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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Bodenbesitzreform deutscher Richtung

Wirtschaftlichen Faktor, der weit stärker ist als das Kapital, das er erzeugt.
Die Arbeit ist bisher noch nicht erlegen unter der Last des Kapitals: man
gebiete nur dem Anwachsen dieser Last Halt, und die Arbeit arbeitet sich von
selber frei. Dieser Gedanke ist es, der der deutschen Bodenbesitzreform den
Weg zum Ziele zeigt. Man bestimme mir, daß, wahrend der gegenwärtige
Wert des Grund und Bodens den gegenwärtigen Besitzern verbleibt, der zu¬
künftig erworbne das Eigentum der Kommune, des Staats bilde.

Die Schätzung des gegenwärtigen Wertes liegt zum Teil schon vor in
der Schützling des Einkommens und des Vermögens, wie wir sie haben oder
planen, und würde keineswegs viel Schwierigkeiten machen. Die Höhe dieses
Wertes verbürgt die Gesellschaft dem Besitzer. Infolge der sich mehrenden
Arbeitsgelegenheit wird freilich im Bodenbesitzreformstaate der Wert des Bodens
schneller steigen als jetzt, wo er unter den ungünstigern Verhältnissen doch in
Deutschland innerhalb eines Jahrhunderts um das vierzehnfache gestiegen ist;
dennoch kann durch Naturereignisse, Versandung u. s. w. an einigen Stellen
der Wert sinken; die reicher werdende Gesellschaft nimmt den Schaden, der den
einzelnen vielleicht erdrücken würde, auf ihre stärkern Schultern.

Die Hypotheken bleiben Sache des Eigentümers; will er auf sein freies
oder schon belastetes Besitztum Geld aufnehmen, oder will er es verkaufen, so
braucht er sich nicht nach einem Darleiher oder Käufer umzusehn: die Kom¬
mune zahlt ihm bis zur Höhe des festgesetzten Wertes, die Gesellschaft erwirbt
den Grund und Boden, wie sie jetzt unter ungünstigern Umständen zu höherm
Preise in den östlichen Provinzen Preußens Güter erwirbt. Die Ablösung
wird eine einfache Fiuanzoperation, wie sie in neuester Zeit in Irland vor¬
genommen wird: dort kauft der Staat mit Hilfe seines Kredits den bisherigen
Landlord aus, erwirbt das Laud und bezieht von dem Farmer seinen bis¬
herigen Pacht; der Staat erleidet nicht die geringste Einbuße. Freilich läßt
er den Farmer wieder Grundeigentümer werden, ruft damit wieder die Grund¬
stücksspekulation wach und läßt deu zukünftig entstehenden Wert des Grund
und Bodens in die Taschen der Privaten fließen; die Finanzoperation Ir¬
lands selbst ist aber ganz gleich der von der deutschen Bodenbesitzreform ge¬
planten.

Was wird von dieser Festlegung des Bodeuwertes die Folge in dem ersten
Jahre sein? Die Grundstücksspekulation hört auf, und das Kapital kann nicht
mehr in Grund und Boden augelegt werden. Nun ist in Deutschland die
jährliche Mehrbelastung des Grund und Bodeus durch Hypotheken, nach Abzug
der zurückgezahlten, auf ziemlich eine Milliarde gestiegen. Diese Milliarde
sucht irgendwo anders Unterschlupf, nachdem ihr der Boden verschlossen ist.
Die Besitzer dieser Milliarde wollen zum größten Teile ihr Geld sicher an¬
legen; auf Argentinier, Portugiesen und Papiere ähnlichen Kalibers lassen
sie sich uicht ein, sie wühlen solidere öffentliche Papiere. Infolge des stärker


Die Bodenbesitzreform deutscher Richtung

Wirtschaftlichen Faktor, der weit stärker ist als das Kapital, das er erzeugt.
Die Arbeit ist bisher noch nicht erlegen unter der Last des Kapitals: man
gebiete nur dem Anwachsen dieser Last Halt, und die Arbeit arbeitet sich von
selber frei. Dieser Gedanke ist es, der der deutschen Bodenbesitzreform den
Weg zum Ziele zeigt. Man bestimme mir, daß, wahrend der gegenwärtige
Wert des Grund und Bodens den gegenwärtigen Besitzern verbleibt, der zu¬
künftig erworbne das Eigentum der Kommune, des Staats bilde.

Die Schätzung des gegenwärtigen Wertes liegt zum Teil schon vor in
der Schützling des Einkommens und des Vermögens, wie wir sie haben oder
planen, und würde keineswegs viel Schwierigkeiten machen. Die Höhe dieses
Wertes verbürgt die Gesellschaft dem Besitzer. Infolge der sich mehrenden
Arbeitsgelegenheit wird freilich im Bodenbesitzreformstaate der Wert des Bodens
schneller steigen als jetzt, wo er unter den ungünstigern Verhältnissen doch in
Deutschland innerhalb eines Jahrhunderts um das vierzehnfache gestiegen ist;
dennoch kann durch Naturereignisse, Versandung u. s. w. an einigen Stellen
der Wert sinken; die reicher werdende Gesellschaft nimmt den Schaden, der den
einzelnen vielleicht erdrücken würde, auf ihre stärkern Schultern.

