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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Ernst Moritz Arndt und Johanna Motherby

deren ganzes Wesen an das tiefe, sehnsüchtige Verlangen nach einer Blüte hin¬
gegeben ist, die die Erde nicht trägt, an die Sehnsucht nach einer Liebe, die
kindlich gläubig und feurig leidenschaftlich, die Spiel und tiefste Wahrheit,
weltfreudig und weltvergessen zugleich wäre, die jeden Tag mit den Strahlen
vergoldete, die dem Menschen nur in seinen seligsten Stunden leuchten. Weil
ihr das Leben dies Unendliche nicht gewähren wollte, lag ein Lächeln der
Wehmut um ihre Lippen, blieb etwas Sehnendes in ihren Blicken und etwas
suchendes in ihrem ganzen Wesen. Johanna Motherby zog durch die geistige
Regsamkeit und die leidenschaftliche Teilnahme, die sie allem Schönen, jeder
geistigen Schöpfung und jedem geistigen Leben entgegenbrachte, bedeutende
Männer an, die weiche, zarte Hilfsbedürftigkcit ihrer Natur flößte ihnen den
Wunsch ein, die Liebenswürdige über jeden Stein des Anstoßes zu tragen
und sie vor jedem rauhen Hauche zu schützen. Von diesem Gefühl war Wil¬
helm von Humboldt ergriffen worden, der Johanna Motherby kennen gelernt
hatte, als er 1809 als preußischer Kultus- und Unterrichtsminister nach Königs¬
berg gekommen war und bis zum Jahre 1813 einen Briefwechsel mit ihr
führte, den nach den von Mcisner mitgeteilten wenigen erhaltnen Proben
zuletzt eine alles vergessende, stürmische, fordernde Leidenschaft erfüllte. Dies
Gefühl übermannte auch Arndt und wurde bei ihm durch seine Vergangenheit
und seine damalige Lage verstärkt. Arndt war seit einem Jahrzehnt Witwer,
hatte seit eben so langer Zeit ein rastloses, von Gefahren bedrohtes Wander¬
dasein geführt und doch den Wunsch nach Frauenliebe, den Wunsch nach einem
glücklich-friedlichen blütengeschmückten Dasein nie hinter sich geworfen. So
gesellte sich der zärtlichen Teilnahme, die ihm Johanna Motherby einflößte,
dem Vertrauen, das sie unwiderstehlich forderte, und das ihr Arndt schrankenlos
entgegenbrachte, eine Empfindung, der er keinen Namen gab, deren innerste
Natur aber die Verse an "Furiua" offenbarten:

Bei beiden, und zumal bei Arndt, scheinen die Königsberger Wochen den
Traum geweckt zu haben, in einer glücklichern Zukunft einander ganz anzu¬
gehören. Ob Wilhelm Motherby anfänglich etwas davon ahnte oder nicht,
wäre schwer zu erraten, er trat gleich seiner Frau nach Arndts Abreise ans
Königsberg mit diesem in Briefwechsel, in dem natürlich die allgemeinen,
die vaterländischen Dinge die persönlichen Angelegenheiten weit überwogen. Er
war in den Tagen der Erhebung und der Rüstungen zum "Oberarzt der Land-


Grenzboten III 1893 22
Ernst Moritz Arndt und Johanna Motherby

deren ganzes Wesen an das tiefe, sehnsüchtige Verlangen nach einer Blüte hin¬
gegeben ist, die die Erde nicht trägt, an die Sehnsucht nach einer Liebe, die
kindlich gläubig und feurig leidenschaftlich, die Spiel und tiefste Wahrheit,
weltfreudig und weltvergessen zugleich wäre, die jeden Tag mit den Strahlen
vergoldete, die dem Menschen nur in seinen seligsten Stunden leuchten. Weil
ihr das Leben dies Unendliche nicht gewähren wollte, lag ein Lächeln der
Wehmut um ihre Lippen, blieb etwas Sehnendes in ihren Blicken und etwas
suchendes in ihrem ganzen Wesen. Johanna Motherby zog durch die geistige
Regsamkeit und die leidenschaftliche Teilnahme, die sie allem Schönen, jeder
geistigen Schöpfung und jedem geistigen Leben entgegenbrachte, bedeutende
Männer an, die weiche, zarte Hilfsbedürftigkcit ihrer Natur flößte ihnen den
Wunsch ein, die Liebenswürdige über jeden Stein des Anstoßes zu tragen
und sie vor jedem rauhen Hauche zu schützen. Von diesem Gefühl war Wil¬
helm von Humboldt ergriffen worden, der Johanna Motherby kennen gelernt
hatte, als er 1809 als preußischer Kultus- und Unterrichtsminister nach Königs¬
berg gekommen war und bis zum Jahre 1813 einen Briefwechsel mit ihr
führte, den nach den von Mcisner mitgeteilten wenigen erhaltnen Proben
zuletzt eine alles vergessende, stürmische, fordernde Leidenschaft erfüllte. Dies
Gefühl übermannte auch Arndt und wurde bei ihm durch seine Vergangenheit
und seine damalige Lage verstärkt. Arndt war seit einem Jahrzehnt Witwer,
hatte seit eben so langer Zeit ein rastloses, von Gefahren bedrohtes Wander¬
dasein geführt und doch den Wunsch nach Frauenliebe, den Wunsch nach einem
glücklich-friedlichen blütengeschmückten Dasein nie hinter sich geworfen. So
gesellte sich der zärtlichen Teilnahme, die ihm Johanna Motherby einflößte,
dem Vertrauen, das sie unwiderstehlich forderte, und das ihr Arndt schrankenlos
entgegenbrachte, eine Empfindung, der er keinen Namen gab, deren innerste
Natur aber die Verse an „Furiua" offenbarten:

