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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

Die deutsche Reichspacketpost, Bon Dr. Charles Henry Hull. Jena, Gustav
Fischer, 1893

Diese gründliche historisch-statistisch-vollswirtschnftliche Arbeit -- wie es scheint
eines Amerikaners -- stellt unserm in neuerer Zeit viel geärgerten Stephan ein
glänzendes Zeugnis aus. Unter den neuen Eindrücken, heißt es im Vorwort, "die
jeder Ausländer bei dem ersten Betreten deutschen Bodens gewinnen muß, bleibt
manchem vielleicht der des lebhaften Postpacketverkehrs ans den großen Bahnhöfen
mit am schärfsten im Gedächtnis eingeprägt. Der Amerikaner, der nur die Leistungen
der einheimischen Speditionsgesellschaften kennt, ist besonders geneigt, den ungeahnten
Umfang des von der Reichspacketpost bewältigten Verkehrs zu bewundern, und
wenn er auch das niedrige deutsche Packetporto keimen lernt, wird fein Erstaunen
noch gesteigert." Aber trotzdem daß der Verfasser die Billigkeit unsrer Portosätze
anerkennt, hält er doch eine Reform fiir wünschenswert, namentlich deswegen, weil
die Beschränkung des billige" Einheitssatzes (genauer der zwei Einheitssätze) auf
das Gewicht von fünf Kilogramm in vielen Fällen durch Teilung schwererer Packete
in mehrere leichtere umgangen wird, woraus den Postbeamten viel unnötige Mehr¬
arbeit erwächst. Er hält deshalb den Vorschlag fiir beachtenswert, den Einheits¬
satz (vielleicht fünfzig Pfennige) für Entfernungen über zehn Meilen auf Packete
jedes Gewichts auszudehnen, oder doch das Maximalgewicht von fünf auf min¬
destens zehn Kilogramm zu erhöhen. Besondre Abschnitte find den Eisenbahn-
leistuugen für Postzwecke und der Finanzlage der Reichspacketpost gewidmet.


Studien zur Litteraturgeschichte. Michael Bernays gewidmet von Schülern und
Freunden. Hamburg und Leipzig, Leopold Voß, 1893

In der Hauptsache ist es fleißige Hilfsarbeit zur Litteraturgeschichte, die hier,
in die neueste Modesprache der deutschen Litteraturgeschichte gekleidet und von
den meisten Verfassern nicht ohne Wichtigthuerei mit ihrer werten Persönlichkeit,
dargeboten wird. H. W. Singer hat einige englische Urteile über Dramen deutscher
Klassiker gesammelt, Max Koch bringt neues bei über den Schauspieler Pius
Alexander Wolff, K. Borinski giebt einen geschichtlichen Überblick über den Ge¬
brauch oder Mißbrauch, den Sinn über den Versfuß hinauszuführen (Enjambe¬
ment), H. Wölfflin bespricht des jungen Wackenroders "Herzensergießungen eines
kunstliebenden Klosterbruders," G. Witkowski Goethes Beziehungen zu dem fran¬
zösischen Bildhauer und Kunstschriftsteller Falconet, H. Simonsfcld hat zur Ge¬
schichte der Kassandra Fedele, W. Bormann über Schillers "Künstler" und
F. Kühnemann über Herders letzten Kampf gegen Kant geschrieben. Unbekannte
Briefe Weckherlins teilt H. Schmorr von Carolsfeld mit, ein uraltes Märchen von
der Jungfrau mit dem goldnen Haar erzählt W. Golther, wobei er das Ver¬
hältnis einer nordischen Überlieferung zur französischen Tristansage beleuchtet, ein
H. Bodmer berichtet ausführlich über die Entstehungsgeschichte der Miltonüber-
fetznng des alten Bodmer, H. Wunderlich über den ältesten deutschen Übersetzer
des Terenz, den er in dem Ulmer Bürger Hans Neidhart ausgegraben hat, und
W. Söderhjelm über zwei Guillaume Coquillart zugeschriebne Monologe. Am
Schlüsse teilt K. Vollmöller Auszüge ans einer unbekannten altspanischen Über-
setzung der Ilias mit, und I. Elias Bruchstücke eiuer Shakespeareübersetzung von
Johann Gottlieb Regis, dem genialen Sonderling, dem trefflichen Übersetzer des
Gargcmtua, der seine Anschauung von der Kunst des Übersetzens einmal in die er¬
schöpfenden Worte gefaßt hat: "Nach meiner Idee muß der rechte Übersetzer nichts


