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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Nun rühme dich denn immer, prunk in stolzem Wort
Mit Pflllnzcnncchrung, sei verzückt und huldige
Dem Meister Orpheus und der Bücher grauem Dunst
Du bist entlarvt! Ich mahne jedermann, zu fliehen
Vor Heuchlern, die dir gleichen.

Vegetarianer und zugleich leidenschaftlicher Jäger -- denn das war Hippo-
lytos als Verehrer der Artemis --, das paßt freilich schlecht zusammen. Aber
der Grieche konnte nun einmal daS Wesen des richtigen Asketen nicht fassen-
Die jungfräuliche Artemis ist keine Asketin, sondern nur eine Verkörperung
rüstiger Jugendkrnft, die sich nicht durch Wollust schwächen mag. Auch die
Bedürfnislosigkeit der Zyniker war nicht asketischer Art, sondern lief praktisch
auf dasselbe hinaus wie der Epikureismus: auf Meidung alles dessen, was
Verlust erzeugen oder im Gefolge haben kann. Aristophanes hat den Euri-
pides in der Thesmophorienfeier wegen seiner Weibcrfeindschaft verspottet,
gewiß sehr mit Unrecht. Wenn Hippvlhtos ruft: "Was hast du doch der
Menschen gleißend Ungemach, die Fraun, o Zeus, an dieses Sonnenlicht ge¬
bracht!", und wenn er meint, die Götter sollten den Männern lieber ohne
Vermittlung der Frauen Nachwuchs schenken, so gehörte das zum Charakter
der Rolle. Die spärlichen tadelnden Bemerkungen, die sonst noch vorkommen,
verlieren sich in den Huldigungen, die liebenswürdigen und hochherzigen Ver¬
treterinnen des weiblichen Geschlechts dargebracht werden. Weiberfeindschast
lag gewiß nicht in der weichen Natur des Dichters; dagegen findet man es
bei dem strengen, durchaus männlichen Aischhlvs natürlich, wenn er gelegent¬
lich einmal, wie in den Sieben gegen Theben, einen Mann auf das Geschwätz
und Gejammer der Weiber schelten läßt, wie das zu allen Zeiten bei den
Männern Brauch gewesen ist.

Daß sich bei einem Ehebruch das Berdammungsurteil der öffentlichen
Meinung einseitig gegen die Frau kehre, darüber beschwert sich Klytnimnestra
in des Euripides Elektra, aber eine so grausame Behandlung wie bei den
alten Germanen hatte die Ehebrecherin nicht zu fürchten; so sehr man mich in
Athen den Bund der Herr ehrte, huldigte das lose Völkchen doch der Khpris
zu gern, als daß es nicht bereitwillig Nergehungen verziehen haben sollte, zu
denen sie verleitete. Was den Ehebrecher^) anlangt, so erscheint es uns
Heutigen mit Recht höchst anstößig, daß seine Bestrafung, die Rhaphanidosis,
einen possenhaften Charakter trug. Doch muß billigerweise dagegen gehalten
werden, einerseits, daß überhaupt eine Strafe immer noch besser ist als gar
keine -- geht doch bei uns heutigen Deutschen, wo der Ehebruch zu den An-



*) Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, das; in Athen, wie bei allen Völkern
aller Zeiten, von Ehebruch des Mannes nur dann die Rede war, wenn er mit der Gattin
eines andern Umgang gehabt, also dessen Ehe gebrochen hatte. Nur die christliche Kirche
faßt jeden außerehelichen Umgang eines verheirateten Mannes als Ehebruch auf.

Nun rühme dich denn immer, prunk in stolzem Wort
Mit Pflllnzcnncchrung, sei verzückt und huldige
Dem Meister Orpheus und der Bücher grauem Dunst
Du bist entlarvt! Ich mahne jedermann, zu fliehen
Vor Heuchlern, die dir gleichen.

Vegetarianer und zugleich leidenschaftlicher Jäger — denn das war Hippo-
lytos als Verehrer der Artemis —, das paßt freilich schlecht zusammen. Aber
der Grieche konnte nun einmal daS Wesen des richtigen Asketen nicht fassen-
Die jungfräuliche Artemis ist keine Asketin, sondern nur eine Verkörperung
rüstiger Jugendkrnft, die sich nicht durch Wollust schwächen mag. Auch die
Bedürfnislosigkeit der Zyniker war nicht asketischer Art, sondern lief praktisch
auf dasselbe hinaus wie der Epikureismus: auf Meidung alles dessen, was
Verlust erzeugen oder im Gefolge haben kann. Aristophanes hat den Euri-
pides in der Thesmophorienfeier wegen seiner Weibcrfeindschaft verspottet,
gewiß sehr mit Unrecht. Wenn Hippvlhtos ruft: „Was hast du doch der
Menschen gleißend Ungemach, die Fraun, o Zeus, an dieses Sonnenlicht ge¬
bracht!", und wenn er meint, die Götter sollten den Männern lieber ohne
Vermittlung der Frauen Nachwuchs schenken, so gehörte das zum Charakter
der Rolle. Die spärlichen tadelnden Bemerkungen, die sonst noch vorkommen,
verlieren sich in den Huldigungen, die liebenswürdigen und hochherzigen Ver¬
treterinnen des weiblichen Geschlechts dargebracht werden. Weiberfeindschast
lag gewiß nicht in der weichen Natur des Dichters; dagegen findet man es
bei dem strengen, durchaus männlichen Aischhlvs natürlich, wenn er gelegent¬
lich einmal, wie in den Sieben gegen Theben, einen Mann auf das Geschwätz
und Gejammer der Weiber schelten läßt, wie das zu allen Zeiten bei den
Männern Brauch gewesen ist.

