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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Bodenbesitzreforin deutscher Richtung

läßt sie sich nicht abthun in der Weise, wie Preuß mit ihr umgeht,^) der so
wenig in die Gedankenwelt H. Georges und Flürscheims eingedrungen ist, daß
er meint, die Bvdenbesitzreform wolle die Immobilien dem Besitz des Privaten
entziehen und ihm nur den der Mobilien lassen! Ein Nationalökonom, der
mit der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung im wesentlichen unzufrieden ist, der,
halb notgedrungen, gewisse Übelstände zugiebt, die immerhin ihre Linderung
verlangten, der sein Glaubensbekenntnis dahin ausspricht, daß "die wirtschaft¬
liche Freiheit und die soziale Frage eigentlich korrelate Begriffe" seien, daß
"die Lösung der sozialen Frage die Beseitigung der wirtschaftlichen Freiheit"
heiße, der die Frage nach der "Gerechtigkeit" und nach der "Natur" der
Dinge kurz abschneidet, weil sie unbestimmte, "unkontrvllirbare" Begriffe seien
(während er, wo es ihm paßt, von der "natürlichen" Entwicklung der Volks¬
wirtschaft redet) der ist freilich wenig fähig, die Bodenbesitzreforin zu wider¬
legen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, einzelne Schwächen der Theorie
aufzuweisen. So wertvoll gesunde Theorien überall, auch in der Volkswirt¬
schaft siud, so sind sie doch nicht das Entscheidende. Wenn wir auf das Eude
des Streites der Gelehrten über Kapital und Krisen warten sollten, dann
kämen wir vielleicht aller fünfzig Jahr einen Schritt weiter.

Die Hauptsache ist für alle Forschungsgebiete die Praxis des Lebens.
Und da ist es auffallend, von wie vielen Seiten ans Vorschläge, die eine
gründlichere Umänderung unsrer Wirtschaftsordnung erstreben, eben auf diesen
Punkt hinweisen: Reform des Bodenbesitzes.

Zunächst die Sozinldemokratie. Sie fordert Vergesellschaftung des Grund
und Bodens und der Produktionsmittel. Die Bodenbesitzreforin erscheint darnach
wie ein Ausschnitt aus dem sozialdemokratischen Programm, eine auf halbem
Wege stehen gebliebene Sozialdemokratin Man sollte erwarten, daß diese mit
der Bodenbesitzreform Hand in Hand gehen würde. Statt dessen schweigt sie
sie tot, sieht sie über die Achsel um, belächelt sie. Dann und wann plaudert
einer der eingeweihtern Sozialdemokraten aus der Schule: "Es füllt uus uicht
ein, dem gegenwärtigen Staate neue Machtmittel zuzuführen." Freilich das
würde durch die Vodcubesitzrefvrm geschehen; die Sozialdemokratie erkennt sehr
Wohl den staatserhaltenden Charakter der Bvdenbesitzreform. Beide fordern
die Überführung des Grund und Bodens in das Eigentum der Gesellschaft;
aber "wenn zwei dasselbe thun, ist es uoch nicht dasselbe." Die Sozialdemo¬
kraten thun es, um dann auch alle Produktionsmittel für die Gesellschaft ein¬
zuziehen, die Bodenbesitzreformer, um sie dann erst völlig der wirtschaftlichen
Freiheit der Privaten zu überlassen, ohne irgend eine Steuer auf das Ge¬
werbe und das Produkt wirtschaftlicher Thätigkeit; sie wollen den gegen-



Die Bodenbesitzreforin als soziales Heilmittel. Von Dr. Hugo Preuß. Berlin,
1892. Diese Schrift gilt als eine der bedeutendsten Widerlegungen der Bodenbesitzreforin.
Grenzboten III 18NZ 33
Die Bodenbesitzreforin deutscher Richtung

läßt sie sich nicht abthun in der Weise, wie Preuß mit ihr umgeht,^) der so
wenig in die Gedankenwelt H. Georges und Flürscheims eingedrungen ist, daß
er meint, die Bvdenbesitzreform wolle die Immobilien dem Besitz des Privaten
entziehen und ihm nur den der Mobilien lassen! Ein Nationalökonom, der
mit der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung im wesentlichen unzufrieden ist, der,
halb notgedrungen, gewisse Übelstände zugiebt, die immerhin ihre Linderung
verlangten, der sein Glaubensbekenntnis dahin ausspricht, daß „die wirtschaft¬
liche Freiheit und die soziale Frage eigentlich korrelate Begriffe" seien, daß
„die Lösung der sozialen Frage die Beseitigung der wirtschaftlichen Freiheit"
heiße, der die Frage nach der „Gerechtigkeit" und nach der „Natur" der
Dinge kurz abschneidet, weil sie unbestimmte, „unkontrvllirbare" Begriffe seien
(während er, wo es ihm paßt, von der „natürlichen" Entwicklung der Volks¬
wirtschaft redet) der ist freilich wenig fähig, die Bodenbesitzreforin zu wider¬
legen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, einzelne Schwächen der Theorie
aufzuweisen. So wertvoll gesunde Theorien überall, auch in der Volkswirt¬
schaft siud, so sind sie doch nicht das Entscheidende. Wenn wir auf das Eude
des Streites der Gelehrten über Kapital und Krisen warten sollten, dann
kämen wir vielleicht aller fünfzig Jahr einen Schritt weiter.

Die Hauptsache ist für alle Forschungsgebiete die Praxis des Lebens.
Und da ist es auffallend, von wie vielen Seiten ans Vorschläge, die eine
gründlichere Umänderung unsrer Wirtschaftsordnung erstreben, eben auf diesen
Punkt hinweisen: Reform des Bodenbesitzes.

