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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Eine einzige Steuer I

liebe Verluste, die sich alle -- so unwahrscheinlich das noch vielen klingen
mag -- durch die Einführung von Henry Georges Grundrentensteuer ver¬
meiden ließen.

5. Die jetzigen Steuern, die wir abschaffen wollen, bedrücken hauptsäch¬
lich auch die Landbevölkerung in deu ärmern Gegenden, zumal da gerade der
ländliche Grundbesitz am tiefsten verschuldet ist und unbarmherzig ausgewuchert
wird. Wir glauben weder an absolute Vorzüge der Groß- noch der Klein¬
betriebe, weder in der Stadt noch auf dem Lande. Aber unter der unauf¬
hörlich wachsenden Doppelbesteuerung durch den Staat und die Hypothek, kann
sich der kleine Bauer uicht halten, er muß mehr und mehr verarmen. Anstatt
als Kleinbauer die für die Volksernährung so wichtigen, heute den ärmern
Klassen meistens unerschwinglichen Kleinwirtschaftsprodukte zu erzeugen, muß
der Landmann als bodenloser Proletarier dem etwas höhern Lohn nach in
die Stadt ziehen, um als Fabrikarbeiter oft höchst überflüssige wertlose Luxus¬
waren für die Wohlhabender" zu verfertigen.

Die "Grundrentensteucr" würde nun das Landmonopol und die Hypothek,
die natürlich mitbesteuert werden müßte, langsam aber sicher zerstören/") Sie
würde die Ursache der ungesunden Verdichtung der Bevölkerung wegräumen
und die Stadt- und Landbewohner besser verteilen. Muß doch das ärmere
Stadtvolk heute in elenden Mietkasernen, in sogenannten Wohnungen leben,
weil die leeren Baugrundstücke rings um die Städte auf Spekulation zu enormen
Preisen festliegen und dem arbeitslosen Bauhandwerker vorenthalten werden,
sodaß der Heimstättenerzeuger von Beruf oft kaum noch eine Schlafstelle in
jenen Pesthöhlen erschwingen kann. Wer wollte oder könnte die Folgen solcher
Mißstände ans die wirtschaftliche, körperliche und geistige Gesundheit des Volkes
abschätzen? Eine kräftige, gerechte Besteuerung des Grund und Bodens würde
sehr bald diesen unwürdigen Zuständen ein Ende machen. --

Betrachten wir nun auch die sittliche Seite der Reform und ihre Ge¬
rechtigkeit.

Das Recht auf Eigentum gründet sich nicht auf menschliche Gesetze, die
es so oft verleugnet und verletzt haben. Es beruht auf einem Naturgesetz.
Es ist klar und bestimmt, und jede Verletzung dieses Rechts durch einzelne
"der durch den Staat ist eine Verletzung des Gebotes: "Du sollst nicht
stehlen."

Der Mensch, der einen Fisch sängt, eine Rübe pflanzt, ein Kalb aufzieht,
ein Haus baut, einen Rock näht, ein Bild malt, eine Maschine baut oder
eine Oper Lomponirt, hat auf alle diese Dinge ein ausschließliches Eigentums¬
recht. Er hat das Recht, solche Güter zu verschenken, zu verkaufen oder zu



Die Hypothekenbesitzer ziehen heute bei der großen Bodenverschuldung den großem
Teil der Grundrente ein. Man könnte deshalb auch unsre Steuer eine Grundwert- und
Hypothekenstener nennen.
Eine einzige Steuer I

liebe Verluste, die sich alle — so unwahrscheinlich das noch vielen klingen
mag — durch die Einführung von Henry Georges Grundrentensteuer ver¬
meiden ließen.

5. Die jetzigen Steuern, die wir abschaffen wollen, bedrücken hauptsäch¬
lich auch die Landbevölkerung in deu ärmern Gegenden, zumal da gerade der
ländliche Grundbesitz am tiefsten verschuldet ist und unbarmherzig ausgewuchert
wird. Wir glauben weder an absolute Vorzüge der Groß- noch der Klein¬
betriebe, weder in der Stadt noch auf dem Lande. Aber unter der unauf¬
hörlich wachsenden Doppelbesteuerung durch den Staat und die Hypothek, kann
sich der kleine Bauer uicht halten, er muß mehr und mehr verarmen. Anstatt
als Kleinbauer die für die Volksernährung so wichtigen, heute den ärmern
Klassen meistens unerschwinglichen Kleinwirtschaftsprodukte zu erzeugen, muß
der Landmann als bodenloser Proletarier dem etwas höhern Lohn nach in
die Stadt ziehen, um als Fabrikarbeiter oft höchst überflüssige wertlose Luxus¬
waren für die Wohlhabender» zu verfertigen.

Die „Grundrentensteucr" würde nun das Landmonopol und die Hypothek,
die natürlich mitbesteuert werden müßte, langsam aber sicher zerstören/") Sie
würde die Ursache der ungesunden Verdichtung der Bevölkerung wegräumen
und die Stadt- und Landbewohner besser verteilen. Muß doch das ärmere
Stadtvolk heute in elenden Mietkasernen, in sogenannten Wohnungen leben,
weil die leeren Baugrundstücke rings um die Städte auf Spekulation zu enormen
Preisen festliegen und dem arbeitslosen Bauhandwerker vorenthalten werden,
sodaß der Heimstättenerzeuger von Beruf oft kaum noch eine Schlafstelle in
jenen Pesthöhlen erschwingen kann. Wer wollte oder könnte die Folgen solcher
Mißstände ans die wirtschaftliche, körperliche und geistige Gesundheit des Volkes
abschätzen? Eine kräftige, gerechte Besteuerung des Grund und Bodens würde
sehr bald diesen unwürdigen Zuständen ein Ende machen. —

Betrachten wir nun auch die sittliche Seite der Reform und ihre Ge¬
rechtigkeit.

Das Recht auf Eigentum gründet sich nicht auf menschliche Gesetze, die
es so oft verleugnet und verletzt haben. Es beruht auf einem Naturgesetz.
Es ist klar und bestimmt, und jede Verletzung dieses Rechts durch einzelne
»der durch den Staat ist eine Verletzung des Gebotes: „Du sollst nicht
stehlen."

Der Mensch, der einen Fisch sängt, eine Rübe pflanzt, ein Kalb aufzieht,
ein Haus baut, einen Rock näht, ein Bild malt, eine Maschine baut oder
eine Oper Lomponirt, hat auf alle diese Dinge ein ausschließliches Eigentums¬
recht. Er hat das Recht, solche Güter zu verschenken, zu verkaufen oder zu



Die Hypothekenbesitzer ziehen heute bei der großen Bodenverschuldung den großem
Teil der Grundrente ein. Man könnte deshalb auch unsre Steuer eine Grundwert- und
Hypothekenstener nennen.
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[0023] Eine einzige Steuer I liebe Verluste, die sich alle — so unwahrscheinlich das noch vielen klingen mag — durch die Einführung von Henry Georges Grundrentensteuer ver¬ meiden ließen. 5. Die jetzigen Steuern, die wir abschaffen wollen, bedrücken hauptsäch¬ lich auch die Landbevölkerung in deu ärmern Gegenden, zumal da gerade der ländliche Grundbesitz am tiefsten verschuldet ist und unbarmherzig ausgewuchert wird. Wir glauben weder an absolute Vorzüge der Groß- noch der Klein¬ betriebe, weder in der Stadt noch auf dem Lande. Aber unter der unauf¬ hörlich wachsenden Doppelbesteuerung durch den Staat und die Hypothek, kann sich der kleine Bauer uicht halten, er muß mehr und mehr verarmen. Anstatt als Kleinbauer die für die Volksernährung so wichtigen, heute den ärmern Klassen meistens unerschwinglichen Kleinwirtschaftsprodukte zu erzeugen, muß der Landmann als bodenloser Proletarier dem etwas höhern Lohn nach in die Stadt ziehen, um als Fabrikarbeiter oft höchst überflüssige wertlose Luxus¬ waren für die Wohlhabender» zu verfertigen. Die „Grundrentensteucr" würde nun das Landmonopol und die Hypothek, die natürlich mitbesteuert werden müßte, langsam aber sicher zerstören/") Sie würde die Ursache der ungesunden Verdichtung der Bevölkerung wegräumen und die Stadt- und Landbewohner besser verteilen. Muß doch das ärmere Stadtvolk heute in elenden Mietkasernen, in sogenannten Wohnungen leben, weil die leeren Baugrundstücke rings um die Städte auf Spekulation zu enormen Preisen festliegen und dem arbeitslosen Bauhandwerker vorenthalten werden, sodaß der Heimstättenerzeuger von Beruf oft kaum noch eine Schlafstelle in jenen Pesthöhlen erschwingen kann. Wer wollte oder könnte die Folgen solcher Mißstände ans die wirtschaftliche, körperliche und geistige Gesundheit des Volkes abschätzen? Eine kräftige, gerechte Besteuerung des Grund und Bodens würde sehr bald diesen unwürdigen Zuständen ein Ende machen. — Betrachten wir nun auch die sittliche Seite der Reform und ihre Ge¬ rechtigkeit. Das Recht auf Eigentum gründet sich nicht auf menschliche Gesetze, die es so oft verleugnet und verletzt haben. Es beruht auf einem Naturgesetz. Es ist klar und bestimmt, und jede Verletzung dieses Rechts durch einzelne »der durch den Staat ist eine Verletzung des Gebotes: „Du sollst nicht stehlen." Der Mensch, der einen Fisch sängt, eine Rübe pflanzt, ein Kalb aufzieht, ein Haus baut, einen Rock näht, ein Bild malt, eine Maschine baut oder eine Oper Lomponirt, hat auf alle diese Dinge ein ausschließliches Eigentums¬ recht. Er hat das Recht, solche Güter zu verschenken, zu verkaufen oder zu Die Hypothekenbesitzer ziehen heute bei der großen Bodenverschuldung den großem Teil der Grundrente ein. Man könnte deshalb auch unsre Steuer eine Grundwert- und Hypothekenstener nennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/23>, abgerufen am 24.11.2024.