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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Fahneneid

findungen und Vervollkommnungen der Waffen keinen Einfluß. Das Menschen-
Herz ist sich in seiner Art und in seinem Wesen gleich geblieben?

Der Fahneneid ist eine Einrichtung schon der vorchristlichen Zeit. Schon
das Nvmcrheer in der Kaiserzeit möchte des den Krieger verpflichtenden Eides
nicht entbehren; galt doch allgemein der Grundsatz: kriinunr inililiAL vin-
ouluin 6se i'ölig'lo <ze 8iMvrv.ni -ultor le clesvrsncli nslas. Auch das Mittel¬
alter kennt den Fahneneid, und alle die gewaltigen Umänderungen, die auf
dem Gebiete des Heerwesens in neuester Zeit vor sich gegangen sind, haben
ihn auch nicht beseitigen können. Solange der Staat und die Gemeinde von
ihren Dienern den Amtseid fordern, so lange wird es auch ein Erfordernis
bleiben, daß der oberste Kriegsherr seine Krieger mit dem denkbar festesten
moralischen Bande an sich fesselt. Mag sich der Geist des Unglaubens in
weiten Schichten des Volkes noch so breit machen, vor der Heiligkeit des Eides
weicht selbst der Sozialdemokrat zurück. Als vor Monaten die Nachricht durch
die Zeitungen ging, ein Richter habe einen Zeugen, der den Eid geleistet hatte,
als nicht glaubhaft hingestellt, da der Zeuge Anhänger der Sozialdemokratie
sei, erhob sich in der sozialdemokratischen Presse ein Sturm des Unwillens.
Das ist gewiß bezeichnend. Die Heiligkeit des Eides ist trotz aller traurigen
Erfahrungen und trotz der Zunahme der Meineide und der fahrlässigen Eide
doch im Bewußtsein des Volkes tief und fest begründet; und namentlich der
junge Soldat steht der Schule und dem Konfirmandenunterricht noch viel zu
nahe, als daß ihm jedes Gefühl für die Heiligkeit des Eides verloren ge¬
gangen sein sollte. Das mahnt dringend dazu, die Einrichtung des Fahnen¬
eides als ein teures Vermächtnis alter Zeit festzuhalten. Aber es wäre gut,
auch auf diesem Gebiete die notwendig gewordnen Änderungen einzuführen.
Nach verschiednen Seiten hin sind solche Änderungen durchaus geboten.

Man betrachte eine Eidesleistung, wie sie nach den zur Zeit geltenden
Bestimmungen in jeder Garnison im Herbst nach der Einstellung der Rekruten
vor sich geht, und man wird ganz von selbst herausfinden, was der Änderung
bedarf. Nach alter guter Sitte geht im preußischem Heere der Eidesleistung
ein Gottesdienst voran. Bis in die jüngste Zeit war es nun Brauch, daß
unmittelbar nach Beendigung der Rede des Militärpfarrers die Soldaten in
der Kirche den Eid ablegten; nur die Mannschaften der Artillerie schworen,
nachdem sie vorher am Gottesdienst teilgenommen hatten, auf dem Kasernen¬
hofe, da sie den Eid nicht auf die Fahne, sondern auf das Geschütz ablegten.
Natürlich waren die Konfessionen getrennt. neuerdings ist aber die Ein¬
richtung getroffen worden, daß im allgemeinen nach einem Gottesdienst die
Mannschaften im Kasernenhof'vereinigt werden und dort den Eid gemeinsam
leisten. Nur bei schlechtem Wetter bleibt es den Truppeuteileu überlassen, die
Vereidigung, wie bisher, in der Kirche vorzunehmen. Den Eid in der Kirche
ablegen zu lassen, ist insofern gerechtfertigt, als er doch entschieden eine feier-


Der Fahneneid

findungen und Vervollkommnungen der Waffen keinen Einfluß. Das Menschen-
Herz ist sich in seiner Art und in seinem Wesen gleich geblieben?

Der Fahneneid ist eine Einrichtung schon der vorchristlichen Zeit. Schon
das Nvmcrheer in der Kaiserzeit möchte des den Krieger verpflichtenden Eides
nicht entbehren; galt doch allgemein der Grundsatz: kriinunr inililiAL vin-
ouluin 6se i'ölig'lo <ze 8iMvrv.ni -ultor le clesvrsncli nslas. Auch das Mittel¬
alter kennt den Fahneneid, und alle die gewaltigen Umänderungen, die auf
dem Gebiete des Heerwesens in neuester Zeit vor sich gegangen sind, haben
ihn auch nicht beseitigen können. Solange der Staat und die Gemeinde von
ihren Dienern den Amtseid fordern, so lange wird es auch ein Erfordernis
bleiben, daß der oberste Kriegsherr seine Krieger mit dem denkbar festesten
moralischen Bande an sich fesselt. Mag sich der Geist des Unglaubens in
weiten Schichten des Volkes noch so breit machen, vor der Heiligkeit des Eides
weicht selbst der Sozialdemokrat zurück. Als vor Monaten die Nachricht durch
die Zeitungen ging, ein Richter habe einen Zeugen, der den Eid geleistet hatte,
als nicht glaubhaft hingestellt, da der Zeuge Anhänger der Sozialdemokratie
sei, erhob sich in der sozialdemokratischen Presse ein Sturm des Unwillens.
Das ist gewiß bezeichnend. Die Heiligkeit des Eides ist trotz aller traurigen
Erfahrungen und trotz der Zunahme der Meineide und der fahrlässigen Eide
doch im Bewußtsein des Volkes tief und fest begründet; und namentlich der
junge Soldat steht der Schule und dem Konfirmandenunterricht noch viel zu
nahe, als daß ihm jedes Gefühl für die Heiligkeit des Eides verloren ge¬
gangen sein sollte. Das mahnt dringend dazu, die Einrichtung des Fahnen¬
eides als ein teures Vermächtnis alter Zeit festzuhalten. Aber es wäre gut,
auch auf diesem Gebiete die notwendig gewordnen Änderungen einzuführen.
Nach verschiednen Seiten hin sind solche Änderungen durchaus geboten.