Daß sich bei einem Ehebruch das Berdammungsurteil der öffentlichen
Meinung einseitig gegen die Frau kehre, darüber beschwert sich Klytnimnestra
in des Euripides Elektra, aber eine so grausame Behandlung wie bei den
alten Germanen hatte die Ehebrecherin nicht zu fürchten; so sehr man mich in
Athen den Bund der Herr ehrte, huldigte das lose Völkchen doch der Khpris
zu gern, als daß es nicht bereitwillig Nergehungen verziehen haben sollte, zu
denen sie verleitete. Was den Ehebrecher^) anlangt, so erscheint es uns
Heutigen mit Recht höchst anstößig, daß seine Bestrafung, die Rhaphanidosis,
einen possenhaften Charakter trug. Doch muß billigerweise dagegen gehalten
werden, einerseits, daß überhaupt eine Strafe immer noch besser ist als gar
keine — geht doch bei uns heutigen Deutschen, wo der Ehebruch zu den An-



*) Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, das; in Athen, wie bei allen Völkern
aller Zeiten, von Ehebruch des Mannes nur dann die Rede war, wenn er mit der Gattin
eines andern Umgang gehabt, also dessen Ehe gebrochen hatte. Nur die christliche Kirche
faßt jeden außerehelichen Umgang eines verheirateten Mannes als Ehebruch auf.
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[0221] Nun rühme dich denn immer, prunk in stolzem Wort Mit Pflllnzcnncchrung, sei verzückt und huldige Dem Meister Orpheus und der Bücher grauem Dunst Du bist entlarvt! Ich mahne jedermann, zu fliehen Vor Heuchlern, die dir gleichen. Vegetarianer und zugleich leidenschaftlicher Jäger — denn das war Hippo- lytos als Verehrer der Artemis —, das paßt freilich schlecht zusammen. Aber der Grieche konnte nun einmal daS Wesen des richtigen Asketen nicht fassen- Die jungfräuliche Artemis ist keine Asketin, sondern nur eine Verkörperung rüstiger Jugendkrnft, die sich nicht durch Wollust schwächen mag. Auch die Bedürfnislosigkeit der Zyniker war nicht asketischer Art, sondern lief praktisch auf dasselbe hinaus wie der Epikureismus: auf Meidung alles dessen, was Verlust erzeugen oder im Gefolge haben kann. Aristophanes hat den Euri- pides in der Thesmophorienfeier wegen seiner Weibcrfeindschaft verspottet, gewiß sehr mit Unrecht. Wenn Hippvlhtos ruft: „Was hast du doch der Menschen gleißend Ungemach, die Fraun, o Zeus, an dieses Sonnenlicht ge¬ bracht!", und wenn er meint, die Götter sollten den Männern lieber ohne Vermittlung der Frauen Nachwuchs schenken, so gehörte das zum Charakter der Rolle. Die spärlichen tadelnden Bemerkungen, die sonst noch vorkommen, verlieren sich in den Huldigungen, die liebenswürdigen und hochherzigen Ver¬ treterinnen des weiblichen Geschlechts dargebracht werden. Weiberfeindschast lag gewiß nicht in der weichen Natur des Dichters; dagegen findet man es bei dem strengen, durchaus männlichen Aischhlvs natürlich, wenn er gelegent¬ lich einmal, wie in den Sieben gegen Theben, einen Mann auf das Geschwätz und Gejammer der Weiber schelten läßt, wie das zu allen Zeiten bei den Männern Brauch gewesen ist. Daß sich bei einem Ehebruch das Berdammungsurteil der öffentlichen Meinung einseitig gegen die Frau kehre, darüber beschwert sich Klytnimnestra in des Euripides Elektra, aber eine so grausame Behandlung wie bei den alten Germanen hatte die Ehebrecherin nicht zu fürchten; so sehr man mich in Athen den Bund der Herr ehrte, huldigte das lose Völkchen doch der Khpris zu gern, als daß es nicht bereitwillig Nergehungen verziehen haben sollte, zu denen sie verleitete. Was den Ehebrecher^) anlangt, so erscheint es uns Heutigen mit Recht höchst anstößig, daß seine Bestrafung, die Rhaphanidosis, einen possenhaften Charakter trug. Doch muß billigerweise dagegen gehalten werden, einerseits, daß überhaupt eine Strafe immer noch besser ist als gar keine — geht doch bei uns heutigen Deutschen, wo der Ehebruch zu den An- *) Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, das; in Athen, wie bei allen Völkern aller Zeiten, von Ehebruch des Mannes nur dann die Rede war, wenn er mit der Gattin eines andern Umgang gehabt, also dessen Ehe gebrochen hatte. Nur die christliche Kirche faßt jeden außerehelichen Umgang eines verheirateten Mannes als Ehebruch auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/221>, abgerufen am 27.07.2024.