Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Die ätherische volksmoral im Drama die Harmonie einer sittlichen Weltordnung aufgelöst haben mag, kann man Diesen Geist der Menschenfreundlichkeit atmen nun alle uns bekannten Daß nur irgend ein Grollen der Götter nicht Und jede der Strophen, in denen der Chor diese Erinnerungen wach ruft, Daß das Gute in der Welt, in der Menschennatur überwiege, läßt Euri- Mit andern stritt ich manchesmal und eiferte, Die ätherische volksmoral im Drama die Harmonie einer sittlichen Weltordnung aufgelöst haben mag, kann man Diesen Geist der Menschenfreundlichkeit atmen nun alle uns bekannten Daß nur irgend ein Grollen der Götter nicht Und jede der Strophen, in denen der Chor diese Erinnerungen wach ruft, Daß das Gute in der Welt, in der Menschennatur überwiege, läßt Euri- Mit andern stritt ich manchesmal und eiferte, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215226"/> <fw type="header" place="top"> Die ätherische volksmoral im Drama</fw><lb/> <p xml:id="ID_451" prev="#ID_450"> die Harmonie einer sittlichen Weltordnung aufgelöst haben mag, kann man<lb/> aus Andeutungen des ersten Teiles erraten; Droysen hat diese Andeutungen<lb/> ausgesponnen und den mutmaßlichen Plan des Verlornen Dramas sehr über¬<lb/> zeugend entwickelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_452"> Diesen Geist der Menschenfreundlichkeit atmen nun alle uns bekannten<lb/> Stücke der drei großen Tragiker. Wo schreckliches und grausames verübt wird,<lb/> da geschieht es entweder im Wahnsinn, wie die oben erwähnte Unthat der<lb/> Mänaden und der Kindermord des rasenden Herakles, oder ans Gehorsam<lb/> gegen eine barbarische Volkssitte, einen noch nicht überwundnen Rest der Herr¬<lb/> schaft der alten Götter, wie das Opfer der Polyxena in der Hekabe des Euri-<lb/> pides und des Astyanax in desselben Dichters Troerinncn. Aber der vom<lb/> Wahnsinn zu sich gekommne ist, wenn er seine Unthat erfährt, untröstlich;<lb/> Herakles ist überzeugt, daß kein Land, keine Stadt ein Ungeheuer, für das er<lb/> sich nun hält, wird aufnehmen wollen, und nur dem beharrlichen und eindringlichen<lb/> Zureden des Theseus gelingt es endlich, ihn zu bewegen, daß er den Selbst¬<lb/> mordgedanken entsagt und auch noch dieses allerschwerste aller ihm vom Schicksal<lb/> auferlegten Leiden zu tragen beschließt. Wo aber Böses geschieht aus Frevel¬<lb/> mut, da trifft den Frevler ungemilderte Verurteilung; als freches Scheusal<lb/> wird Klytaimnestra in des Aischylos Agamemnon vom Chor gezeichnet. Und<lb/> doch ist Agamemnon nicht ohne Schuld gefallen. Schon ans der Hinfahrt<lb/> nach Ilion war er gewarnt worden durch ein Zeichen: zwei Adler weideten<lb/> vom GeWeide der tragenden Häsin. In den Hasenverschlingcrn erkannte Kalchas<lb/> die den Göttern mißfällige harte Art der Führer des Zuges:</p><lb/> <quote> Daß nur irgend ein Grollen der Götter nicht<lb/> Treffe die Jlionsgeißel, die prunkende,<lb/> Mit bösem Blick! Wahrlich, die lautere Artemis zurück den gier'gen<lb/> Flügelhunden des Baders,<lb/> Weil mit der Frucht sie die arme, bevor sie geboren, zerfleischten;<lb/> Sie haßt der Adler arges Mahl.</quote><lb/> <p xml:id="ID_453"> Und jede der Strophen, in denen der Chor diese Erinnerungen wach ruft,<lb/> schließt mit dem Ausruf: Das Gute siege!</p><lb/> <p xml:id="ID_454"> Daß das Gute in der Welt, in der Menschennatur überwiege, läßt Euri-<lb/> pides den Theseus aussprechen, in dessen Person er die ätherische Art zweimal<lb/> verkörpert hat, in den Schutzflehenden und im rasenden Herakles. In den<lb/> Schutzflehenden läßt er ihn sagen:</p><lb/> <quote> Mit andern stritt ich manchesmal und eiferte,<lb/> Wenn eiuer sagen mochte, daß der Bösen Zahl<lb/> Auf Erden größer als die Zahl der Guten sei.<lb/> Ich hielt an anderm Glauben fest; ich meinte stets,<lb/> Mehr walte Gutes auf der Welt als Schädliches,<lb/> Denn wäre dies nicht, lebten wir nicht mehr im Licht.<lb/> Dem Gotte dank ich, welcher uns aus tierischem</quote><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0136]
Die ätherische volksmoral im Drama
die Harmonie einer sittlichen Weltordnung aufgelöst haben mag, kann man
aus Andeutungen des ersten Teiles erraten; Droysen hat diese Andeutungen
ausgesponnen und den mutmaßlichen Plan des Verlornen Dramas sehr über¬
zeugend entwickelt.
