Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Die ätherische Volksmoral im Vrama der Heldensage nennen darf -- Hermann und Dorothea und Max Piccolomini
Längere Zeit noch sträubt sich Neoptolemos, aber der Vorstellung, daß er Die ätherische Volksmoral im Vrama der Heldensage nennen darf — Hermann und Dorothea und Max Piccolomini
Längere Zeit noch sträubt sich Neoptolemos, aber der Vorstellung, daß er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215254"/> <fw type="header" place="top"> Die ätherische Volksmoral im Vrama</fw><lb/> <p xml:id="ID_523" prev="#ID_522"> der Heldensage nennen darf — Hermann und Dorothea und Max Piccolomini<lb/> ebenbürtig. Der von den Griechen auf des Odysseus Rat schmählich aus¬<lb/> gesetzte und an einer eiternden Fußwunde leidende Philoktet hat auf Lemnos,<lb/> einsam und hilflos, zehn qualvolle Jahre verlebt. Da kommt Odysseus, von<lb/> Neoptolemos begleitet, den Mann oder wenigstens seinen Bogen zu holen,<lb/> weil der Wahrsager Helenos verkündigt hat, Troia könne nur von Neopto¬<lb/> lemos mit Hilfe des Philoktet und seiner Pfeile bezwungen werden. Aber daß<lb/> sich Philoktet freiwillig entschließen werde, mit Odysseus nach Ilion zu gehen<lb/> und die Wünsche derer zu erfüllen, die ihn so grausam und treulos behandelt<lb/> haben, daran ist nicht zu denken. Man wird den Unglücklichen also wohl mit<lb/> Gewalt fortschleppen oder ihm den Bogen rauben müssen, der ihm dazu dient,<lb/> Wild zu erlegen und sich so kümmerlich das Leben zu fristen. Ehe man jedoch<lb/> zur Gewalt schreitet, will es der Verschlagne mit List versuchen. Neoptolemos<lb/> soll den Kranken allein aufsuchen, ihm vorreden, er habe von den Griechen<lb/> und namentlich von Odysseus, auf den er weidlich schimpfen möge, schweres<lb/> Unrecht erlitten und ziehe nun heimwärts; fo möge er versuchen, den Be-<lb/> trognen oder wenigstens seinen Bogen ins Schiff zu bringen. Wohl weiß ich,<lb/> schließt Odysseus seine Instruktion,</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_524"> Wohl weiß ich, Jüngling, daß es deine Art nicht ist,<lb/> Zu solcher Rede arger List dich zu verstehn,<lb/> Doch köstlich ist des Sieges Lohn, der deiner harrt.<lb/> Drum wäg es; rechtlich zeigen wir uns dann nachher.<lb/> Nur folg mir jetzt für einen kleinen Teil des Tags<lb/> Und wirf die Scham beiseite. Künftig laß dich dann<lb/> Den frömmsten aller Menschen nennen immerdar.</p> <note type="speaker"> Neoptolemos</note> <p xml:id="ID_525"> WnS mich entrüstet, o Laertes Sohn, sobald<lb/> Ichs nennen höre, sträube ich mich auch zu thun.<lb/> Es ist mir angeboren, schnöde List zu fliehn;<lb/> ......Besser ists, des Ziels<lb/> Zu fehlen, als ein Sieg, der Schande bringt.</p> <note type="speaker"> Odysseus</note> <p xml:id="ID_526"> O Sohn des edeln Vaters, in der Jugend war<lb/> Auch mir die Zunge langsam, rasch zur That der Arm,<lb/> Doch in des Lebens Schule lernt' ich, daß das Wort<lb/> Und nicht das Handeln übernll die Welt regiert.</p> <note type="speaker"> Neoptolemos</note> <p xml:id="ID_527"> Was sonst, als eine Lüge, forderst du von mir?</p> </quote><lb/> <p xml:id="ID_528" next="#ID_529"> Längere Zeit noch sträubt sich Neoptolemos, aber der Vorstellung, daß er<lb/> ohne den fraglichen Bogen Ilion nicht bezwingen, ohne die von seinem Be¬<lb/> rater ersonnene List aber nicht in den Besitz des Bogens gelangen könne, unter¬<lb/> liegt doch schließlich sein ruhmbegieriges Herz. Bei Philoktets Höhle angelangt,<lb/> spielt er seine Rolle leidlich; Philoktet beschwört die Fremdlinge, ihn nutzn-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
Die ätherische Volksmoral im Vrama
der Heldensage nennen darf — Hermann und Dorothea und Max Piccolomini
ebenbürtig. Der von den Griechen auf des Odysseus Rat schmählich aus¬
gesetzte und an einer eiternden Fußwunde leidende Philoktet hat auf Lemnos,
einsam und hilflos, zehn qualvolle Jahre verlebt. Da kommt Odysseus, von
Neoptolemos begleitet, den Mann oder wenigstens seinen Bogen zu holen,
weil der Wahrsager Helenos verkündigt hat, Troia könne nur von Neopto¬
lemos mit Hilfe des Philoktet und seiner Pfeile bezwungen werden. Aber daß
sich Philoktet freiwillig entschließen werde, mit Odysseus nach Ilion zu gehen
und die Wünsche derer zu erfüllen, die ihn so grausam und treulos behandelt
haben, daran ist nicht zu denken. Man wird den Unglücklichen also wohl mit
Gewalt fortschleppen oder ihm den Bogen rauben müssen, der ihm dazu dient,
Wild zu erlegen und sich so kümmerlich das Leben zu fristen. Ehe man jedoch
zur Gewalt schreitet, will es der Verschlagne mit List versuchen. Neoptolemos
soll den Kranken allein aufsuchen, ihm vorreden, er habe von den Griechen
und namentlich von Odysseus, auf den er weidlich schimpfen möge, schweres
Unrecht erlitten und ziehe nun heimwärts; fo möge er versuchen, den Be-
trognen oder wenigstens seinen Bogen ins Schiff zu bringen. Wohl weiß ich,
schließt Odysseus seine Instruktion,
Wohl weiß ich, Jüngling, daß es deine Art nicht ist,
Zu solcher Rede arger List dich zu verstehn,
Doch köstlich ist des Sieges Lohn, der deiner harrt.
Drum wäg es; rechtlich zeigen wir uns dann nachher.
Nur folg mir jetzt für einen kleinen Teil des Tags
Und wirf die Scham beiseite. Künftig laß dich dann
Den frömmsten aller Menschen nennen immerdar.
Neoptolemos WnS mich entrüstet, o Laertes Sohn, sobald
Ichs nennen höre, sträube ich mich auch zu thun.
Es ist mir angeboren, schnöde List zu fliehn;
......Besser ists, des Ziels
Zu fehlen, als ein Sieg, der Schande bringt.
Odysseus O Sohn des edeln Vaters, in der Jugend war
Auch mir die Zunge langsam, rasch zur That der Arm,
Doch in des Lebens Schule lernt' ich, daß das Wort
Und nicht das Handeln übernll die Welt regiert.
Neoptolemos Was sonst, als eine Lüge, forderst du von mir?
Längere Zeit noch sträubt sich Neoptolemos, aber der Vorstellung, daß er
ohne den fraglichen Bogen Ilion nicht bezwingen, ohne die von seinem Be¬
rater ersonnene List aber nicht in den Besitz des Bogens gelangen könne, unter¬
liegt doch schließlich sein ruhmbegieriges Herz. Bei Philoktets Höhle angelangt,
spielt er seine Rolle leidlich; Philoktet beschwört die Fremdlinge, ihn nutzn-
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