Die Hypotheken bleiben Sache des Eigentümers; will er auf sein freies
oder schon belastetes Besitztum Geld aufnehmen, oder will er es verkaufen, so
braucht er sich nicht nach einem Darleiher oder Käufer umzusehn: die Kom¬
mune zahlt ihm bis zur Höhe des festgesetzten Wertes, die Gesellschaft erwirbt
den Grund und Boden, wie sie jetzt unter ungünstigern Umständen zu höherm
Preise in den östlichen Provinzen Preußens Güter erwirbt. Die Ablösung
wird eine einfache Fiuanzoperation, wie sie in neuester Zeit in Irland vor¬
genommen wird: dort kauft der Staat mit Hilfe seines Kredits den bisherigen
Landlord aus, erwirbt das Laud und bezieht von dem Farmer seinen bis¬
herigen Pacht; der Staat erleidet nicht die geringste Einbuße. Freilich läßt
er den Farmer wieder Grundeigentümer werden, ruft damit wieder die Grund¬
stücksspekulation wach und läßt deu zukünftig entstehenden Wert des Grund
und Bodens in die Taschen der Privaten fließen; die Finanzoperation Ir¬
lands selbst ist aber ganz gleich der von der deutschen Bodenbesitzreform ge¬
planten.

Was wird von dieser Festlegung des Bodeuwertes die Folge in dem ersten
Jahre sein? Die Grundstücksspekulation hört auf, und das Kapital kann nicht
mehr in Grund und Boden augelegt werden. Nun ist in Deutschland die
jährliche Mehrbelastung des Grund und Bodeus durch Hypotheken, nach Abzug
der zurückgezahlten, auf ziemlich eine Milliarde gestiegen. Diese Milliarde
sucht irgendwo anders Unterschlupf, nachdem ihr der Boden verschlossen ist.
Die Besitzer dieser Milliarde wollen zum größten Teile ihr Geld sicher an¬
legen; auf Argentinier, Portugiesen und Papiere ähnlichen Kalibers lassen
sie sich uicht ein, sie wühlen solidere öffentliche Papiere. Infolge des stärker


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[0301] Die Bodenbesitzreform deutscher Richtung Wirtschaftlichen Faktor, der weit stärker ist als das Kapital, das er erzeugt. Die Arbeit ist bisher noch nicht erlegen unter der Last des Kapitals: man gebiete nur dem Anwachsen dieser Last Halt, und die Arbeit arbeitet sich von selber frei. Dieser Gedanke ist es, der der deutschen Bodenbesitzreform den Weg zum Ziele zeigt. Man bestimme mir, daß, wahrend der gegenwärtige Wert des Grund und Bodens den gegenwärtigen Besitzern verbleibt, der zu¬ künftig erworbne das Eigentum der Kommune, des Staats bilde. Die Schätzung des gegenwärtigen Wertes liegt zum Teil schon vor in der Schützling des Einkommens und des Vermögens, wie wir sie haben oder planen, und würde keineswegs viel Schwierigkeiten machen. Die Höhe dieses Wertes verbürgt die Gesellschaft dem Besitzer. Infolge der sich mehrenden Arbeitsgelegenheit wird freilich im Bodenbesitzreformstaate der Wert des Bodens schneller steigen als jetzt, wo er unter den ungünstigern Verhältnissen doch in Deutschland innerhalb eines Jahrhunderts um das vierzehnfache gestiegen ist; dennoch kann durch Naturereignisse, Versandung u. s. w. an einigen Stellen der Wert sinken; die reicher werdende Gesellschaft nimmt den Schaden, der den einzelnen vielleicht erdrücken würde, auf ihre stärkern Schultern. Die Hypotheken bleiben Sache des Eigentümers; will er auf sein freies oder schon belastetes Besitztum Geld aufnehmen, oder will er es verkaufen, so braucht er sich nicht nach einem Darleiher oder Käufer umzusehn: die Kom¬ mune zahlt ihm bis zur Höhe des festgesetzten Wertes, die Gesellschaft erwirbt den Grund und Boden, wie sie jetzt unter ungünstigern Umständen zu höherm Preise in den östlichen Provinzen Preußens Güter erwirbt. Die Ablösung wird eine einfache Fiuanzoperation, wie sie in neuester Zeit in Irland vor¬ genommen wird: dort kauft der Staat mit Hilfe seines Kredits den bisherigen Landlord aus, erwirbt das Laud und bezieht von dem Farmer seinen bis¬ herigen Pacht; der Staat erleidet nicht die geringste Einbuße. Freilich läßt er den Farmer wieder Grundeigentümer werden, ruft damit wieder die Grund¬ stücksspekulation wach und läßt deu zukünftig entstehenden Wert des Grund und Bodens in die Taschen der Privaten fließen; die Finanzoperation Ir¬ lands selbst ist aber ganz gleich der von der deutschen Bodenbesitzreform ge¬ planten. Was wird von dieser Festlegung des Bodeuwertes die Folge in dem ersten Jahre sein? Die Grundstücksspekulation hört auf, und das Kapital kann nicht mehr in Grund und Boden augelegt werden. Nun ist in Deutschland die jährliche Mehrbelastung des Grund und Bodeus durch Hypotheken, nach Abzug der zurückgezahlten, auf ziemlich eine Milliarde gestiegen. Diese Milliarde sucht irgendwo anders Unterschlupf, nachdem ihr der Boden verschlossen ist. Die Besitzer dieser Milliarde wollen zum größten Teile ihr Geld sicher an¬ legen; auf Argentinier, Portugiesen und Papiere ähnlichen Kalibers lassen sie sich uicht ein, sie wühlen solidere öffentliche Papiere. Infolge des stärker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/301>, abgerufen am 24.11.2024.