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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

Nachmittag muß Gemeindeversammlung gehalten werden. Wir machen das
nötige gleich in der Turnhalle ab.

Die Turnhalle ist nämlich das Vereinslokal der Deutschen, worin die
meisten Klubs ihre Festlichkeiten veranstalten. Es ist ein stattliches Rotstein¬
haus in der zwölften Straße, von dem Architekten von Unwerth, einem Deutschen,
erbaut, mit Versammlungssälen, Bühne, Kouzertgarten und allem modernen
Zubehör. Im Erdgeschoß liegt eine riesige Kneipe mit angrenzenden Klub¬
zimmern. Dorthin begeben sich meist Sonntags vormittags die deutschen
Turm-, Sanges-, Kegel-, Landwehr- und Schichenbrüder zum Frühschoppen
und zur Vorberatung über etwaige bevorstehende Versammlungen. Auch Freund
Karl ging als "Reporter" um diese Zeit gern dorthin, weil das die beste
Neuigkeitsbörse für die Deutschen von Kansas City war.

Unter größter Aufregung der Beteiligten und zu uicht geringem Gaudium
der Unbeteiligten erfuhr man nun dort, daß Pastor Fischer, der nach glän¬
zendem Geschäftsabschluß sein Amt niederlegte, um sich demnächst als Arzt
aufzuthun, dabei beharrte, daß er denen, die für das Kircheugrundstück ge¬
zeichnet und milde Beiträge gegeben hatten, ihren Anteil wieder nach und nach
zurückzahlen wollte. Er selbst betrachtete sich bei dem Geschüft als den alleinigen
Unternehmer und Gewinner. Der Grund und Boden war in den letzten
Jahren sehr gestiegen, und da kein formell beglaubigter und bindender Kontrakt
vorlag, wollte er sich auf keine Nachgiebigkeit hinsichtlich eines Gewinnanteils
seiner Schäflein einlassen. Sie wollten wenigstens eine Hypothek auf das
Grundstück haben. Er wies aber alles zurück. Nun sollte er nach Schluß
des Nachmittagsgottesdienstes in einer Gemeindeversammlung zur Gewährung
einer Hypothek genötigt werden. Alles war gespannt auf den Ausgang. Am
meisten der gute Vögelein, denn der beträchtliche Teil, den er beigesteuert
hatte, mußte sich bei der Verzehufachung des Bodenwertes heute in die Tau¬
sende belaufen.

So herrschte denn heute besonders reges Leben in der Turnhalle, und die
arme Schauspielerin, die von den am Schenktisch stehenden Gruppen zu deu
Biertische" ging, machte mit ihren Benefizbillets ganz leidliche Geschäfte. Das
zeigte wenigstens ihre freudestrahlendes Gesicht, womit sie dem Komiker hinten
am Tisch ihre Börse wies. Er aber that, ihrer Aufforderung folgend, einen
Griff hinein und versprach heute Abend ein neues Kouplet ihr zu Ehren zum
besten zu geben, aber dazu müsse er sich stärken, und so bestellte er denn von
dem kleinen Geldgeschenk für beide Bier.

Wovon soll denn das Kouplet handeln? fragte lächelnd die Künstlerin.

Als ob da noch zu fragen wäre! Von uns Deutschen, von unserm Elend,
von dem Judentum, zu dem wir verdammt sind.

Die beiden konnten wirklich ein Lied davon singen. Überall, wo es etwas
zu veranstalten gab von Aufführungen, Konzerten, Festlichkeiten aller Art, hatten


Bilder aus dem Westen

Nachmittag muß Gemeindeversammlung gehalten werden. Wir machen das
nötige gleich in der Turnhalle ab.

Die Turnhalle ist nämlich das Vereinslokal der Deutschen, worin die
meisten Klubs ihre Festlichkeiten veranstalten. Es ist ein stattliches Rotstein¬
haus in der zwölften Straße, von dem Architekten von Unwerth, einem Deutschen,
erbaut, mit Versammlungssälen, Bühne, Kouzertgarten und allem modernen
Zubehör. Im Erdgeschoß liegt eine riesige Kneipe mit angrenzenden Klub¬
zimmern. Dorthin begeben sich meist Sonntags vormittags die deutschen
Turm-, Sanges-, Kegel-, Landwehr- und Schichenbrüder zum Frühschoppen
und zur Vorberatung über etwaige bevorstehende Versammlungen. Auch Freund
Karl ging als „Reporter" um diese Zeit gern dorthin, weil das die beste
Neuigkeitsbörse für die Deutschen von Kansas City war.

Unter größter Aufregung der Beteiligten und zu uicht geringem Gaudium
der Unbeteiligten erfuhr man nun dort, daß Pastor Fischer, der nach glän¬
zendem Geschäftsabschluß sein Amt niederlegte, um sich demnächst als Arzt
aufzuthun, dabei beharrte, daß er denen, die für das Kircheugrundstück ge¬
zeichnet und milde Beiträge gegeben hatten, ihren Anteil wieder nach und nach
zurückzahlen wollte. Er selbst betrachtete sich bei dem Geschüft als den alleinigen
Unternehmer und Gewinner. Der Grund und Boden war in den letzten
Jahren sehr gestiegen, und da kein formell beglaubigter und bindender Kontrakt
vorlag, wollte er sich auf keine Nachgiebigkeit hinsichtlich eines Gewinnanteils
seiner Schäflein einlassen. Sie wollten wenigstens eine Hypothek auf das
Grundstück haben. Er wies aber alles zurück. Nun sollte er nach Schluß
des Nachmittagsgottesdienstes in einer Gemeindeversammlung zur Gewährung
einer Hypothek genötigt werden. Alles war gespannt auf den Ausgang. Am
meisten der gute Vögelein, denn der beträchtliche Teil, den er beigesteuert
hatte, mußte sich bei der Verzehufachung des Bodenwertes heute in die Tau¬
sende belaufen.

