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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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fischer Fürst aus der Zeit Katharinas, der die Knute über dem Ehebett hängen
hat. Aber man betrachte sie, bitte, nicht durch die große Hornbrille des Philo¬
logen, die bekanntlich rechts und links mit einem mächtigen Scheuleder ver¬
sehen ist. Die Szene steht in ihrer Wirkung einem bekannten Operettcntext
von Meilhac und Hnlevy gar nicht so fern, nur daß der Grieche unbewußt
ausübt, was bei den Franzosen bewußte Kunst ist und darum zur Parodie
wird. Was uns an den homerischen Göttergeschichten gefällt, ist die kindliche
Naivität des Dichters, der das erhabenste unbefangen mit den menschlichsten
Zügen schildert. Ist das aber wohl ein Vergnügen, das die Jugend zu em¬
pfinden vermag? Die Jugend ist selbst naiv, wie könnte sie Frende haben an
dem Widerspruch zwischen den naiven Mitteln einer Darstellung und ihrem
pathetischen Gegenstande? Sind aber Homers launische Götter schon kein guter
Umgang sür den deutschen Schüler, so sind Homers Helden einfach schlechte
Gesellschaft für ihn, die seine Sitten verdirbt. Denn den homerischen Helden
fehlt gerade der Charakterzug vollständig, der für einen modernen Helden der
wesentlichste ist, die Ritterlichkeit der Gesinnung. Man komme nicht mit der
Begegnung von Diomedes und Glaukos, dem bekannten Beispiel, das kein
waschechter Philologe nennt, ohne eine Thräne im linken Auge zu zerdrücken.
Der Fall steht bedenklich einsam da, und gerade der köstliche Zug, daß der
Dichter ausdrücklich hervorhebt, Glaukos habe anstandslos seine goldne Rüstung
für eine eiserne hingegeben, gerade dieser Zug, der den gereiften Leser entzückt,
macht das naive Gemüt des Schülers stutzig. Homers Helden sind eben für
uns Moderne gar keine Helden, sondern ganz gewöhnliche Menschen, und ihre
uuzivilisirte Natürlichkeit wirkt auf uns mit so ergötzlicher Frische, weil sie
sich selbst für Helden halten. Über dies unser Verhältnis zum größten Dichter
des Altertums hat uns niemand anders ein Licht aufgesteckt als der größte
Dichter der Neuzeit. Shakespeare, der gereifteste Genius der modernen Litte¬
ratur, durchschaute mit seinem sonnenhellen Adlerauge schon vor Jahrhun¬
derten, was unsern klassischen Philologen noch heute verborgen ist. Was aber
würden die Herren Philologen dazu sagen, wollte man ihren Schülern "Troilns
und Cressida," diesen witzigsten und zugleich tiefsten aller Kommentare zum
Homer, in die Hand geben? Nichts ist an Hektor und Achilleus selbst, das
Bewunderung verdiente, und wir bewundern auch nichts an ihnen, als die
Naivität des Dichters und die Naivität einer Zeit, die nackte Menschlichkeit
für höchstes Heldentum hielt, oder die, um es ehrlich zu sagen, das Helden¬
tum in die rohe Kraft setzte. Die Jugend uun hat ein starkes Gefühl für die
moralische Seite einer Handlung; aber kein gleich starkes Urteil hält diesem
Gefühl die Wage. Der Schüler glaubt, wo Bewunderung von ihm gefordert
wird, da müsse auch etwas zu bewundern sein, und er qnült sich uun, die
Handlungen der homerischen Helden mit seinen deutschen Begriffen von Helden¬
tum in Übereinstimmung zu bringen. Da gerät er denn in einen höchst be-


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fischer Fürst aus der Zeit Katharinas, der die Knute über dem Ehebett hängen
hat. Aber man betrachte sie, bitte, nicht durch die große Hornbrille des Philo¬
logen, die bekanntlich rechts und links mit einem mächtigen Scheuleder ver¬
sehen ist. Die Szene steht in ihrer Wirkung einem bekannten Operettcntext
von Meilhac und Hnlevy gar nicht so fern, nur daß der Grieche unbewußt
ausübt, was bei den Franzosen bewußte Kunst ist und darum zur Parodie
wird. Was uns an den homerischen Göttergeschichten gefällt, ist die kindliche
Naivität des Dichters, der das erhabenste unbefangen mit den menschlichsten
Zügen schildert. Ist das aber wohl ein Vergnügen, das die Jugend zu em¬
pfinden vermag? Die Jugend ist selbst naiv, wie könnte sie Frende haben an
dem Widerspruch zwischen den naiven Mitteln einer Darstellung und ihrem
pathetischen Gegenstande? Sind aber Homers launische Götter schon kein guter
Umgang sür den deutschen Schüler, so sind Homers Helden einfach schlechte
Gesellschaft für ihn, die seine Sitten verdirbt. Denn den homerischen Helden
fehlt gerade der Charakterzug vollständig, der für einen modernen Helden der
wesentlichste ist, die Ritterlichkeit der Gesinnung. Man komme nicht mit der
Begegnung von Diomedes und Glaukos, dem bekannten Beispiel, das kein
waschechter Philologe nennt, ohne eine Thräne im linken Auge zu zerdrücken.
Der Fall steht bedenklich einsam da, und gerade der köstliche Zug, daß der
Dichter ausdrücklich hervorhebt, Glaukos habe anstandslos seine goldne Rüstung
für eine eiserne hingegeben, gerade dieser Zug, der den gereiften Leser entzückt,
macht das naive Gemüt des Schülers stutzig. Homers Helden sind eben für
uns Moderne gar keine Helden, sondern ganz gewöhnliche Menschen, und ihre
uuzivilisirte Natürlichkeit wirkt auf uns mit so ergötzlicher Frische, weil sie
sich selbst für Helden halten. Über dies unser Verhältnis zum größten Dichter
des Altertums hat uns niemand anders ein Licht aufgesteckt als der größte
Dichter der Neuzeit. Shakespeare, der gereifteste Genius der modernen Litte¬
ratur, durchschaute mit seinem sonnenhellen Adlerauge schon vor Jahrhun¬
derten, was unsern klassischen Philologen noch heute verborgen ist. Was aber
würden die Herren Philologen dazu sagen, wollte man ihren Schülern „Troilns
und Cressida," diesen witzigsten und zugleich tiefsten aller Kommentare zum
Homer, in die Hand geben? Nichts ist an Hektor und Achilleus selbst, das
Bewunderung verdiente, und wir bewundern auch nichts an ihnen, als die
Naivität des Dichters und die Naivität einer Zeit, die nackte Menschlichkeit
für höchstes Heldentum hielt, oder die, um es ehrlich zu sagen, das Helden¬
tum in die rohe Kraft setzte. Die Jugend uun hat ein starkes Gefühl für die
moralische Seite einer Handlung; aber kein gleich starkes Urteil hält diesem
Gefühl die Wage. Der Schüler glaubt, wo Bewunderung von ihm gefordert
wird, da müsse auch etwas zu bewundern sein, und er qnült sich uun, die
Handlungen der homerischen Helden mit seinen deutschen Begriffen von Helden¬
tum in Übereinstimmung zu bringen. Da gerät er denn in einen höchst be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/225>, abgerufen am 24.11.2024.