Diesen Geist der Menschenfreundlichkeit atmen nun alle uns bekannten
Stücke der drei großen Tragiker. Wo schreckliches und grausames verübt wird,
da geschieht es entweder im Wahnsinn, wie die oben erwähnte Unthat der
Mänaden und der Kindermord des rasenden Herakles, oder ans Gehorsam
gegen eine barbarische Volkssitte, einen noch nicht überwundnen Rest der Herr¬
schaft der alten Götter, wie das Opfer der Polyxena in der Hekabe des Euri-
pides und des Astyanax in desselben Dichters Troerinncn. Aber der vom
Wahnsinn zu sich gekommne ist, wenn er seine Unthat erfährt, untröstlich;
Herakles ist überzeugt, daß kein Land, keine Stadt ein Ungeheuer, für das er
sich nun hält, wird aufnehmen wollen, und nur dem beharrlichen und eindringlichen
Zureden des Theseus gelingt es endlich, ihn zu bewegen, daß er den Selbst¬
mordgedanken entsagt und auch noch dieses allerschwerste aller ihm vom Schicksal
auferlegten Leiden zu tragen beschließt. Wo aber Böses geschieht aus Frevel¬
mut, da trifft den Frevler ungemilderte Verurteilung; als freches Scheusal
wird Klytaimnestra in des Aischylos Agamemnon vom Chor gezeichnet. Und
doch ist Agamemnon nicht ohne Schuld gefallen. Schon ans der Hinfahrt
nach Ilion war er gewarnt worden durch ein Zeichen: zwei Adler weideten
vom GeWeide der tragenden Häsin. In den Hasenverschlingcrn erkannte Kalchas
die den Göttern mißfällige harte Art der Führer des Zuges:
Daß nur irgend ein Grollen der Götter nicht
Treffe die Jlionsgeißel, die prunkende,
Mit bösem Blick! Wahrlich, die lautere Artemis zurück den gier'gen
Flügelhunden des Baders,
Weil mit der Frucht sie die arme, bevor sie geboren, zerfleischten;
Sie haßt der Adler arges Mahl.
Und jede der Strophen, in denen der Chor diese Erinnerungen wach ruft,
schließt mit dem Ausruf: Das Gute siege!
Daß das Gute in der Welt, in der Menschennatur überwiege, läßt Euri-
pides den Theseus aussprechen, in dessen Person er die ätherische Art zweimal
verkörpert hat, in den Schutzflehenden und im rasenden Herakles. In den
Schutzflehenden läßt er ihn sagen:
Mit andern stritt ich manchesmal und eiferte,
Wenn eiuer sagen mochte, daß der Bösen Zahl
Auf Erden größer als die Zahl der Guten sei.
Ich hielt an anderm Glauben fest; ich meinte stets,
Mehr walte Gutes auf der Welt als Schädliches,
Denn wäre dies nicht, lebten wir nicht mehr im Licht.
Dem Gotte dank ich, welcher uns aus tierischem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |