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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Bodenbesitzreform deutscher Richtung

als Lehen und unveräußerlicher Familienbesitz festgelegt. Die Bekehrten hatten
dafür dem Gemeinwesen Dienste mit Stellung und Erhaltung von Kriegern u.s.w.
zu leisten. Nach der Restauration wurde an deren Stelle eine feste Abgabe
gesetzt im Betrage von vier Schilling von dem Pfunde des damaligen Ertrages
der Grund- und Bodenrenke. Dieselbe Summe wird noch heute gezahlt,
während der Wert des Grund und Bodens, zumal in London, ganz enorm
gestiegen ist; und dabei gehört die Hälfte des Grund und Bodens in Eng¬
land einigen hundertfünfzig Familien, in Schottland einem Dutzend Familien
und der größte Teil des Bodens in London einigen wenigen Lords. Dort
hat ganz augenscheinlich die Gesellschaft durch ihre Betriebsamkeit den Wert
des Bodens, statt für sich, nur sür diese kleine Zahl von Familien erhöht.
Während sich die Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse den Kopf zer¬
brach über neue Steuern und sogar auf Schornstein- und Fenstersteuer verfiel,
während sie gezwungen war, Schulden über Schulden zu machen, immer un¬
fähiger wurde, darbenden Massen genügend Arbeit und Brot zu bieten, häuften
sich die Reichtümer in den Händen jener Familien, die außerdem ihre Macht
noch in dem Parlament zu den sogenannten vnolosurv g,ot,8 mißbrauchten:
zwischen 1702 und 1876 wurden sieben Millionen Acres, die bis dahin Ge¬
meindeland gewesen waren, den Großgrundbesitzern überlassen.

So ist in England die volkswirtschaftlich verderbliche Wirkung des Privat¬
eigentums an Grund und Boden mit Händen zu greifen. Dort giebt es viele
Großgrundbesitzer, die man, wenn sie ihre Entrüstung darüber äußern, daß man
ihnen das Land ihrer Väter nehmen will, mit dem Worte H. Georges ver¬
blüffet: kann: von'l )'on tilaka, ^ein ima it, lonz- "znonAll? Die Bodeubesitz-
reformer Englands sagen sich: wie sollten wir diese Leute noch entschädigen?
Sie müssen froh sein, wenn wir nicht eine Kostenrechnung machen für allen
arbeitslosen, der Gesellschaft gehörenden Erwerb der Vergangenheit. Da er¬
scheint jener Vorschlag, nicht plötzlich, sondern allmählich in einem Zeitraum
von zwanzig Jahren die Grundrente ganz einzuziehen, als ein Vorschlag des
Konservatismus, vorsichtiger Besonnenheit.

Anders in Deutschland. Hier ist der Grundbesitz in den Händen einer
und derselben Familie seit Jahrhunderten nicht so häufig; ganz besonders ist
der Grundbesitz ganzer Städte nicht in dem unveräußerliche" Besitz einzelner
Familien. Und selbst, wo der Grundbesitz seit einer Geschlechterreihe in der¬
selben Familie geblieben ist, ist er in den weit überwiegenden Fällen durch
eine Art von Kauf in den Besitz des Erben gelangt, indem der sogenannte
Anerbe die Geschwister ausgezahlt und erforderlichenfalls das Grundstück mit
Hhpotheken belastet hat. Da wäre es doch eine schreiende Ungerechtigkeit,
wenn den gegenwärtigen Besitzern des Grund und Bodens ihre Grundrente
allmählich verringert und endlich ganz genommen werden sollte.

Eine solche Konfiskation ließe sich nur durch die dringendste Not recht-


Die Bodenbesitzreform deutscher Richtung

als Lehen und unveräußerlicher Familienbesitz festgelegt. Die Bekehrten hatten
dafür dem Gemeinwesen Dienste mit Stellung und Erhaltung von Kriegern u.s.w.
zu leisten. Nach der Restauration wurde an deren Stelle eine feste Abgabe
gesetzt im Betrage von vier Schilling von dem Pfunde des damaligen Ertrages
der Grund- und Bodenrenke. Dieselbe Summe wird noch heute gezahlt,
während der Wert des Grund und Bodens, zumal in London, ganz enorm
gestiegen ist; und dabei gehört die Hälfte des Grund und Bodens in Eng¬
land einigen hundertfünfzig Familien, in Schottland einem Dutzend Familien
und der größte Teil des Bodens in London einigen wenigen Lords. Dort
hat ganz augenscheinlich die Gesellschaft durch ihre Betriebsamkeit den Wert
des Bodens, statt für sich, nur sür diese kleine Zahl von Familien erhöht.
Während sich die Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse den Kopf zer¬
brach über neue Steuern und sogar auf Schornstein- und Fenstersteuer verfiel,
während sie gezwungen war, Schulden über Schulden zu machen, immer un¬
fähiger wurde, darbenden Massen genügend Arbeit und Brot zu bieten, häuften
sich die Reichtümer in den Händen jener Familien, die außerdem ihre Macht
noch in dem Parlament zu den sogenannten vnolosurv g,ot,8 mißbrauchten:
zwischen 1702 und 1876 wurden sieben Millionen Acres, die bis dahin Ge¬
meindeland gewesen waren, den Großgrundbesitzern überlassen.