Man betrachte eine Eidesleistung, wie sie nach den zur Zeit geltenden
Bestimmungen in jeder Garnison im Herbst nach der Einstellung der Rekruten
vor sich geht, und man wird ganz von selbst herausfinden, was der Änderung
bedarf. Nach alter guter Sitte geht im preußischem Heere der Eidesleistung
ein Gottesdienst voran. Bis in die jüngste Zeit war es nun Brauch, daß
unmittelbar nach Beendigung der Rede des Militärpfarrers die Soldaten in
der Kirche den Eid ablegten; nur die Mannschaften der Artillerie schworen,
nachdem sie vorher am Gottesdienst teilgenommen hatten, auf dem Kasernen¬
hofe, da sie den Eid nicht auf die Fahne, sondern auf das Geschütz ablegten.
Natürlich waren die Konfessionen getrennt. neuerdings ist aber die Ein¬
richtung getroffen worden, daß im allgemeinen nach einem Gottesdienst die
Mannschaften im Kasernenhof'vereinigt werden und dort den Eid gemeinsam
leisten. Nur bei schlechtem Wetter bleibt es den Truppeuteileu überlassen, die
Vereidigung, wie bisher, in der Kirche vorzunehmen. Den Eid in der Kirche
ablegen zu lassen, ist insofern gerechtfertigt, als er doch entschieden eine feier-


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[0202] Der Fahneneid findungen und Vervollkommnungen der Waffen keinen Einfluß. Das Menschen- Herz ist sich in seiner Art und in seinem Wesen gleich geblieben? Der Fahneneid ist eine Einrichtung schon der vorchristlichen Zeit. Schon das Nvmcrheer in der Kaiserzeit möchte des den Krieger verpflichtenden Eides nicht entbehren; galt doch allgemein der Grundsatz: kriinunr inililiAL vin- ouluin 6se i'ölig'lo <ze 8iMvrv.ni -ultor le clesvrsncli nslas. Auch das Mittel¬ alter kennt den Fahneneid, und alle die gewaltigen Umänderungen, die auf dem Gebiete des Heerwesens in neuester Zeit vor sich gegangen sind, haben ihn auch nicht beseitigen können. Solange der Staat und die Gemeinde von ihren Dienern den Amtseid fordern, so lange wird es auch ein Erfordernis bleiben, daß der oberste Kriegsherr seine Krieger mit dem denkbar festesten moralischen Bande an sich fesselt. Mag sich der Geist des Unglaubens in weiten Schichten des Volkes noch so breit machen, vor der Heiligkeit des Eides weicht selbst der Sozialdemokrat zurück. Als vor Monaten die Nachricht durch die Zeitungen ging, ein Richter habe einen Zeugen, der den Eid geleistet hatte, als nicht glaubhaft hingestellt, da der Zeuge Anhänger der Sozialdemokratie sei, erhob sich in der sozialdemokratischen Presse ein Sturm des Unwillens. Das ist gewiß bezeichnend. Die Heiligkeit des Eides ist trotz aller traurigen Erfahrungen und trotz der Zunahme der Meineide und der fahrlässigen Eide doch im Bewußtsein des Volkes tief und fest begründet; und namentlich der junge Soldat steht der Schule und dem Konfirmandenunterricht noch viel zu nahe, als daß ihm jedes Gefühl für die Heiligkeit des Eides verloren ge¬ gangen sein sollte. Das mahnt dringend dazu, die Einrichtung des Fahnen¬ eides als ein teures Vermächtnis alter Zeit festzuhalten. Aber es wäre gut, auch auf diesem Gebiete die notwendig gewordnen Änderungen einzuführen. Nach verschiednen Seiten hin sind solche Änderungen durchaus geboten. Man betrachte eine Eidesleistung, wie sie nach den zur Zeit geltenden Bestimmungen in jeder Garnison im Herbst nach der Einstellung der Rekruten vor sich geht, und man wird ganz von selbst herausfinden, was der Änderung bedarf. Nach alter guter Sitte geht im preußischem Heere der Eidesleistung ein Gottesdienst voran. Bis in die jüngste Zeit war es nun Brauch, daß unmittelbar nach Beendigung der Rede des Militärpfarrers die Soldaten in der Kirche den Eid ablegten; nur die Mannschaften der Artillerie schworen, nachdem sie vorher am Gottesdienst teilgenommen hatten, auf dem Kasernen¬ hofe, da sie den Eid nicht auf die Fahne, sondern auf das Geschütz ablegten. Natürlich waren die Konfessionen getrennt. neuerdings ist aber die Ein¬ richtung getroffen worden, daß im allgemeinen nach einem Gottesdienst die Mannschaften im Kasernenhof'vereinigt werden und dort den Eid gemeinsam leisten. Nur bei schlechtem Wetter bleibt es den Truppeuteileu überlassen, die Vereidigung, wie bisher, in der Kirche vorzunehmen. Den Eid in der Kirche ablegen zu lassen, ist insofern gerechtfertigt, als er doch entschieden eine feier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/202>, abgerufen am 01.09.2024.