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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gericht bleibt bei seiner frühern Ansicht und beschließt am 20. März 1393, indem
es sich die Entscheidung über die noch anhängige Berufung vorbehält, das Amts¬
gericht anzuweisen, einen Termin anzuberaumen. Die Kosten sollen dem Kläger
zur Last fallen.

8. Hiergegen erhebt der Kläger Beschwerde beim Oberlandesgericht. Am
18. April 1883 ergeht ein Beschluß des Oberlandesgerichts: Der Beschluß des
Landgerichts vom 20. März 1893 werde aufgehoben und die Beschwerde gegen
deu Beschluß des Amtsgerichts vom 1. Oktober 1892 als unzulässig zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens in beiden Instanzen trage der Beklagte. In
einer eingehenden Vegründnng (über vier eng geschriebne Folioseiten) wird aus¬
geführt, daß zwar eine Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts, aber nicht
eine Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts zulässig sei.

9. Beschwerde des Beklagten beim Reichsgericht. Dieses hebt den Beschluß
des Oberlandesgerichts vom 13. April auf und erklärt die Beschwerde gegen den
Beschluß des Landgerichts vom 20. März 1893 für unzulässig. Dem Kläger
werden die durch die Beschwerden beim Oberlandesgericht und beim Reichs¬
gericht erwachsenen Kosten auferlegt. Grund: Es geniige nicht, um die Zulässig-
keit der wettern Beschwerde zu begründen, daß das Landgericht vielleicht mit Un¬
recht eine Beschwerde gegen die amtsgcrichtliche Entscheidung für zulässig erachtet
habe. Die weitere Beschwerde sei vielmehr nur statthaft, wenn sie durch eine
positive Bestimmung gestattet sei; an einer solchen Bestimmung fehle es aber im
vorliegenden Falle.

Der Beschluß des Landgerichts vom 20. März 1893 bleibt also in Kraft.
A braucht, um seine Gegenforderung geltend zu machen, keinen neuen Prozeß an¬
zustrengen.

Jetzt werden hoffentlich die Parteien, die sich bisher nnr in vorbereitenden
Handlungen und Beschlüssen bewegten, zur Verhandlung ihres eigentlichen Streites
gelangen. Uneinig sind sie ja nur darüber, ob X dem D 19 Mark als Entschädi¬
gung zu zahlen habe. Nun, so bald wird es freilich immer noch nicht werden,
denn zunächst kommen die zweimonatlichen Gerichtsferien!

Dieser einfache Rechtsfall stellt die Vorzüge unsers Zivilprvzeßverfahrens ins
hellste Licht. Er zeigt, mit welcher Gründlichkeit auch unbedeutende Sachen be¬
handelt werden. Obgleich es sich nur um 19 Mark handelt, haben doch mindestens
sechzehn Richter bis jetzt darüber zu "befinden" gehabt, und zwar sind alle wieder¬
holt damit beschäftigt gewesen. Die von ihnen gefaßten Beschlüsse sind zum Teil
ausführlich begründet worden. Wir sehen, unser Prozeßverfahren sorgt für die
Beschäftigung der Juristen, und das ist bei dem gegenwärtigen Überfluß an Ju¬
risten kein geringer Vorzug. Ferner giebt es keine Prozeßordnung, die in dem
Maße wie die unsrige geeignet wäre, den Scharfsinn der Juristen anzuregen und
auszubilden. Freilich, den Parteien werden die 19 Mark derer zu stehen
kommen, auch dürfte thuen vielleicht eine schleunige Erledigung des Streits lieber
sein, als die scharfsinnigsten Erörterungen von Rechtsfragen. Aber es giebt nun
einmal kein Licht ohne Schatten.


Nochmals die chinesische Mauer.

Nur um ein wenig Raum möcht' ich
bitten, um eine Bemerkung zu meinem Aufsatz "Auch ein Lehrplan" nachzutragen.
Die Kölnische Zeitung bringt in Ur. 593, der Beilage zur Sonntagsausgabe vom
23. Juli, einen Aufsatz ihres Berichterstatters von der Weltausstellung in Chicago,
überschrieben "Amerikanische Lebensläufe." Der Weltausstellungsmann sitzt in


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gericht bleibt bei seiner frühern Ansicht und beschließt am 20. März 1393, indem
es sich die Entscheidung über die noch anhängige Berufung vorbehält, das Amts¬
gericht anzuweisen, einen Termin anzuberaumen. Die Kosten sollen dem Kläger
zur Last fallen.