Litteratur

Die deutsche Reichspacketpost, Bon Dr. Charles Henry Hull. Jena, Gustav
Fischer, 1893

Diese gründliche historisch-statistisch-vollswirtschnftliche Arbeit — wie es scheint
eines Amerikaners — stellt unserm in neuerer Zeit viel geärgerten Stephan ein
glänzendes Zeugnis aus. Unter den neuen Eindrücken, heißt es im Vorwort, „die
jeder Ausländer bei dem ersten Betreten deutschen Bodens gewinnen muß, bleibt
manchem vielleicht der des lebhaften Postpacketverkehrs ans den großen Bahnhöfen
mit am schärfsten im Gedächtnis eingeprägt. Der Amerikaner, der nur die Leistungen
der einheimischen Speditionsgesellschaften kennt, ist besonders geneigt, den ungeahnten
Umfang des von der Reichspacketpost bewältigten Verkehrs zu bewundern, und
wenn er auch das niedrige deutsche Packetporto keimen lernt, wird fein Erstaunen
noch gesteigert." Aber trotzdem daß der Verfasser die Billigkeit unsrer Portosätze
anerkennt, hält er doch eine Reform fiir wünschenswert, namentlich deswegen, weil
die Beschränkung des billige» Einheitssatzes (genauer der zwei Einheitssätze) auf
das Gewicht von fünf Kilogramm in vielen Fällen durch Teilung schwererer Packete
in mehrere leichtere umgangen wird, woraus den Postbeamten viel unnötige Mehr¬
arbeit erwächst. Er hält deshalb den Vorschlag fiir beachtenswert, den Einheits¬
satz (vielleicht fünfzig Pfennige) für Entfernungen über zehn Meilen auf Packete
jedes Gewichts auszudehnen, oder doch das Maximalgewicht von fünf auf min¬
destens zehn Kilogramm zu erhöhen. Besondre Abschnitte find den Eisenbahn-
leistuugen für Postzwecke und der Finanzlage der Reichspacketpost gewidmet.


Studien zur Litteraturgeschichte. Michael Bernays gewidmet von Schülern und
Freunden. Hamburg und Leipzig, Leopold Voß, 1893

In der Hauptsache ist es fleißige Hilfsarbeit zur Litteraturgeschichte, die hier,
in die neueste Modesprache der deutschen Litteraturgeschichte gekleidet und von
den meisten Verfassern nicht ohne Wichtigthuerei mit ihrer werten Persönlichkeit,
dargeboten wird. H. W. Singer hat einige englische Urteile über Dramen deutscher
Klassiker gesammelt, Max Koch bringt neues bei über den Schauspieler Pius
Alexander Wolff, K. Borinski giebt einen geschichtlichen Überblick über den Ge¬
brauch oder Mißbrauch, den Sinn über den Versfuß hinauszuführen (Enjambe¬
ment), H. Wölfflin bespricht des jungen Wackenroders „Herzensergießungen eines
kunstliebenden Klosterbruders," G. Witkowski Goethes Beziehungen zu dem fran¬
zösischen Bildhauer und Kunstschriftsteller Falconet, H. Simonsfcld hat zur Ge¬
schichte der Kassandra Fedele, W. Bormann über Schillers „Künstler" und
F. Kühnemann über Herders letzten Kampf gegen Kant geschrieben. Unbekannte
Briefe Weckherlins teilt H. Schmorr von Carolsfeld mit, ein uraltes Märchen von
der Jungfrau mit dem goldnen Haar erzählt W. Golther, wobei er das Ver¬
hältnis einer nordischen Überlieferung zur französischen Tristansage beleuchtet, ein
H. Bodmer berichtet ausführlich über die Entstehungsgeschichte der Miltonüber-
fetznng des alten Bodmer, H. Wunderlich über den ältesten deutschen Übersetzer
des Terenz, den er in dem Ulmer Bürger Hans Neidhart ausgegraben hat, und
W. Söderhjelm über zwei Guillaume Coquillart zugeschriebne Monologe. Am
Schlüsse teilt K. Vollmöller Auszüge ans einer unbekannten altspanischen Über-
setzung der Ilias mit, und I. Elias Bruchstücke eiuer Shakespeareübersetzung von
Johann Gottlieb Regis, dem genialen Sonderling, dem trefflichen Übersetzer des
Gargcmtua, der seine Anschauung von der Kunst des Übersetzens einmal in die er¬
schöpfenden Worte gefaßt hat: „Nach meiner Idee muß der rechte Übersetzer nichts


