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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Erziehung

Das ist genau der Standpunkt der Herbartischen Pädagogik. Nicht nur
in den ethischen, sondern auch in den psychologischen Voraussetzungen schließt
sich also der Verfasser diesem scharfen, vorsichtig und nüchtern vorgehenden
Forscher an. Er sagt sich, daß die Erreichbarkeit eines aufgestellten Zieles
nur da möglich ist, wo man im psychischen Leben auf einen sich gleich bleibenden
Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen, auf feste Gesetze des psychischen
Geschehens rechnen kann. Mit dieser Gesetzmäßigkeit ist aber zugleich eine
große Beweglichkeit der Vorstellungen verbunden. Jede Vorstellung äußert
sich infolge ihrer Gegensätze gegen andre wie eine Kraft. Hierdurch kommt
Bewegung in die Masse der Vorstellungen; es bilden sich Verschmelzungen,
Verbindungen, reihenförmige Anordnungen u. s. w,, die nach bestimmten psy¬
chischen Gesetzen verlaufen. Beweglichkeit und Gesetzmäßigkeit bilden die Angel¬
punkte der geistigen Thätigkeit. Damit ist der Begriff der Bildsamkeit ge¬
geben und die theoretische Möglichkeit der Erziehung dargethan.

In dem ersten Hauptteil des Werkes (Kapitel 1 bis 4) wird von dem
Verfasser außerdem das Verhältnis der Individualität zu dem Haupt¬
ziel dargelegt. Die Frage, wie Has allgemeine Ziel auf jeden einzelnen Zög¬
ling angewendet werden muß, wird im Sinne der Herbartischen Pädagogik
dahin beantwortet, daß die individualistische Lösung der allgemeinen Aufgabe
der Erziehung bei jedem einzelnen Zögling ein zweites großes Gesetz der Päda¬
gogik bildet, nicht minder wichtig und wertvoll, als die Bestimmung über das
Hauptziel der erzieherischen Thätigkeit. Ju ihm liegt Würde und Wert der
individuellen Entwicklung begründet gegenüber den Standpunkten, die das
Individuum herabwürdigen wollen zu dem willenlosen Mittel irgend einer
sozialen Gestaltung, wie dies z. B. im Jesuitenorden der Fall ist. Ihn würde
man, wenn es sich nur um religiöse Dinge handelte, ruhig unter uns
dulden können, da der Protestantismus keine Berechtigung zu existiren hat,
wenn er nicht die Konkurrenz des Jesuitenordens auszuhalten vermag, wohl
aber kann das Erziehungssystem der Väter Jesu nicht geduldet werden, da
es in seiner Einseitigkeit dem künftigen Staatsbürger zum Verhängnis werden
kann. Aus pädagogischen, nicht aus religiösen Gründen muß man den Orden
unsern Grenzen fernhalten.

Nach der theoretischen Grundlegung wendet sich der Verfasser nunmehr
den praktischen Aufgaben der Erziehung zu.

Hier werden folgende Fragen behandelt: 1. Wie können wir die Kinder
an die äußern Ordnungen des Lebens gewöhnen? 2. Wie können wir den
sittlichen Charakter und das Gemüt der Kinder bilden? 3. Wie müssen wir
durch systematisch-methodischen Unterricht die Vorstellungswelt der Kinder im
Sinne des höchsten Erzichungszweckes gestalten? Es sind die drei Begriffe:
Regierung der Kinder, Zucht, Unterricht, nach denen Herbart seine Erziehungs¬
theorie abhandelt gegenüber der gewöhnlichen Einteilung in Unterricht und


Deutsche Erziehung

Das ist genau der Standpunkt der Herbartischen Pädagogik. Nicht nur
in den ethischen, sondern auch in den psychologischen Voraussetzungen schließt
sich also der Verfasser diesem scharfen, vorsichtig und nüchtern vorgehenden
Forscher an. Er sagt sich, daß die Erreichbarkeit eines aufgestellten Zieles
nur da möglich ist, wo man im psychischen Leben auf einen sich gleich bleibenden
Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen, auf feste Gesetze des psychischen
Geschehens rechnen kann. Mit dieser Gesetzmäßigkeit ist aber zugleich eine
große Beweglichkeit der Vorstellungen verbunden. Jede Vorstellung äußert
sich infolge ihrer Gegensätze gegen andre wie eine Kraft. Hierdurch kommt
Bewegung in die Masse der Vorstellungen; es bilden sich Verschmelzungen,
Verbindungen, reihenförmige Anordnungen u. s. w,, die nach bestimmten psy¬
chischen Gesetzen verlaufen. Beweglichkeit und Gesetzmäßigkeit bilden die Angel¬
punkte der geistigen Thätigkeit. Damit ist der Begriff der Bildsamkeit ge¬
geben und die theoretische Möglichkeit der Erziehung dargethan.