8. Hiergegen erhebt der Kläger Beschwerde beim Oberlandesgericht. Am
18. April 1883 ergeht ein Beschluß des Oberlandesgerichts: Der Beschluß des
Landgerichts vom 20. März 1893 werde aufgehoben und die Beschwerde gegen
deu Beschluß des Amtsgerichts vom 1. Oktober 1892 als unzulässig zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens in beiden Instanzen trage der Beklagte. In
einer eingehenden Vegründnng (über vier eng geschriebne Folioseiten) wird aus¬
geführt, daß zwar eine Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts, aber nicht
eine Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts zulässig sei.

9. Beschwerde des Beklagten beim Reichsgericht. Dieses hebt den Beschluß
des Oberlandesgerichts vom 13. April auf und erklärt die Beschwerde gegen den
Beschluß des Landgerichts vom 20. März 1893 für unzulässig. Dem Kläger
werden die durch die Beschwerden beim Oberlandesgericht und beim Reichs¬
gericht erwachsenen Kosten auferlegt. Grund: Es geniige nicht, um die Zulässig-
keit der wettern Beschwerde zu begründen, daß das Landgericht vielleicht mit Un¬
recht eine Beschwerde gegen die amtsgcrichtliche Entscheidung für zulässig erachtet
habe. Die weitere Beschwerde sei vielmehr nur statthaft, wenn sie durch eine
positive Bestimmung gestattet sei; an einer solchen Bestimmung fehle es aber im
vorliegenden Falle.

Der Beschluß des Landgerichts vom 20. März 1893 bleibt also in Kraft.
A braucht, um seine Gegenforderung geltend zu machen, keinen neuen Prozeß an¬
zustrengen.

Jetzt werden hoffentlich die Parteien, die sich bisher nnr in vorbereitenden
Handlungen und Beschlüssen bewegten, zur Verhandlung ihres eigentlichen Streites
gelangen. Uneinig sind sie ja nur darüber, ob X dem D 19 Mark als Entschädi¬
gung zu zahlen habe. Nun, so bald wird es freilich immer noch nicht werden,
denn zunächst kommen die zweimonatlichen Gerichtsferien!

Dieser einfache Rechtsfall stellt die Vorzüge unsers Zivilprvzeßverfahrens ins
hellste Licht. Er zeigt, mit welcher Gründlichkeit auch unbedeutende Sachen be¬
handelt werden. Obgleich es sich nur um 19 Mark handelt, haben doch mindestens
sechzehn Richter bis jetzt darüber zu „befinden" gehabt, und zwar sind alle wieder¬
holt damit beschäftigt gewesen. Die von ihnen gefaßten Beschlüsse sind zum Teil
ausführlich begründet worden. Wir sehen, unser Prozeßverfahren sorgt für die
Beschäftigung der Juristen, und das ist bei dem gegenwärtigen Überfluß an Ju¬
risten kein geringer Vorzug. Ferner giebt es keine Prozeßordnung, die in dem
Maße wie die unsrige geeignet wäre, den Scharfsinn der Juristen anzuregen und
auszubilden. Freilich, den Parteien werden die 19 Mark derer zu stehen
kommen, auch dürfte thuen vielleicht eine schleunige Erledigung des Streits lieber
sein, als die scharfsinnigsten Erörterungen von Rechtsfragen. Aber es giebt nun
einmal kein Licht ohne Schatten.


Nochmals die chinesische Mauer.