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[0295] Litteratur Die deutsche Reichspacketpost, Bon Dr. Charles Henry Hull. Jena, Gustav Fischer, 1893 Diese gründliche historisch-statistisch-vollswirtschnftliche Arbeit — wie es scheint eines Amerikaners — stellt unserm in neuerer Zeit viel geärgerten Stephan ein glänzendes Zeugnis aus. Unter den neuen Eindrücken, heißt es im Vorwort, „die jeder Ausländer bei dem ersten Betreten deutschen Bodens gewinnen muß, bleibt manchem vielleicht der des lebhaften Postpacketverkehrs ans den großen Bahnhöfen mit am schärfsten im Gedächtnis eingeprägt. Der Amerikaner, der nur die Leistungen der einheimischen Speditionsgesellschaften kennt, ist besonders geneigt, den ungeahnten Umfang des von der Reichspacketpost bewältigten Verkehrs zu bewundern, und wenn er auch das niedrige deutsche Packetporto keimen lernt, wird fein Erstaunen noch gesteigert." Aber trotzdem daß der Verfasser die Billigkeit unsrer Portosätze anerkennt, hält er doch eine Reform fiir wünschenswert, namentlich deswegen, weil die Beschränkung des billige» Einheitssatzes (genauer der zwei Einheitssätze) auf das Gewicht von fünf Kilogramm in vielen Fällen durch Teilung schwererer Packete in mehrere leichtere umgangen wird, woraus den Postbeamten viel unnötige Mehr¬ arbeit erwächst. Er hält deshalb den Vorschlag fiir beachtenswert, den Einheits¬ satz (vielleicht fünfzig Pfennige) für Entfernungen über zehn Meilen auf Packete jedes Gewichts auszudehnen, oder doch das Maximalgewicht von fünf auf min¬ destens zehn Kilogramm zu erhöhen. Besondre Abschnitte find den Eisenbahn- leistuugen für Postzwecke und der Finanzlage der Reichspacketpost gewidmet. Studien zur Litteraturgeschichte. Michael Bernays gewidmet von Schülern und Freunden. Hamburg und Leipzig, Leopold Voß, 1893 In der Hauptsache ist es fleißige Hilfsarbeit zur Litteraturgeschichte, die hier, in die neueste Modesprache der deutschen Litteraturgeschichte gekleidet und von den meisten Verfassern nicht ohne Wichtigthuerei mit ihrer werten Persönlichkeit, dargeboten wird. H. W. Singer hat einige englische Urteile über Dramen deutscher Klassiker gesammelt, Max Koch bringt neues bei über den Schauspieler Pius Alexander Wolff, K. Borinski giebt einen geschichtlichen Überblick über den Ge¬ brauch oder Mißbrauch, den Sinn über den Versfuß hinauszuführen (Enjambe¬ ment), H. Wölfflin bespricht des jungen Wackenroders „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders," G. Witkowski Goethes Beziehungen zu dem fran¬ zösischen Bildhauer und Kunstschriftsteller Falconet, H. Simonsfcld hat zur Ge¬ schichte der Kassandra Fedele, W. Bormann über Schillers „Künstler" und F. Kühnemann über Herders letzten Kampf gegen Kant geschrieben. Unbekannte Briefe Weckherlins teilt H. Schmorr von Carolsfeld mit, ein uraltes Märchen von der Jungfrau mit dem goldnen Haar erzählt W. Golther, wobei er das Ver¬ hältnis einer nordischen Überlieferung zur französischen Tristansage beleuchtet, ein H. Bodmer berichtet ausführlich über die Entstehungsgeschichte der Miltonüber- fetznng des alten Bodmer, H. Wunderlich über den ältesten deutschen Übersetzer des Terenz, den er in dem Ulmer Bürger Hans Neidhart ausgegraben hat, und W. Söderhjelm über zwei Guillaume Coquillart zugeschriebne Monologe. Am Schlüsse teilt K. Vollmöller Auszüge ans einer unbekannten altspanischen Über- setzung der Ilias mit, und I. Elias Bruchstücke eiuer Shakespeareübersetzung von Johann Gottlieb Regis, dem genialen Sonderling, dem trefflichen Übersetzer des Gargcmtua, der seine Anschauung von der Kunst des Übersetzens einmal in die er¬ schöpfenden Worte gefaßt hat: „Nach meiner Idee muß der rechte Übersetzer nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/295>, abgerufen am 23.11.2024.