In dem ersten Hauptteil des Werkes (Kapitel 1 bis 4) wird von dem
Verfasser außerdem das Verhältnis der Individualität zu dem Haupt¬
ziel dargelegt. Die Frage, wie Has allgemeine Ziel auf jeden einzelnen Zög¬
ling angewendet werden muß, wird im Sinne der Herbartischen Pädagogik
dahin beantwortet, daß die individualistische Lösung der allgemeinen Aufgabe
der Erziehung bei jedem einzelnen Zögling ein zweites großes Gesetz der Päda¬
gogik bildet, nicht minder wichtig und wertvoll, als die Bestimmung über das
Hauptziel der erzieherischen Thätigkeit. Ju ihm liegt Würde und Wert der
individuellen Entwicklung begründet gegenüber den Standpunkten, die das
Individuum herabwürdigen wollen zu dem willenlosen Mittel irgend einer
sozialen Gestaltung, wie dies z. B. im Jesuitenorden der Fall ist. Ihn würde
man, wenn es sich nur um religiöse Dinge handelte, ruhig unter uns
dulden können, da der Protestantismus keine Berechtigung zu existiren hat,
wenn er nicht die Konkurrenz des Jesuitenordens auszuhalten vermag, wohl
aber kann das Erziehungssystem der Väter Jesu nicht geduldet werden, da
es in seiner Einseitigkeit dem künftigen Staatsbürger zum Verhängnis werden
kann. Aus pädagogischen, nicht aus religiösen Gründen muß man den Orden
unsern Grenzen fernhalten.

Nach der theoretischen Grundlegung wendet sich der Verfasser nunmehr
den praktischen Aufgaben der Erziehung zu.

Hier werden folgende Fragen behandelt: 1. Wie können wir die Kinder
an die äußern Ordnungen des Lebens gewöhnen? 2. Wie können wir den
sittlichen Charakter und das Gemüt der Kinder bilden? 3. Wie müssen wir
durch systematisch-methodischen Unterricht die Vorstellungswelt der Kinder im
Sinne des höchsten Erzichungszweckes gestalten? Es sind die drei Begriffe:
Regierung der Kinder, Zucht, Unterricht, nach denen Herbart seine Erziehungs¬
theorie abhandelt gegenüber der gewöhnlichen Einteilung in Unterricht und


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[0034] Deutsche Erziehung Das ist genau der Standpunkt der Herbartischen Pädagogik. Nicht nur in den ethischen, sondern auch in den psychologischen Voraussetzungen schließt sich also der Verfasser diesem scharfen, vorsichtig und nüchtern vorgehenden Forscher an. Er sagt sich, daß die Erreichbarkeit eines aufgestellten Zieles nur da möglich ist, wo man im psychischen Leben auf einen sich gleich bleibenden Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen, auf feste Gesetze des psychischen Geschehens rechnen kann. Mit dieser Gesetzmäßigkeit ist aber zugleich eine große Beweglichkeit der Vorstellungen verbunden. Jede Vorstellung äußert sich infolge ihrer Gegensätze gegen andre wie eine Kraft. Hierdurch kommt Bewegung in die Masse der Vorstellungen; es bilden sich Verschmelzungen, Verbindungen, reihenförmige Anordnungen u. s. w,, die nach bestimmten psy¬ chischen Gesetzen verlaufen. Beweglichkeit und Gesetzmäßigkeit bilden die Angel¬ punkte der geistigen Thätigkeit. Damit ist der Begriff der Bildsamkeit ge¬ geben und die theoretische Möglichkeit der Erziehung dargethan. In dem ersten Hauptteil des Werkes (Kapitel 1 bis 4) wird von dem Verfasser außerdem das Verhältnis der Individualität zu dem Haupt¬ ziel dargelegt. Die Frage, wie Has allgemeine Ziel auf jeden einzelnen Zög¬ ling angewendet werden muß, wird im Sinne der Herbartischen Pädagogik dahin beantwortet, daß die individualistische Lösung der allgemeinen Aufgabe der Erziehung bei jedem einzelnen Zögling ein zweites großes Gesetz der Päda¬ gogik bildet, nicht minder wichtig und wertvoll, als die Bestimmung über das Hauptziel der erzieherischen Thätigkeit. Ju ihm liegt Würde und Wert der individuellen Entwicklung begründet gegenüber den Standpunkten, die das Individuum herabwürdigen wollen zu dem willenlosen Mittel irgend einer sozialen Gestaltung, wie dies z. B. im Jesuitenorden der Fall ist. Ihn würde man, wenn es sich nur um religiöse Dinge handelte, ruhig unter uns dulden können, da der Protestantismus keine Berechtigung zu existiren hat, wenn er nicht die Konkurrenz des Jesuitenordens auszuhalten vermag, wohl aber kann das Erziehungssystem der Väter Jesu nicht geduldet werden, da es in seiner Einseitigkeit dem künftigen Staatsbürger zum Verhängnis werden kann. Aus pädagogischen, nicht aus religiösen Gründen muß man den Orden unsern Grenzen fernhalten. Nach der theoretischen Grundlegung wendet sich der Verfasser nunmehr den praktischen Aufgaben der Erziehung zu. Hier werden folgende Fragen behandelt: 1. Wie können wir die Kinder an die äußern Ordnungen des Lebens gewöhnen? 2. Wie können wir den sittlichen Charakter und das Gemüt der Kinder bilden? 3. Wie müssen wir durch systematisch-methodischen Unterricht die Vorstellungswelt der Kinder im Sinne des höchsten Erzichungszweckes gestalten? Es sind die drei Begriffe: Regierung der Kinder, Zucht, Unterricht, nach denen Herbart seine Erziehungs¬ theorie abhandelt gegenüber der gewöhnlichen Einteilung in Unterricht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/34>, abgerufen am 23.11.2024.