Dagegen spinnt er die in ^east abgerissenen Fäden weiter in dem
spätern Roman '.l'vo ^e-u-L ^go.

Kingsley trat mit seinem Roman ^öiist sofort in die Reihe der ersten
Schriftsteller seiner Zeit. Die Wirkung und der Erfolg des Werkes war um
so größer, als sich ein paar Jahre vorher unter dem englischen Landadel eine
reaktionäre Bewegung, der sogenannte Tory-Sozialismus, gebildet hatte. Unter
Pnseys Einfluß hatte sich eine Gesellschaft junger Lords zusammengethan, die
sich ,,Jung-England" nannte, und deren Führer der Dichter John Manners
war. Sie waren in allen sozialen, kirchlichen und politischen Fragen Roman¬
tiker. Sie schwärmten für die gute alte Zeit, haßten die Großindustrie und
die ihnen an Reichtum überlegnen Fabrikbesitzer nud Baumwvlleulords; echt
romantisch sang Manners:

Bor allem eiferten diese Tory-Sozialisten gegen die von Kingsley verlangte


Charles Kingsley als Dichter und Sozialreformer

setzen. So schreibt er 1849 an seine Fran: „^ögLt soll nicht tot sein, sondern
unter neuem Namen und mit neuen Szenen wieder erstehen. Im nächsten
Teil »Die Künstler« will ich versuchen, das verwickelte Garn durch Gespräche
über Kunst zu entwirren, die natürlich die tiefsten Fragen der Wissenschaft,
der Anthropologie, des sozialen Lebens und des Christentums mit berühren
werden. Wenn ich die Kunst eines Volks sür das echteste Sinnbild seines
Glaubens und als bedeutendes Erziehungsmittel betrachte, so halte ich sie
auch für geeignet, den Geist meines Helden, des Mannes der Zukunft, zu
bilden. Er, sein Freund Mellot und sein Vetter Lukas, der eben Romantiker
geworden ist, sollen die drei großen Schulen vertreten: Mellot das klassische
Heidentum und den französischen Fourierismus, der heutzutage die alten philo¬
sophischen Lehren zu verwirklichen scheint; Lukas die spätere manichüische oder
rein geistige Schule; Lancelot versucht die historische Malerei, findet keinen
Stoff und geht auf Landschaft und Tiere zurück bis zum einfachen Natu¬
ralismus unsrer Lcmdseer und Creswick, der Vertreter unsrer einzigen lebens¬
fähigen Kunstschule, die in England jetzt möglich ist; er wird durch Tregarvas
einfaches Christentum über seinen bloßen Naturglauben erhoben, während er
von ihm zugleich die echte, demokratische Gesinnung annimmt, die das Schöne
sowohl den Armen wie den Reichen als Erbteil gönnt. Tregarva ist der
Typus des englischen, tnnsthasfenden Puritaners, der nach und nach von der
göttlichen Mission der Kunst überzeugt wird und erkennt, daß diese Mission
vom Protestantismus, nicht vom Papsttum ausgeht. So glaube ich, daß
Lancelot, der auf seinen Naturalismus Trcvnrgas Christentum, Mellots
Klassizität und den geistigen Symbolismus von Lukas pfropft, befähigt wird,
der vermittelnde Künstler der Zukunft zu werden." Diesen Künstlerroman
hat Kingsley nicht geschrieben, andre, neue und größere Entwürfe zogen ihn
davon ab. Dagegen spinnt er die in ^east abgerissenen Fäden weiter in dem
spätern Roman '.l'vo ^e-u-L ^go.

