Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.spieligkeit wachsenden öffentlichen Essereien und Trinkereien gehörig zu besteuern. Die Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung sind so handgreiflich, daß man nicht spieligkeit wachsenden öffentlichen Essereien und Trinkereien gehörig zu besteuern. Die Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung sind so handgreiflich, daß man nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215285"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_621" prev="#ID_620"> spieligkeit wachsenden öffentlichen Essereien und Trinkereien gehörig zu besteuern.<lb/> Ja jeder Hauswirt, der imstande wäre, in seinen Räumen mehr als zwanzig Gäste<lb/> abends zu beköstig«! und sie dabei mit allen möglichen teuern Überraschungen zu<lb/> unterhalten, müßte zu eiuer Gesellschaftssteuer herangezogen werden. Auch alle<lb/> Modeartikel, worauf unsre Narren und Närrinnen förmlich Jagd zu machen Pflegen,<lb/> wären von vornherein zu besteuern. Wer sich aller drei Tage ein paar neue<lb/> Glacehandschuhe tauft, der kann für das Paar statt drei Mark auch drei Mark<lb/> fünfzig bezahlen. In England wird auch eine sehr hohe Abgabe für Stempelung<lb/> der Gold- und Silberwaren und andrer Schmuckgegenstände bezahlt. Diese Ab-<lb/> .gaben treffen vor allem die wohlhabenden Klassen; sie könnten ohne Gefahr für<lb/> unsre Kleinkunst anch bei uns eingeführt werden. Alle diese Steuern, auf<lb/> Pferde, Wagen, Dienstboten, Festessen, Gesellschaften, Handschuhe und Schmuck-<lb/> gegenstände würde» uur die zahlungskräftigen Leute treffen, die Überfluß an<lb/> Geld haben, nicht den gewöhnlichen Steuerzahler, der die Steuern uicht von<lb/> seinem Überfluß zahlt, sondern von den zu seinem Lebensunterhalt ganz not¬<lb/> wendigen Mitteln. Bei diesem reißt jede Steuer eine Lücke, bei den Wohl¬<lb/> habenden pflückt sie nur ein paar Ranken ab, die über den Zaun hängen. Eine<lb/> Familie. Vater, Mutter und drei Kinder, kann heutzutage in einer Großstadt mit<lb/> zehntausend Mark jährlich sehr gut leben. Wer ein höheres Einkommen hat, dem<lb/> müßten nicht nur die Ranken abgeschnitten werden, der könnte dem Staate auch<lb/> gut und gern ein paar Früchte aus seinem Garten opfern. Bei dem kleinen<lb/> Manne ist jede Steuer eine Entbehrung, bei dem wohlhabenden ist sie nur eine<lb/> Ausgabe, von der „man nichts hat." Von zehntausend Mark ab konnte eine<lb/> Progressivsteuer eingeführt werden, so stark, daß Leute mit einem jährlichen Ein¬<lb/> kommen von zwanzigtausend Mark dreitausend Mark Steuern zu zahlen hätten,'<lb/> jetzt zahlen sie an Einkommensteuer die lächerliche Summe vou fllufhundertsechs-<lb/> undfiebzig Mark. Mit der Progressivsteuer, behauptet man, würden sofort die<lb/> reichen Leute aus dem Lande Vertrieben werden. Nun, die Couponabschneider und<lb/> Börsenjobber mögen ruhig von hinnen ziehen; die Kapitalisten, die ihr Geld in<lb/> den Fabriken arbeiten lassen, bleiben uns sicher.</p><lb/> <p xml:id="ID_622" next="#ID_623"> Die Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung sind so handgreiflich, daß man nicht<lb/> versteht, wie die Regierung hier vor kräftigen Maßregeln noch immer zurückschreckt;<lb/> durch nichts würde sie den Sozialdemokraten leichter die Waffen aus der Hand<lb/> winden. Es ist ungerecht und widersinnig, daß ein Familienvater, der dem Staate<lb/> vier, fünf, sechs neue Bürger und Soldaten schenkt und unterhält, ebenso viel<lb/> Steuern zu zahlen hat wie ein Junggeselle mit demselben Einkommen. In Frank¬<lb/> reich sucht mau diese Ungerechtigkeit auszugleichen. Ein Familienvater mit sieben<lb/> Kindern zahlt dort seit einiger Zeit überhaupt keine Steuern, ja das siebente Kind<lb/> wird auf Antrag vom Staate erzogen. In Deutschland sind die Junggesellen ge¬<lb/> radezu die verhätschelten Schoßkinder der Negierung. Mnu zahlt ihnen hier sogar<lb/> den ursprünglich nur den Familien zugedachten erhöhten Wohnungsgeldzuschuß; daran<lb/> denkt in andern Ländern kein Mensch. Bei uns geht aber alles nach der Scha¬<lb/> blone. Es ist ferner eine große Ungerechtigkeit, die Militär- und kriegspflichtigen<lb/> Staatsbürger ebenso hoch zu besteuern wie die militärfreien. Es wäre nur eine aus¬<lb/> gleichende Gerechtigkeit, wenn man die militärfreien, steuerpflichtigen Personen höher<lb/> besteuerte als die zum Heeresdienst und Kriegsdienst verpflichteten. Wer zum Waffen¬<lb/> handwerk untauglich ist° der ist es in den meisten Fällen noch lange nicht zu andrer<lb/> Arbeit. Er hat sogar von dieser Untauglichkeit oft Vorteile. Der Dienstpflichtige<lb/> verläßt zwei oder drei Jahre seinen Beruf, erwirbt nicht nnr nichts in dieser Zeit,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0195]
spieligkeit wachsenden öffentlichen Essereien und Trinkereien gehörig zu besteuern.