So herrschte denn heute besonders reges Leben in der Turnhalle, und die
arme Schauspielerin, die von den am Schenktisch stehenden Gruppen zu deu
Biertische» ging, machte mit ihren Benefizbillets ganz leidliche Geschäfte. Das
zeigte wenigstens ihre freudestrahlendes Gesicht, womit sie dem Komiker hinten
am Tisch ihre Börse wies. Er aber that, ihrer Aufforderung folgend, einen
Griff hinein und versprach heute Abend ein neues Kouplet ihr zu Ehren zum
besten zu geben, aber dazu müsse er sich stärken, und so bestellte er denn von
dem kleinen Geldgeschenk für beide Bier.

Wovon soll denn das Kouplet handeln? fragte lächelnd die Künstlerin.

Als ob da noch zu fragen wäre! Von uns Deutschen, von unserm Elend,
von dem Judentum, zu dem wir verdammt sind.

Die beiden konnten wirklich ein Lied davon singen. Überall, wo es etwas
zu veranstalten gab von Aufführungen, Konzerten, Festlichkeiten aller Art, hatten


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[0237] Bilder aus dem Westen Nachmittag muß Gemeindeversammlung gehalten werden. Wir machen das nötige gleich in der Turnhalle ab. Die Turnhalle ist nämlich das Vereinslokal der Deutschen, worin die meisten Klubs ihre Festlichkeiten veranstalten. Es ist ein stattliches Rotstein¬ haus in der zwölften Straße, von dem Architekten von Unwerth, einem Deutschen, erbaut, mit Versammlungssälen, Bühne, Kouzertgarten und allem modernen Zubehör. Im Erdgeschoß liegt eine riesige Kneipe mit angrenzenden Klub¬ zimmern. Dorthin begeben sich meist Sonntags vormittags die deutschen Turm-, Sanges-, Kegel-, Landwehr- und Schichenbrüder zum Frühschoppen und zur Vorberatung über etwaige bevorstehende Versammlungen. Auch Freund Karl ging als „Reporter" um diese Zeit gern dorthin, weil das die beste Neuigkeitsbörse für die Deutschen von Kansas City war. Unter größter Aufregung der Beteiligten und zu uicht geringem Gaudium der Unbeteiligten erfuhr man nun dort, daß Pastor Fischer, der nach glän¬ zendem Geschäftsabschluß sein Amt niederlegte, um sich demnächst als Arzt aufzuthun, dabei beharrte, daß er denen, die für das Kircheugrundstück ge¬ zeichnet und milde Beiträge gegeben hatten, ihren Anteil wieder nach und nach zurückzahlen wollte. Er selbst betrachtete sich bei dem Geschüft als den alleinigen Unternehmer und Gewinner. Der Grund und Boden war in den letzten Jahren sehr gestiegen, und da kein formell beglaubigter und bindender Kontrakt vorlag, wollte er sich auf keine Nachgiebigkeit hinsichtlich eines Gewinnanteils seiner Schäflein einlassen. Sie wollten wenigstens eine Hypothek auf das Grundstück haben. Er wies aber alles zurück. Nun sollte er nach Schluß des Nachmittagsgottesdienstes in einer Gemeindeversammlung zur Gewährung einer Hypothek genötigt werden. Alles war gespannt auf den Ausgang. Am meisten der gute Vögelein, denn der beträchtliche Teil, den er beigesteuert hatte, mußte sich bei der Verzehufachung des Bodenwertes heute in die Tau¬ sende belaufen. So herrschte denn heute besonders reges Leben in der Turnhalle, und die arme Schauspielerin, die von den am Schenktisch stehenden Gruppen zu deu Biertische» ging, machte mit ihren Benefizbillets ganz leidliche Geschäfte. Das zeigte wenigstens ihre freudestrahlendes Gesicht, womit sie dem Komiker hinten am Tisch ihre Börse wies. Er aber that, ihrer Aufforderung folgend, einen Griff hinein und versprach heute Abend ein neues Kouplet ihr zu Ehren zum besten zu geben, aber dazu müsse er sich stärken, und so bestellte er denn von dem kleinen Geldgeschenk für beide Bier. Wovon soll denn das Kouplet handeln? fragte lächelnd die Künstlerin. Als ob da noch zu fragen wäre! Von uns Deutschen, von unserm Elend, von dem Judentum, zu dem wir verdammt sind. Die beiden konnten wirklich ein Lied davon singen. Überall, wo es etwas zu veranstalten gab von Aufführungen, Konzerten, Festlichkeiten aller Art, hatten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/237>, abgerufen am 24.11.2024.