So ist in England die volkswirtschaftlich verderbliche Wirkung des Privat¬
eigentums an Grund und Boden mit Händen zu greifen. Dort giebt es viele
Großgrundbesitzer, die man, wenn sie ihre Entrüstung darüber äußern, daß man
ihnen das Land ihrer Väter nehmen will, mit dem Worte H. Georges ver¬
blüffet: kann: von'l )'on tilaka, ^ein ima it, lonz- «znonAll? Die Bodeubesitz-
reformer Englands sagen sich: wie sollten wir diese Leute noch entschädigen?
Sie müssen froh sein, wenn wir nicht eine Kostenrechnung machen für allen
arbeitslosen, der Gesellschaft gehörenden Erwerb der Vergangenheit. Da er¬
scheint jener Vorschlag, nicht plötzlich, sondern allmählich in einem Zeitraum
von zwanzig Jahren die Grundrente ganz einzuziehen, als ein Vorschlag des
Konservatismus, vorsichtiger Besonnenheit.

Anders in Deutschland. Hier ist der Grundbesitz in den Händen einer
und derselben Familie seit Jahrhunderten nicht so häufig; ganz besonders ist
der Grundbesitz ganzer Städte nicht in dem unveräußerliche» Besitz einzelner
Familien. Und selbst, wo der Grundbesitz seit einer Geschlechterreihe in der¬
selben Familie geblieben ist, ist er in den weit überwiegenden Fällen durch
eine Art von Kauf in den Besitz des Erben gelangt, indem der sogenannte
Anerbe die Geschwister ausgezahlt und erforderlichenfalls das Grundstück mit
Hhpotheken belastet hat. Da wäre es doch eine schreiende Ungerechtigkeit,
wenn den gegenwärtigen Besitzern des Grund und Bodens ihre Grundrente
allmählich verringert und endlich ganz genommen werden sollte.

Eine solche Konfiskation ließe sich nur durch die dringendste Not recht-


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[0299] Die Bodenbesitzreform deutscher Richtung als Lehen und unveräußerlicher Familienbesitz festgelegt. Die Bekehrten hatten dafür dem Gemeinwesen Dienste mit Stellung und Erhaltung von Kriegern u.s.w. zu leisten. Nach der Restauration wurde an deren Stelle eine feste Abgabe gesetzt im Betrage von vier Schilling von dem Pfunde des damaligen Ertrages der Grund- und Bodenrenke. Dieselbe Summe wird noch heute gezahlt, während der Wert des Grund und Bodens, zumal in London, ganz enorm gestiegen ist; und dabei gehört die Hälfte des Grund und Bodens in Eng¬ land einigen hundertfünfzig Familien, in Schottland einem Dutzend Familien und der größte Teil des Bodens in London einigen wenigen Lords. Dort hat ganz augenscheinlich die Gesellschaft durch ihre Betriebsamkeit den Wert des Bodens, statt für sich, nur sür diese kleine Zahl von Familien erhöht. Während sich die Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse den Kopf zer¬ brach über neue Steuern und sogar auf Schornstein- und Fenstersteuer verfiel, während sie gezwungen war, Schulden über Schulden zu machen, immer un¬ fähiger wurde, darbenden Massen genügend Arbeit und Brot zu bieten, häuften sich die Reichtümer in den Händen jener Familien, die außerdem ihre Macht noch in dem Parlament zu den sogenannten vnolosurv g,ot,8 mißbrauchten: zwischen 1702 und 1876 wurden sieben Millionen Acres, die bis dahin Ge¬ meindeland gewesen waren, den Großgrundbesitzern überlassen. So ist in England die volkswirtschaftlich verderbliche Wirkung des Privat¬ eigentums an Grund und Boden mit Händen zu greifen. Dort giebt es viele Großgrundbesitzer, die man, wenn sie ihre Entrüstung darüber äußern, daß man ihnen das Land ihrer Väter nehmen will, mit dem Worte H. Georges ver¬ blüffet: kann: von'l )'on tilaka, ^ein ima it, lonz- «znonAll? Die Bodeubesitz- reformer Englands sagen sich: wie sollten wir diese Leute noch entschädigen? Sie müssen froh sein, wenn wir nicht eine Kostenrechnung machen für allen arbeitslosen, der Gesellschaft gehörenden Erwerb der Vergangenheit. Da er¬ scheint jener Vorschlag, nicht plötzlich, sondern allmählich in einem Zeitraum von zwanzig Jahren die Grundrente ganz einzuziehen, als ein Vorschlag des Konservatismus, vorsichtiger Besonnenheit. Anders in Deutschland. Hier ist der Grundbesitz in den Händen einer und derselben Familie seit Jahrhunderten nicht so häufig; ganz besonders ist der Grundbesitz ganzer Städte nicht in dem unveräußerliche» Besitz einzelner Familien. Und selbst, wo der Grundbesitz seit einer Geschlechterreihe in der¬ selben Familie geblieben ist, ist er in den weit überwiegenden Fällen durch eine Art von Kauf in den Besitz des Erben gelangt, indem der sogenannte Anerbe die Geschwister ausgezahlt und erforderlichenfalls das Grundstück mit Hhpotheken belastet hat. Da wäre es doch eine schreiende Ungerechtigkeit, wenn den gegenwärtigen Besitzern des Grund und Bodens ihre Grundrente allmählich verringert und endlich ganz genommen werden sollte. Eine solche Konfiskation ließe sich nur durch die dringendste Not recht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/299>, abgerufen am 23.11.2024.