Ja jeder Hauswirt, der imstande wäre, in seinen Räumen mehr als zwanzig Gäste
abends zu beköstig«! und sie dabei mit allen möglichen teuern Überraschungen zu
unterhalten, müßte zu eiuer Gesellschaftssteuer herangezogen werden. Auch alle
Modeartikel, worauf unsre Narren und Närrinnen förmlich Jagd zu machen Pflegen,
wären von vornherein zu besteuern. Wer sich aller drei Tage ein paar neue
Glacehandschuhe tauft, der kann für das Paar statt drei Mark auch drei Mark
fünfzig bezahlen. In England wird auch eine sehr hohe Abgabe für Stempelung
der Gold- und Silberwaren und andrer Schmuckgegenstände bezahlt. Diese Ab-
.gaben treffen vor allem die wohlhabenden Klassen; sie könnten ohne Gefahr für
unsre Kleinkunst anch bei uns eingeführt werden. Alle diese Steuern, auf
Pferde, Wagen, Dienstboten, Festessen, Gesellschaften, Handschuhe und Schmuck-
gegenstände würde» uur die zahlungskräftigen Leute treffen, die Überfluß an
Geld haben, nicht den gewöhnlichen Steuerzahler, der die Steuern uicht von
seinem Überfluß zahlt, sondern von den zu seinem Lebensunterhalt ganz not¬
wendigen Mitteln. Bei diesem reißt jede Steuer eine Lücke, bei den Wohl¬
habenden pflückt sie nur ein paar Ranken ab, die über den Zaun hängen. Eine
Familie. Vater, Mutter und drei Kinder, kann heutzutage in einer Großstadt mit
zehntausend Mark jährlich sehr gut leben. Wer ein höheres Einkommen hat, dem
müßten nicht nur die Ranken abgeschnitten werden, der könnte dem Staate auch
gut und gern ein paar Früchte aus seinem Garten opfern. Bei dem kleinen
Manne ist jede Steuer eine Entbehrung, bei dem wohlhabenden ist sie nur eine
Ausgabe, von der „man nichts hat." Von zehntausend Mark ab konnte eine
Progressivsteuer eingeführt werden, so stark, daß Leute mit einem jährlichen Ein¬
kommen von zwanzigtausend Mark dreitausend Mark Steuern zu zahlen hätten,'
jetzt zahlen sie an Einkommensteuer die lächerliche Summe vou fllufhundertsechs-
undfiebzig Mark. Mit der Progressivsteuer, behauptet man, würden sofort die
reichen Leute aus dem Lande Vertrieben werden. Nun, die Couponabschneider und
Börsenjobber mögen ruhig von hinnen ziehen; die Kapitalisten, die ihr Geld in
den Fabriken arbeiten lassen, bleiben uns sicher.
Die Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung sind so handgreiflich, daß man nicht
versteht, wie die Regierung hier vor kräftigen Maßregeln noch immer zurückschreckt;
durch nichts würde sie den Sozialdemokraten leichter die Waffen aus der Hand
winden. Es ist ungerecht und widersinnig, daß ein Familienvater, der dem Staate
vier, fünf, sechs neue Bürger und Soldaten schenkt und unterhält, ebenso viel
Steuern zu zahlen hat wie ein Junggeselle mit demselben Einkommen. In Frank¬
reich sucht mau diese Ungerechtigkeit auszugleichen. Ein Familienvater mit sieben
Kindern zahlt dort seit einiger Zeit überhaupt keine Steuern, ja das siebente Kind
wird auf Antrag vom Staate erzogen. In Deutschland sind die Junggesellen ge¬
radezu die verhätschelten Schoßkinder der Negierung. Mnu zahlt ihnen hier sogar
den ursprünglich nur den Familien zugedachten erhöhten Wohnungsgeldzuschuß; daran
denkt in andern Ländern kein Mensch. Bei uns geht aber alles nach der Scha¬
blone. Es ist ferner eine große Ungerechtigkeit, die Militär- und kriegspflichtigen
Staatsbürger ebenso hoch zu besteuern wie die militärfreien. Es wäre nur eine aus¬
gleichende Gerechtigkeit, wenn man die militärfreien, steuerpflichtigen Personen höher
besteuerte als die zum Heeresdienst und Kriegsdienst verpflichteten. Wer zum Waffen¬
handwerk untauglich ist° der ist es in den meisten Fällen noch lange nicht zu andrer
Arbeit. Er hat sogar von dieser Untauglichkeit oft Vorteile. Der Dienstpflichtige
verläßt zwei oder drei Jahre seinen Beruf, erwirbt nicht nnr nichts in dieser Zeit,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |