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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Luise Moritz Arndt und Johanna Motherby

in einer leuchtenden Kette zum Himmel aufwinden und uns so zu jener einzig
gewissen und unverwelklichen Liebe emporheben wollen? O Du Liebes! thu
das nicht, brich eine Gemeinschaft nicht ungläubig ab, die für uns beide so
wohlthätig sein muß; erkläre nicht selbst Erinnerungen für Lügen, die uns
ewig die anmutigsten sein müssen."

Aber was auch Arndt jetzt und später that, die leidenschaftliche Freundin in
treuem Gedenken zu beschwichtigen, er konnte nicht abwenden, daß doch ihre
Trennung von Motherby erfolgte. Eine neue Spätleidenschaft des unruhigen
Herzens führte ein Jahrzehnt nach der hier geschilderten Zeit (1324) zur Schei¬
dung Johannas und ihrer Verbindung mit dem elf Jahre jüngern Arzt
Dr. Ludwig Dieffenbach, mit dem sie sich in Berlin niederließ. Auch diese
Wendung ihres Schicksals, die ihr wiederum, das getrüumte Glück nicht brachte,
hat Arndt mit ernstem Freundesanteil begleitet, mit wie ernstem und schmerz¬
lichem, verrät der letzte Wunsch, den er ihr (Bonn, 25. Mnrz 1836) nach ihrer
zweiten Scheidung auch von Professor Dieffenbach zurief: "Wir grüßen Dich
sehr und wünschen Dir in der durch eigne und fremde Unruhe gctümmelvvllen
Welt ein bischen vou Gottes Frieden."

Alles in allem ist es eine wundersame Episode von Arndts innerm Leben,
die durch die Briefe an Johanna Motherby erhellt wird, ein uns tiefbe-
wegcndes Zeugnis dafür, welche Kluft die Menschen von heute und ihr Em¬
pfinden von den Menschen und Empfindungen im Beginn unsers Jahrhunderts
trennt. Als Arndt im Winter von 1847 an Charlotte von Kälber meldete:
"Ich habe mein sicbennndsiebzigstes nun überschritten, nicht ohne Schmerzen
ganz eigentümlicher Art, in denen ich noch etwas begraben bin, eine Art
Schmerzen, wie die einer Leichenbestattung. Denn die hohe Altersspitze, worauf
ich stehe, hatte mich ermahnt, unter lange still gelegnen und bestäubten Papieren
zu wühlen, und da wurden auch manche thränen- und schmerzensreiche Er¬
innerungen mit aufgewühlt. Ich wühle nun schon seit Wochen. Bei diesem
Wühlen und Ordnen von Papieren aus längst verschimmelt Tagen werden
auch viele süßeste Erinnerungen wieder doppelt lebendig, und auch der Dank
gegen den freundlichen Gott, der mir die Liebe so vieler frommen und tapfern
Seelen in einem langen Leben beschieden hat," da mußte er anch Johannas
als einer Abgeschiednen gedenken, sie war bereits fünf Jahre zuvor, am
22. August 1842, in Berlin verstorben.




Luise Moritz Arndt und Johanna Motherby

in einer leuchtenden Kette zum Himmel aufwinden und uns so zu jener einzig
gewissen und unverwelklichen Liebe emporheben wollen? O Du Liebes! thu
das nicht, brich eine Gemeinschaft nicht ungläubig ab, die für uns beide so
wohlthätig sein muß; erkläre nicht selbst Erinnerungen für Lügen, die uns
ewig die anmutigsten sein müssen."

Aber was auch Arndt jetzt und später that, die leidenschaftliche Freundin in
treuem Gedenken zu beschwichtigen, er konnte nicht abwenden, daß doch ihre
Trennung von Motherby erfolgte. Eine neue Spätleidenschaft des unruhigen
Herzens führte ein Jahrzehnt nach der hier geschilderten Zeit (1324) zur Schei¬
dung Johannas und ihrer Verbindung mit dem elf Jahre jüngern Arzt
Dr. Ludwig Dieffenbach, mit dem sie sich in Berlin niederließ. Auch diese
Wendung ihres Schicksals, die ihr wiederum, das getrüumte Glück nicht brachte,
hat Arndt mit ernstem Freundesanteil begleitet, mit wie ernstem und schmerz¬
lichem, verrät der letzte Wunsch, den er ihr (Bonn, 25. Mnrz 1836) nach ihrer
zweiten Scheidung auch von Professor Dieffenbach zurief: „Wir grüßen Dich
sehr und wünschen Dir in der durch eigne und fremde Unruhe gctümmelvvllen
Welt ein bischen vou Gottes Frieden."

Alles in allem ist es eine wundersame Episode von Arndts innerm Leben,
die durch die Briefe an Johanna Motherby erhellt wird, ein uns tiefbe-
wegcndes Zeugnis dafür, welche Kluft die Menschen von heute und ihr Em¬
pfinden von den Menschen und Empfindungen im Beginn unsers Jahrhunderts
trennt. Als Arndt im Winter von 1847 an Charlotte von Kälber meldete:
„Ich habe mein sicbennndsiebzigstes nun überschritten, nicht ohne Schmerzen
ganz eigentümlicher Art, in denen ich noch etwas begraben bin, eine Art
Schmerzen, wie die einer Leichenbestattung. Denn die hohe Altersspitze, worauf
ich stehe, hatte mich ermahnt, unter lange still gelegnen und bestäubten Papieren
zu wühlen, und da wurden auch manche thränen- und schmerzensreiche Er¬
innerungen mit aufgewühlt. Ich wühle nun schon seit Wochen. Bei diesem
Wühlen und Ordnen von Papieren aus längst verschimmelt Tagen werden
auch viele süßeste Erinnerungen wieder doppelt lebendig, und auch der Dank
gegen den freundlichen Gott, der mir die Liebe so vieler frommen und tapfern
Seelen in einem langen Leben beschieden hat," da mußte er anch Johannas
als einer Abgeschiednen gedenken, sie war bereits fünf Jahre zuvor, am
22. August 1842, in Berlin verstorben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/182>, abgerufen am 28.07.2024.