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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder ans dem Westen

zu den bunten, kraushaarigen Töchtern von oben bis unten in Schwarz ge¬
kleidet; der Cylinder darf bei dem Sonntagsstaat des Negers nicht fehlen.
Dann wurde es wieder still.

Als endlich unsere Bridget im Sonntagsstaat zur Thür heraustrat, um,
wie jeden Sonntag, so auch den heuügen auf dem Dorfe bei den Ihrigen zu¬
zubringen, ging es auf die Einladung unsrer Frauen hinauf zum Frühstück,
wo frische Milch und Gartenerdbeeren den Anfang bildeten. Dann folgten
Setzeier mit gebratnen Schinkeuscheiben, dann Kaffee und geröstete Brod¬
schnitten. Dies bildet in jeder leidlichen Haushaltung das Frühstück.

Die Lebensmittel sind, wenn man auf besondre Delikatessen verzichtet,
billiger und besser als in Deutschland. Die Materialhandlungcn, wo auch
Gemüse und Marktwaren feilgeboten werden, unterbieten einander gegenseitig,
wo sie nur können, und wo sich ein neuer Geltung und Kunden verschaffen
will, verteilt er umsonst in den Häusern neue Artikel. So fand man die eine
Woche eine neue Sorte Puddingmehl, die andre einen Sack Ora.<zKsr oder eine
Büchse .Hafermehl vor der Hausthür, und kaufte man nur vierzehn Tage regel¬
mäßig in demselben Laden, so bekam man sicher zur Belohnung für seine treue
Kundschaft einen vernickelten Zuckerlöffel, eine Zuckerdose, einen Tortenlöffel
oder dergleichen zum Geschenk.

Nach dem Frühstück ging es wieder hinunter, denn vor dem Hause hielt
der Eiswagen, und man sah darauf, daß ein recht handfester Würfel in die
Eiskiste abgeliefert wurde, denn die Tage versprachen heiß zu werden. Bald
zeigte sich auch der sehnlichst erwartete Wasserwagen, der Krystallwasser aus
den "Vethesdciauellen," für 10 Cents (----40 Pfennige) etwa einen Eimer voll,
ins Haus besorgte. Denn das Leitungswasser schmeckte im Sommer oft
nicht gut.

Dann konnte man seine Sonntagsfeier vor der Thür im Freien fortsetzen,
wo eben eine der deutscheu Schauspielerinnen so glücklich war, uns für den
Abend ein Billet zu ihrer Benefizvorstellung anbieten zu können. Sie hatte
viel durchmachen müssen, die Ärmste. Sie hatte früher bessere Zeiten gesehen
und schmachtete darnach, sich mit ihrem bischen guten Deutschtum aus dem
gepriesenen Westen herauszuretten nach den größern Städten des Ostens, wo
der Deutsche mehr galt. In aller Erinnerung war auch noch das Elend einer
Schauspielerfamilie, für die gerade unter den Deutschen gesammelt wurde:
kranke, sterbende Kinder, nichts zu essen, nichts anzuziehen. Das Ende war
nicht abzusehen, die Heldenmutter ging nach der einen Stadt, der Vater,
Komiker, nach der andern, die Kinder mußten einstweilen an ein paar deutsche
Familien verteilt und dann nachgeschickt werden. Die Soubrette, die uns eben
ihre Venefizbillets anbot, hatte, weil ihr der ewig durstige Direktor niemals
^age gezahlt hatte, um sich die Weiterreise zu ermöglichen, ein Konzert ver¬
anstaltet, das wegen Regenwetter nicht besucht war. Um die Unkosten zu be-


Bilder ans dem Westen

zu den bunten, kraushaarigen Töchtern von oben bis unten in Schwarz ge¬
kleidet; der Cylinder darf bei dem Sonntagsstaat des Negers nicht fehlen.
Dann wurde es wieder still.

Als endlich unsere Bridget im Sonntagsstaat zur Thür heraustrat, um,
wie jeden Sonntag, so auch den heuügen auf dem Dorfe bei den Ihrigen zu¬
zubringen, ging es auf die Einladung unsrer Frauen hinauf zum Frühstück,
wo frische Milch und Gartenerdbeeren den Anfang bildeten. Dann folgten
Setzeier mit gebratnen Schinkeuscheiben, dann Kaffee und geröstete Brod¬
schnitten. Dies bildet in jeder leidlichen Haushaltung das Frühstück.

Die Lebensmittel sind, wenn man auf besondre Delikatessen verzichtet,
billiger und besser als in Deutschland. Die Materialhandlungcn, wo auch
Gemüse und Marktwaren feilgeboten werden, unterbieten einander gegenseitig,
wo sie nur können, und wo sich ein neuer Geltung und Kunden verschaffen
will, verteilt er umsonst in den Häusern neue Artikel. So fand man die eine
Woche eine neue Sorte Puddingmehl, die andre einen Sack Ora.<zKsr oder eine
Büchse .Hafermehl vor der Hausthür, und kaufte man nur vierzehn Tage regel¬
mäßig in demselben Laden, so bekam man sicher zur Belohnung für seine treue
Kundschaft einen vernickelten Zuckerlöffel, eine Zuckerdose, einen Tortenlöffel
oder dergleichen zum Geschenk.

Nach dem Frühstück ging es wieder hinunter, denn vor dem Hause hielt
der Eiswagen, und man sah darauf, daß ein recht handfester Würfel in die
Eiskiste abgeliefert wurde, denn die Tage versprachen heiß zu werden. Bald
zeigte sich auch der sehnlichst erwartete Wasserwagen, der Krystallwasser aus
den „Vethesdciauellen," für 10 Cents (----40 Pfennige) etwa einen Eimer voll,
ins Haus besorgte. Denn das Leitungswasser schmeckte im Sommer oft
nicht gut.

Dann konnte man seine Sonntagsfeier vor der Thür im Freien fortsetzen,
wo eben eine der deutscheu Schauspielerinnen so glücklich war, uns für den
Abend ein Billet zu ihrer Benefizvorstellung anbieten zu können. Sie hatte
viel durchmachen müssen, die Ärmste. Sie hatte früher bessere Zeiten gesehen
und schmachtete darnach, sich mit ihrem bischen guten Deutschtum aus dem
gepriesenen Westen herauszuretten nach den größern Städten des Ostens, wo
der Deutsche mehr galt. In aller Erinnerung war auch noch das Elend einer
Schauspielerfamilie, für die gerade unter den Deutschen gesammelt wurde:
kranke, sterbende Kinder, nichts zu essen, nichts anzuziehen. Das Ende war
nicht abzusehen, die Heldenmutter ging nach der einen Stadt, der Vater,
Komiker, nach der andern, die Kinder mußten einstweilen an ein paar deutsche
Familien verteilt und dann nachgeschickt werden. Die Soubrette, die uns eben
ihre Venefizbillets anbot, hatte, weil ihr der ewig durstige Direktor niemals
^age gezahlt hatte, um sich die Weiterreise zu ermöglichen, ein Konzert ver¬
anstaltet, das wegen Regenwetter nicht besucht war. Um die Unkosten zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/235>, abgerufen am 28.07.2024.