Nur um ein wenig Raum möcht' ich
bitten, um eine Bemerkung zu meinem Aufsatz „Auch ein Lehrplan" nachzutragen.
Die Kölnische Zeitung bringt in Ur. 593, der Beilage zur Sonntagsausgabe vom
23. Juli, einen Aufsatz ihres Berichterstatters von der Weltausstellung in Chicago,
überschrieben „Amerikanische Lebensläufe." Der Weltausstellungsmann sitzt in


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[0291] Maßgebliches und Unmaßgebliches gericht bleibt bei seiner frühern Ansicht und beschließt am 20. März 1393, indem es sich die Entscheidung über die noch anhängige Berufung vorbehält, das Amts¬ gericht anzuweisen, einen Termin anzuberaumen. Die Kosten sollen dem Kläger zur Last fallen. 8. Hiergegen erhebt der Kläger Beschwerde beim Oberlandesgericht. Am 18. April 1883 ergeht ein Beschluß des Oberlandesgerichts: Der Beschluß des Landgerichts vom 20. März 1893 werde aufgehoben und die Beschwerde gegen deu Beschluß des Amtsgerichts vom 1. Oktober 1892 als unzulässig zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens in beiden Instanzen trage der Beklagte. In einer eingehenden Vegründnng (über vier eng geschriebne Folioseiten) wird aus¬ geführt, daß zwar eine Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts, aber nicht eine Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts zulässig sei. 9. Beschwerde des Beklagten beim Reichsgericht. Dieses hebt den Beschluß des Oberlandesgerichts vom 13. April auf und erklärt die Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts vom 20. März 1893 für unzulässig. Dem Kläger werden die durch die Beschwerden beim Oberlandesgericht und beim Reichs¬ gericht erwachsenen Kosten auferlegt. Grund: Es geniige nicht, um die Zulässig- keit der wettern Beschwerde zu begründen, daß das Landgericht vielleicht mit Un¬ recht eine Beschwerde gegen die amtsgcrichtliche Entscheidung für zulässig erachtet habe. Die weitere Beschwerde sei vielmehr nur statthaft, wenn sie durch eine positive Bestimmung gestattet sei; an einer solchen Bestimmung fehle es aber im vorliegenden Falle. Der Beschluß des Landgerichts vom 20. März 1893 bleibt also in Kraft. A braucht, um seine Gegenforderung geltend zu machen, keinen neuen Prozeß an¬ zustrengen. Jetzt werden hoffentlich die Parteien, die sich bisher nnr in vorbereitenden Handlungen und Beschlüssen bewegten, zur Verhandlung ihres eigentlichen Streites gelangen. Uneinig sind sie ja nur darüber, ob X dem D 19 Mark als Entschädi¬ gung zu zahlen habe. Nun, so bald wird es freilich immer noch nicht werden, denn zunächst kommen die zweimonatlichen Gerichtsferien! Dieser einfache Rechtsfall stellt die Vorzüge unsers Zivilprvzeßverfahrens ins hellste Licht. Er zeigt, mit welcher Gründlichkeit auch unbedeutende Sachen be¬ handelt werden. Obgleich es sich nur um 19 Mark handelt, haben doch mindestens sechzehn Richter bis jetzt darüber zu „befinden" gehabt, und zwar sind alle wieder¬ holt damit beschäftigt gewesen. Die von ihnen gefaßten Beschlüsse sind zum Teil ausführlich begründet worden. Wir sehen, unser Prozeßverfahren sorgt für die Beschäftigung der Juristen, und das ist bei dem gegenwärtigen Überfluß an Ju¬ risten kein geringer Vorzug. Ferner giebt es keine Prozeßordnung, die in dem Maße wie die unsrige geeignet wäre, den Scharfsinn der Juristen anzuregen und auszubilden. Freilich, den Parteien werden die 19 Mark derer zu stehen kommen, auch dürfte thuen vielleicht eine schleunige Erledigung des Streits lieber sein, als die scharfsinnigsten Erörterungen von Rechtsfragen. Aber es giebt nun einmal kein Licht ohne Schatten. Nochmals die chinesische Mauer. Nur um ein wenig Raum möcht' ich bitten, um eine Bemerkung zu meinem Aufsatz „Auch ein Lehrplan" nachzutragen. Die Kölnische Zeitung bringt in Ur. 593, der Beilage zur Sonntagsausgabe vom 23. Juli, einen Aufsatz ihres Berichterstatters von der Weltausstellung in Chicago, überschrieben „Amerikanische Lebensläufe." Der Weltausstellungsmann sitzt in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/291>, abgerufen am 27.11.2024.