Kingsley trat mit seinem Roman ^öiist sofort in die Reihe der ersten
Schriftsteller seiner Zeit. Die Wirkung und der Erfolg des Werkes war um
so größer, als sich ein paar Jahre vorher unter dem englischen Landadel eine
reaktionäre Bewegung, der sogenannte Tory-Sozialismus, gebildet hatte. Unter
Pnseys Einfluß hatte sich eine Gesellschaft junger Lords zusammengethan, die
sich ,,Jung-England" nannte, und deren Führer der Dichter John Manners
war. Sie waren in allen sozialen, kirchlichen und politischen Fragen Roman¬
tiker. Sie schwärmten für die gute alte Zeit, haßten die Großindustrie und
die ihnen an Reichtum überlegnen Fabrikbesitzer nud Baumwvlleulords; echt
romantisch sang Manners:

Bor allem eiferten diese Tory-Sozialisten gegen die von Kingsley verlangte


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[0368] Charles Kingsley als Dichter und Sozialreformer setzen. So schreibt er 1849 an seine Fran: „^ögLt soll nicht tot sein, sondern unter neuem Namen und mit neuen Szenen wieder erstehen. Im nächsten Teil »Die Künstler« will ich versuchen, das verwickelte Garn durch Gespräche über Kunst zu entwirren, die natürlich die tiefsten Fragen der Wissenschaft, der Anthropologie, des sozialen Lebens und des Christentums mit berühren werden. Wenn ich die Kunst eines Volks sür das echteste Sinnbild seines Glaubens und als bedeutendes Erziehungsmittel betrachte, so halte ich sie auch für geeignet, den Geist meines Helden, des Mannes der Zukunft, zu bilden. Er, sein Freund Mellot und sein Vetter Lukas, der eben Romantiker geworden ist, sollen die drei großen Schulen vertreten: Mellot das klassische Heidentum und den französischen Fourierismus, der heutzutage die alten philo¬ sophischen Lehren zu verwirklichen scheint; Lukas die spätere manichüische oder rein geistige Schule; Lancelot versucht die historische Malerei, findet keinen Stoff und geht auf Landschaft und Tiere zurück bis zum einfachen Natu¬ ralismus unsrer Lcmdseer und Creswick, der Vertreter unsrer einzigen lebens¬ fähigen Kunstschule, die in England jetzt möglich ist; er wird durch Tregarvas einfaches Christentum über seinen bloßen Naturglauben erhoben, während er von ihm zugleich die echte, demokratische Gesinnung annimmt, die das Schöne sowohl den Armen wie den Reichen als Erbteil gönnt. Tregarva ist der Typus des englischen, tnnsthasfenden Puritaners, der nach und nach von der göttlichen Mission der Kunst überzeugt wird und erkennt, daß diese Mission vom Protestantismus, nicht vom Papsttum ausgeht. So glaube ich, daß Lancelot, der auf seinen Naturalismus Trcvnrgas Christentum, Mellots Klassizität und den geistigen Symbolismus von Lukas pfropft, befähigt wird, der vermittelnde Künstler der Zukunft zu werden." Diesen Künstlerroman hat Kingsley nicht geschrieben, andre, neue und größere Entwürfe zogen ihn davon ab. Dagegen spinnt er die in ^east abgerissenen Fäden weiter in dem spätern Roman '.l'vo ^e-u-L ^go. Kingsley trat mit seinem Roman ^öiist sofort in die Reihe der ersten Schriftsteller seiner Zeit. Die Wirkung und der Erfolg des Werkes war um so größer, als sich ein paar Jahre vorher unter dem englischen Landadel eine reaktionäre Bewegung, der sogenannte Tory-Sozialismus, gebildet hatte. Unter Pnseys Einfluß hatte sich eine Gesellschaft junger Lords zusammengethan, die sich ,,Jung-England" nannte, und deren Führer der Dichter John Manners war. Sie waren in allen sozialen, kirchlichen und politischen Fragen Roman¬ tiker. Sie schwärmten für die gute alte Zeit, haßten die Großindustrie und die ihnen an Reichtum überlegnen Fabrikbesitzer nud Baumwvlleulords; echt romantisch sang Manners: Bor allem eiferten diese Tory-Sozialisten gegen die von Kingsley verlangte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/368>, abgerufen am 28.07.2024.