Bei beiden, und zumal bei Arndt, scheinen die Königsberger Wochen den
Traum geweckt zu haben, in einer glücklichern Zukunft einander ganz anzu¬
gehören. Ob Wilhelm Motherby anfänglich etwas davon ahnte oder nicht,
wäre schwer zu erraten, er trat gleich seiner Frau nach Arndts Abreise ans
Königsberg mit diesem in Briefwechsel, in dem natürlich die allgemeinen,
die vaterländischen Dinge die persönlichen Angelegenheiten weit überwogen. Er
war in den Tagen der Erhebung und der Rüstungen zum „Oberarzt der Land-


Grenzboten III 1893 22
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[0177] Ernst Moritz Arndt und Johanna Motherby deren ganzes Wesen an das tiefe, sehnsüchtige Verlangen nach einer Blüte hin¬ gegeben ist, die die Erde nicht trägt, an die Sehnsucht nach einer Liebe, die kindlich gläubig und feurig leidenschaftlich, die Spiel und tiefste Wahrheit, weltfreudig und weltvergessen zugleich wäre, die jeden Tag mit den Strahlen vergoldete, die dem Menschen nur in seinen seligsten Stunden leuchten. Weil ihr das Leben dies Unendliche nicht gewähren wollte, lag ein Lächeln der Wehmut um ihre Lippen, blieb etwas Sehnendes in ihren Blicken und etwas suchendes in ihrem ganzen Wesen. Johanna Motherby zog durch die geistige Regsamkeit und die leidenschaftliche Teilnahme, die sie allem Schönen, jeder geistigen Schöpfung und jedem geistigen Leben entgegenbrachte, bedeutende Männer an, die weiche, zarte Hilfsbedürftigkcit ihrer Natur flößte ihnen den Wunsch ein, die Liebenswürdige über jeden Stein des Anstoßes zu tragen und sie vor jedem rauhen Hauche zu schützen. Von diesem Gefühl war Wil¬ helm von Humboldt ergriffen worden, der Johanna Motherby kennen gelernt hatte, als er 1809 als preußischer Kultus- und Unterrichtsminister nach Königs¬ berg gekommen war und bis zum Jahre 1813 einen Briefwechsel mit ihr führte, den nach den von Mcisner mitgeteilten wenigen erhaltnen Proben zuletzt eine alles vergessende, stürmische, fordernde Leidenschaft erfüllte. Dies Gefühl übermannte auch Arndt und wurde bei ihm durch seine Vergangenheit und seine damalige Lage verstärkt. Arndt war seit einem Jahrzehnt Witwer, hatte seit eben so langer Zeit ein rastloses, von Gefahren bedrohtes Wander¬ dasein geführt und doch den Wunsch nach Frauenliebe, den Wunsch nach einem glücklich-friedlichen blütengeschmückten Dasein nie hinter sich geworfen. So gesellte sich der zärtlichen Teilnahme, die ihm Johanna Motherby einflößte, dem Vertrauen, das sie unwiderstehlich forderte, und das ihr Arndt schrankenlos entgegenbrachte, eine Empfindung, der er keinen Namen gab, deren innerste Natur aber die Verse an „Furiua" offenbarten: Bei beiden, und zumal bei Arndt, scheinen die Königsberger Wochen den Traum geweckt zu haben, in einer glücklichern Zukunft einander ganz anzu¬ gehören. Ob Wilhelm Motherby anfänglich etwas davon ahnte oder nicht, wäre schwer zu erraten, er trat gleich seiner Frau nach Arndts Abreise ans Königsberg mit diesem in Briefwechsel, in dem natürlich die allgemeinen, die vaterländischen Dinge die persönlichen Angelegenheiten weit überwogen. Er war in den Tagen der Erhebung und der Rüstungen zum „Oberarzt der Land- Grenzboten III 1893 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/177>, abgerufen am 01.09.2024.