Zunächst die Sozinldemokratie. Sie fordert Vergesellschaftung des Grund
und Bodens und der Produktionsmittel. Die Bodenbesitzreforin erscheint darnach
wie ein Ausschnitt aus dem sozialdemokratischen Programm, eine auf halbem
Wege stehen gebliebene Sozialdemokratin Man sollte erwarten, daß diese mit
der Bodenbesitzreform Hand in Hand gehen würde. Statt dessen schweigt sie
sie tot, sieht sie über die Achsel um, belächelt sie. Dann und wann plaudert
einer der eingeweihtern Sozialdemokraten aus der Schule: „Es füllt uus uicht
ein, dem gegenwärtigen Staate neue Machtmittel zuzuführen." Freilich das
würde durch die Vodcubesitzrefvrm geschehen; die Sozialdemokratie erkennt sehr
Wohl den staatserhaltenden Charakter der Bvdenbesitzreform. Beide fordern
die Überführung des Grund und Bodens in das Eigentum der Gesellschaft;
aber „wenn zwei dasselbe thun, ist es uoch nicht dasselbe." Die Sozialdemo¬
kraten thun es, um dann auch alle Produktionsmittel für die Gesellschaft ein¬
zuziehen, die Bodenbesitzreformer, um sie dann erst völlig der wirtschaftlichen
Freiheit der Privaten zu überlassen, ohne irgend eine Steuer auf das Ge¬
werbe und das Produkt wirtschaftlicher Thätigkeit; sie wollen den gegen-



Die Bodenbesitzreforin als soziales Heilmittel. Von Dr. Hugo Preuß. Berlin,
1892. Diese Schrift gilt als eine der bedeutendsten Widerlegungen der Bodenbesitzreforin.
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[0305] Die Bodenbesitzreforin deutscher Richtung läßt sie sich nicht abthun in der Weise, wie Preuß mit ihr umgeht,^) der so wenig in die Gedankenwelt H. Georges und Flürscheims eingedrungen ist, daß er meint, die Bvdenbesitzreform wolle die Immobilien dem Besitz des Privaten entziehen und ihm nur den der Mobilien lassen! Ein Nationalökonom, der mit der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung im wesentlichen unzufrieden ist, der, halb notgedrungen, gewisse Übelstände zugiebt, die immerhin ihre Linderung verlangten, der sein Glaubensbekenntnis dahin ausspricht, daß „die wirtschaft¬ liche Freiheit und die soziale Frage eigentlich korrelate Begriffe" seien, daß „die Lösung der sozialen Frage die Beseitigung der wirtschaftlichen Freiheit" heiße, der die Frage nach der „Gerechtigkeit" und nach der „Natur" der Dinge kurz abschneidet, weil sie unbestimmte, „unkontrvllirbare" Begriffe seien (während er, wo es ihm paßt, von der „natürlichen" Entwicklung der Volks¬ wirtschaft redet) der ist freilich wenig fähig, die Bodenbesitzreforin zu wider¬ legen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, einzelne Schwächen der Theorie aufzuweisen. So wertvoll gesunde Theorien überall, auch in der Volkswirt¬ schaft siud, so sind sie doch nicht das Entscheidende. Wenn wir auf das Eude des Streites der Gelehrten über Kapital und Krisen warten sollten, dann kämen wir vielleicht aller fünfzig Jahr einen Schritt weiter. Die Hauptsache ist für alle Forschungsgebiete die Praxis des Lebens. Und da ist es auffallend, von wie vielen Seiten ans Vorschläge, die eine gründlichere Umänderung unsrer Wirtschaftsordnung erstreben, eben auf diesen Punkt hinweisen: Reform des Bodenbesitzes. Zunächst die Sozinldemokratie. Sie fordert Vergesellschaftung des Grund und Bodens und der Produktionsmittel. Die Bodenbesitzreforin erscheint darnach wie ein Ausschnitt aus dem sozialdemokratischen Programm, eine auf halbem Wege stehen gebliebene Sozialdemokratin Man sollte erwarten, daß diese mit der Bodenbesitzreform Hand in Hand gehen würde. Statt dessen schweigt sie sie tot, sieht sie über die Achsel um, belächelt sie. Dann und wann plaudert einer der eingeweihtern Sozialdemokraten aus der Schule: „Es füllt uus uicht ein, dem gegenwärtigen Staate neue Machtmittel zuzuführen." Freilich das würde durch die Vodcubesitzrefvrm geschehen; die Sozialdemokratie erkennt sehr Wohl den staatserhaltenden Charakter der Bvdenbesitzreform. Beide fordern die Überführung des Grund und Bodens in das Eigentum der Gesellschaft; aber „wenn zwei dasselbe thun, ist es uoch nicht dasselbe." Die Sozialdemo¬ kraten thun es, um dann auch alle Produktionsmittel für die Gesellschaft ein¬ zuziehen, die Bodenbesitzreformer, um sie dann erst völlig der wirtschaftlichen Freiheit der Privaten zu überlassen, ohne irgend eine Steuer auf das Ge¬ werbe und das Produkt wirtschaftlicher Thätigkeit; sie wollen den gegen- Die Bodenbesitzreforin als soziales Heilmittel. Von Dr. Hugo Preuß. Berlin, 1892. Diese Schrift gilt als eine der bedeutendsten Widerlegungen der Bodenbesitzreforin. Grenzboten III 18NZ 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/305>, abgerufen am 24.11.2024.