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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zur Lage

man sie von den Beratuugsgegenständen des Reichstags aus, und der Monarch
übernehme die ganze Verantwortung selbst persönlich und allein! Allenfalls
könnte er, um sich einigermaßen zu decken, ein Plebiszit, ein Referendum ver¬
anstalten, nicht über das Technische einer solchen Vorlage, wovon wir ja nichts
verstehen, sondern über folgende drei Fragen. 1. Wünscht ihr eine Verstärkung
des Kriegsheeres? 2. Wenn nicht, wollt ihr sie euch wenigstens gefallen lassen?
3. Ist das Volk imstande, die vermehrte Last zu tragen? Die Antwort Ware
einfach mit ja und nein zu geben, und alle Agitation und Beeinflussung wäre
ausdrücklich zu verbieten, da dem Monarchen alles daran liegen müßte, den
Willen und die Stimmung der Mehrzahl genau zu erfahren. Überwögen bei
allen drei Fragen die "nein," und bliebe er dennoch bei seinem Entschlüsse,
so wüßte er wenigstens ganz genau, welches Wagnis er damit unternähme.
Der Reichstag hätte dann nur über die Aufbringung der Kosten zu beraten,
und wenn er sich weigerte oder über die auszuschreibenden Steuern nicht
einigen könnte, so würde der Monarch, wiederum auf seine persönliche Ver¬
antwortung und Gefahr, das Geld nehmen, wo er es fände.

Die Reichstagsabgeordneten, die von mancherlei Rücksichten geleitet werden,
sind weit entfernt davon, den Dingen so auf den Grund zu gehen, wie wir es
oben gethan haben, und nach solchen Erwägungen ihre Entscheidungen zu
treffen oder die Negierung zur Annahme einer Politik mit klaren Zielen zu
zwingen. Anfänglich waren sie sämtlich gegen die Vorlage, die zur Rechten
wegen der zweijährigen Dienstzeit, die zur Linken teils aus grundsätzlicher
Abneigung gegen das Militär, teils aus volkswirtschaftlichen Gründen, alle
ohne Ausnahme, weil es die Wähler gern haben. Der Verfasser dieses Aus¬
satzes hat in einer kleinen Zeitung den damaligen Entrüstungssturm verspottet
und prophezeit, daß im letzten Augenblick Zentrum und Liberale die zur An¬
nahme erforderliche Anzahl von Abgeordneten abkommandircn würden, um,
nachdem sie durch die Opposition ihren guten Ruf als Volksmänner gewahrt
hatten, uun die Gefahr der Auflösung abzuwenden. Unvorhergesehene Er¬
eignisse haben diese Voraussagung, die sonst eingetroffen sein würde, zu schänden
gemacht. Das Zentrum, tief verstimmt durch die Preisgebung des Volksschul-
gesetzentwnrfs und daher von vornherein wenig geneigt, die Negierung zu
unterstützen, wurde durch die drohende Meuterei seiner Wähler gezwungen,
eine feste oppositionelle Haltung einzunehmen. Der Unwille der rheinisch¬
westfälischen Arbeiter und Kleinbürger darüber, daß im Zentrum die aristo¬
kratischen und regierungsfreundlichen Abgeordneten aus Schlesien die demo¬
kratischen vom Rhein in den Hintergrund zu drängen drohten, kam in der
Wahl Fusangels zum Ausdruck, und in Baiern fingen die Bauern, die ihrer
Natur nach für preußisches Wesen nicht schwärmen können, plötzlich an zu
rumoren. Sobald man deutlich sah, daß es den Ultramontanen mit der
Opposition voller Ernst sei, und daß sie keinerlei Kompromiß- oder Schacher-


Zur Lage

man sie von den Beratuugsgegenständen des Reichstags aus, und der Monarch
übernehme die ganze Verantwortung selbst persönlich und allein! Allenfalls
könnte er, um sich einigermaßen zu decken, ein Plebiszit, ein Referendum ver¬
anstalten, nicht über das Technische einer solchen Vorlage, wovon wir ja nichts
verstehen, sondern über folgende drei Fragen. 1. Wünscht ihr eine Verstärkung
des Kriegsheeres? 2. Wenn nicht, wollt ihr sie euch wenigstens gefallen lassen?
3. Ist das Volk imstande, die vermehrte Last zu tragen? Die Antwort Ware
einfach mit ja und nein zu geben, und alle Agitation und Beeinflussung wäre
ausdrücklich zu verbieten, da dem Monarchen alles daran liegen müßte, den
Willen und die Stimmung der Mehrzahl genau zu erfahren. Überwögen bei
allen drei Fragen die „nein," und bliebe er dennoch bei seinem Entschlüsse,
so wüßte er wenigstens ganz genau, welches Wagnis er damit unternähme.
Der Reichstag hätte dann nur über die Aufbringung der Kosten zu beraten,
und wenn er sich weigerte oder über die auszuschreibenden Steuern nicht
einigen könnte, so würde der Monarch, wiederum auf seine persönliche Ver¬
antwortung und Gefahr, das Geld nehmen, wo er es fände.

Die Reichstagsabgeordneten, die von mancherlei Rücksichten geleitet werden,
sind weit entfernt davon, den Dingen so auf den Grund zu gehen, wie wir es
oben gethan haben, und nach solchen Erwägungen ihre Entscheidungen zu
treffen oder die Negierung zur Annahme einer Politik mit klaren Zielen zu
zwingen. Anfänglich waren sie sämtlich gegen die Vorlage, die zur Rechten
wegen der zweijährigen Dienstzeit, die zur Linken teils aus grundsätzlicher
Abneigung gegen das Militär, teils aus volkswirtschaftlichen Gründen, alle
ohne Ausnahme, weil es die Wähler gern haben. Der Verfasser dieses Aus¬
satzes hat in einer kleinen Zeitung den damaligen Entrüstungssturm verspottet
und prophezeit, daß im letzten Augenblick Zentrum und Liberale die zur An¬
nahme erforderliche Anzahl von Abgeordneten abkommandircn würden, um,
nachdem sie durch die Opposition ihren guten Ruf als Volksmänner gewahrt
hatten, uun die Gefahr der Auflösung abzuwenden. Unvorhergesehene Er¬
eignisse haben diese Voraussagung, die sonst eingetroffen sein würde, zu schänden
gemacht. Das Zentrum, tief verstimmt durch die Preisgebung des Volksschul-
gesetzentwnrfs und daher von vornherein wenig geneigt, die Negierung zu
unterstützen, wurde durch die drohende Meuterei seiner Wähler gezwungen,
eine feste oppositionelle Haltung einzunehmen. Der Unwille der rheinisch¬
westfälischen Arbeiter und Kleinbürger darüber, daß im Zentrum die aristo¬
kratischen und regierungsfreundlichen Abgeordneten aus Schlesien die demo¬
kratischen vom Rhein in den Hintergrund zu drängen drohten, kam in der
Wahl Fusangels zum Ausdruck, und in Baiern fingen die Bauern, die ihrer
Natur nach für preußisches Wesen nicht schwärmen können, plötzlich an zu
rumoren. Sobald man deutlich sah, daß es den Ultramontanen mit der
Opposition voller Ernst sei, und daß sie keinerlei Kompromiß- oder Schacher-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/16>, abgerufen am 24.11.2024.