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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zolas neuester Roman

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Eine beabsichtigte Komik liegt wohl darin, wenn Zola erzählt, der alte
Säufer habe in seinem Testament bestimmt, sein hinterlassenes Vermögen solle
zu einem schönen Denkmal über seinem Grabe verwendet werden, zu einem
Denkmal mit einer mächtigen Säule und zwei weinenden Engeln in einer weh¬
mütigen Gruppe.

Aber wir wollen gerecht sein. Der Roman I^s vootsur ?ü8ca1 enthält
neben dem Unsinnigen, Lächerlichen und Baraken auch manches Schöne. Die
Stelle, wo der alte Gelehrte dem Zuge nachschaut, der seine geliebte Klotilde
nach Paris führt, ist wirklich poetisch. Und seine Lobpreisung der Arbeit ist
für Zola so charakteristisch, daß wir sie unsern Lesern ganz mitteilen müssen:
"Es war eine seiner Lehren -- erzählt er von Pascal --, daß die absolute Ruhe
gar nichts wert sei, daß man sie niemals verordnen sollte, nicht einmal denen,
die sich überarbeitet Hütten. Ein Mensch lebt nur durch das äußere Milieu,
worin er sich gleichsam badet. Und die sinnlichen Erregungen, die er dabei
empfindet, setzen sich bei ihm in Bewegung, in Gedanken und in Handlungen
um. Hat er absolute Ruhe, und empfängt er dabei doch jene Erregungen, ohne
sie, verdaut und verwandelt, wiederzugeben, so entsteht eine Stockung, eine
Beklemmung, ein unvermeidlicher Verlust des Gleichgewichts. Er hatte immer
erprobt, daß die Arbeit der beste Regulator seines Lebens sei. Selbst an
einem Morgen, wo er sich unwohl fühlte, setzte er sich an die Arbeit; und
dabei fand er seine Festigkeit wieder. Niemals fühlte er sich wohler, als
wenn er seine Arbeit vollendete, die methodisch vorgezeichnet war, und an der
er zu derselben Stunde täglich eine bestimmte Zahl von Seiten zu schreiben
hatte. Er verglich diese Arbeit mit einer Balancierstange, die ihn, inmitten
der täglichen Lebensqualen, der Schwächen und der Fehltritte aufrecht hielt."

Nach Zoln ist die Menschheit also nur zu retten durch subkutane Ein¬
spritzungen mit aufgelöstem Hammelbrägeu und durch regelmäßige Arbeit,
Das ist eine verteufelt leichte Lösung des schwierigen sozialen Problems. Wir
sehen auch in diesem Romane wieder, was wir schon früher festgestellt haben,
daß Zola nicht imstande ist, das innere Leben eines geistig höher stehenden
Menschen nachempfindend zu schildern; für das Seelische, wahrhaft Mensch¬
liche hat er nicht das geringste Verständnis. Wo er solche Schilderungen
versucht, bringt er stets Karrikaturen zustande. Und eine der schlimmsten ist
sein Doktor Pascal. Hoffentlich werden seine Anhänger nach diesem traurigen
Abschluß des großen Romancyklus endlich aufhören, pathetisch auszurufen:
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Zolas neuester Roman

«6 zivtit tA8 äiZ v0U88lors AN8L, MV 1ö courant ä'g.ir as 1«, vorto mollit^int
6ö dalA^ör.

Eine beabsichtigte Komik liegt wohl darin, wenn Zola erzählt, der alte
Säufer habe in seinem Testament bestimmt, sein hinterlassenes Vermögen solle
zu einem schönen Denkmal über seinem Grabe verwendet werden, zu einem
Denkmal mit einer mächtigen Säule und zwei weinenden Engeln in einer weh¬
mütigen Gruppe.

Aber wir wollen gerecht sein. Der Roman I^s vootsur ?ü8ca1 enthält
neben dem Unsinnigen, Lächerlichen und Baraken auch manches Schöne. Die
Stelle, wo der alte Gelehrte dem Zuge nachschaut, der seine geliebte Klotilde
nach Paris führt, ist wirklich poetisch. Und seine Lobpreisung der Arbeit ist
für Zola so charakteristisch, daß wir sie unsern Lesern ganz mitteilen müssen:
„Es war eine seiner Lehren — erzählt er von Pascal —, daß die absolute Ruhe
gar nichts wert sei, daß man sie niemals verordnen sollte, nicht einmal denen,
die sich überarbeitet Hütten. Ein Mensch lebt nur durch das äußere Milieu,
worin er sich gleichsam badet. Und die sinnlichen Erregungen, die er dabei
empfindet, setzen sich bei ihm in Bewegung, in Gedanken und in Handlungen
um. Hat er absolute Ruhe, und empfängt er dabei doch jene Erregungen, ohne
sie, verdaut und verwandelt, wiederzugeben, so entsteht eine Stockung, eine
Beklemmung, ein unvermeidlicher Verlust des Gleichgewichts. Er hatte immer
erprobt, daß die Arbeit der beste Regulator seines Lebens sei. Selbst an
einem Morgen, wo er sich unwohl fühlte, setzte er sich an die Arbeit; und
dabei fand er seine Festigkeit wieder. Niemals fühlte er sich wohler, als
wenn er seine Arbeit vollendete, die methodisch vorgezeichnet war, und an der
er zu derselben Stunde täglich eine bestimmte Zahl von Seiten zu schreiben
hatte. Er verglich diese Arbeit mit einer Balancierstange, die ihn, inmitten
der täglichen Lebensqualen, der Schwächen und der Fehltritte aufrecht hielt."

Nach Zoln ist die Menschheit also nur zu retten durch subkutane Ein¬
spritzungen mit aufgelöstem Hammelbrägeu und durch regelmäßige Arbeit,
Das ist eine verteufelt leichte Lösung des schwierigen sozialen Problems. Wir
sehen auch in diesem Romane wieder, was wir schon früher festgestellt haben,
daß Zola nicht imstande ist, das innere Leben eines geistig höher stehenden
Menschen nachempfindend zu schildern; für das Seelische, wahrhaft Mensch¬
liche hat er nicht das geringste Verständnis. Wo er solche Schilderungen
versucht, bringt er stets Karrikaturen zustande. Und eine der schlimmsten ist
sein Doktor Pascal. Hoffentlich werden seine Anhänger nach diesem traurigen
Abschluß des großen Romancyklus endlich aufhören, pathetisch auszurufen:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/191>, abgerufen am 23.11.2024.