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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Auch ein Lehrplan

halten wir uns mit so feinen Unterscheidungen nicht auf -- und finde da die
Antwort in folgender Form: "Was die Schule nicht leisten kann, sollte man
füglich nicht von ihr verlangen, weil man auf diese Weise ihr auch die Er¬
reichung dessen gefährdet, wozu sie imstande ist, nümlich dem Willen und dem
Wissen ihrer Zöglinge diejenige Bildung zu gewähren, durch welche sie be
fähige werden, demnächst als brauchbare Mitarbeiter an die schweren Aufgaben
der Zeit heranzutreten." Wenn ich nun wüßte, worin die Aufgaben der schweren
Zeit, nein, die schweren Ausgaben der Zeit -- doch das ist ja eins! -- be¬
stehen, und wie Wille und Wissen beschaffen sein müssen, um diese Aufgaben
zu lösen, so wäre ich vollkommen unterrichtet. Doch das sagt meine Wohl¬
thäterin nicht, wie es denn ihr einziger Fehler ist, das beste von dem, was
sie weiß, zu verschweige". Ich muß also wohl oder übel an das unbequeme
Geschüft eignen Nachdenkens. Wissen und Wille sollen gebildet werdeu. Gut;
oder sagen wir lieber: Verstand und Charakter. Von der Ausbildung des
Körpers sehen wir ganz ab. Wie bildet man nun den Verstand? Nach der
Form, indem man ihn zu richtigem Denken erzieht; nach dem Inhalt, indem
man ihm von allen nützlichen Kenntnissen eine solche Auswahl übermittelt,
daß er die Fühlung mit der gesamten Geistesarbeit seiner Zeit auch dann nicht
verliert, wenn er später für einen bestimmten Beruf ausgebildet wird. Treffen
wir die Auswahl so, daß wir die Kenntnisse einteilen in internationale, an
denen alle Kulturvölker mehr oder minder mitgearbeitet haben, und in natio¬
nale, die aus der Gesamtheit eines Volkes hervorgegangen sind. Von den
internationalen wühlen wir für unsre Zwecke die Geschichte der bildenden Künste
und der Tonkunst und die Naturwissenschaften; von den nationalen genügen
uns die Sprachen der Völker, mit denen wir unmittelbaren Verkehr pflegen
müssen, sei es auf geistigem, sei es auf praktischem Gebiet.

So erhalten wir das Schema:



Es fehlt noch die Krone des Ganzen: die Philosophie als Wissenschaft von
dem, was die andern Wissenschaften voraussetzen. Da wir eine solche Wissen¬
schaft noch nicht haben, müssen wir auf die Bekrönung verzichten.")



") Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß Professor Friedr. Paniscus
Einleitung in die Philosophie jetzt in Buchform vorliegt. Ob wir aus Grund dieser
Auch ein Lehrplan

halten wir uns mit so feinen Unterscheidungen nicht auf — und finde da die
Antwort in folgender Form: „Was die Schule nicht leisten kann, sollte man
füglich nicht von ihr verlangen, weil man auf diese Weise ihr auch die Er¬
reichung dessen gefährdet, wozu sie imstande ist, nümlich dem Willen und dem
Wissen ihrer Zöglinge diejenige Bildung zu gewähren, durch welche sie be
fähige werden, demnächst als brauchbare Mitarbeiter an die schweren Aufgaben
der Zeit heranzutreten." Wenn ich nun wüßte, worin die Aufgaben der schweren
Zeit, nein, die schweren Ausgaben der Zeit — doch das ist ja eins! — be¬
stehen, und wie Wille und Wissen beschaffen sein müssen, um diese Aufgaben
zu lösen, so wäre ich vollkommen unterrichtet. Doch das sagt meine Wohl¬
thäterin nicht, wie es denn ihr einziger Fehler ist, das beste von dem, was
sie weiß, zu verschweige«. Ich muß also wohl oder übel an das unbequeme
Geschüft eignen Nachdenkens. Wissen und Wille sollen gebildet werdeu. Gut;
oder sagen wir lieber: Verstand und Charakter. Von der Ausbildung des
Körpers sehen wir ganz ab. Wie bildet man nun den Verstand? Nach der
Form, indem man ihn zu richtigem Denken erzieht; nach dem Inhalt, indem
man ihm von allen nützlichen Kenntnissen eine solche Auswahl übermittelt,
daß er die Fühlung mit der gesamten Geistesarbeit seiner Zeit auch dann nicht
verliert, wenn er später für einen bestimmten Beruf ausgebildet wird. Treffen
wir die Auswahl so, daß wir die Kenntnisse einteilen in internationale, an
denen alle Kulturvölker mehr oder minder mitgearbeitet haben, und in natio¬
nale, die aus der Gesamtheit eines Volkes hervorgegangen sind. Von den
internationalen wühlen wir für unsre Zwecke die Geschichte der bildenden Künste
und der Tonkunst und die Naturwissenschaften; von den nationalen genügen
uns die Sprachen der Völker, mit denen wir unmittelbaren Verkehr pflegen
müssen, sei es auf geistigem, sei es auf praktischem Gebiet.

So erhalten wir das Schema:



Es fehlt noch die Krone des Ganzen: die Philosophie als Wissenschaft von
dem, was die andern Wissenschaften voraussetzen. Da wir eine solche Wissen¬
schaft noch nicht haben, müssen wir auf die Bekrönung verzichten.")



") Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß Professor Friedr. Paniscus
Einleitung in die Philosophie jetzt in Buchform vorliegt. Ob wir aus Grund dieser
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[0117] Auch ein Lehrplan halten wir uns mit so feinen Unterscheidungen nicht auf — und finde da die Antwort in folgender Form: „Was die Schule nicht leisten kann, sollte man füglich nicht von ihr verlangen, weil man auf diese Weise ihr auch die Er¬ reichung dessen gefährdet, wozu sie imstande ist, nümlich dem Willen und dem Wissen ihrer Zöglinge diejenige Bildung zu gewähren, durch welche sie be fähige werden, demnächst als brauchbare Mitarbeiter an die schweren Aufgaben der Zeit heranzutreten." Wenn ich nun wüßte, worin die Aufgaben der schweren Zeit, nein, die schweren Ausgaben der Zeit — doch das ist ja eins! — be¬ stehen, und wie Wille und Wissen beschaffen sein müssen, um diese Aufgaben zu lösen, so wäre ich vollkommen unterrichtet. Doch das sagt meine Wohl¬ thäterin nicht, wie es denn ihr einziger Fehler ist, das beste von dem, was sie weiß, zu verschweige«. Ich muß also wohl oder übel an das unbequeme Geschüft eignen Nachdenkens. Wissen und Wille sollen gebildet werdeu. Gut; oder sagen wir lieber: Verstand und Charakter. Von der Ausbildung des Körpers sehen wir ganz ab. Wie bildet man nun den Verstand? Nach der Form, indem man ihn zu richtigem Denken erzieht; nach dem Inhalt, indem man ihm von allen nützlichen Kenntnissen eine solche Auswahl übermittelt, daß er die Fühlung mit der gesamten Geistesarbeit seiner Zeit auch dann nicht verliert, wenn er später für einen bestimmten Beruf ausgebildet wird. Treffen wir die Auswahl so, daß wir die Kenntnisse einteilen in internationale, an denen alle Kulturvölker mehr oder minder mitgearbeitet haben, und in natio¬ nale, die aus der Gesamtheit eines Volkes hervorgegangen sind. Von den internationalen wühlen wir für unsre Zwecke die Geschichte der bildenden Künste und der Tonkunst und die Naturwissenschaften; von den nationalen genügen uns die Sprachen der Völker, mit denen wir unmittelbaren Verkehr pflegen müssen, sei es auf geistigem, sei es auf praktischem Gebiet. So erhalten wir das Schema: [Abbildung] Es fehlt noch die Krone des Ganzen: die Philosophie als Wissenschaft von dem, was die andern Wissenschaften voraussetzen. Da wir eine solche Wissen¬ schaft noch nicht haben, müssen wir auf die Bekrönung verzichten.") ") Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß Professor Friedr. Paniscus Einleitung in die Philosophie jetzt in Buchform vorliegt. Ob wir aus Grund dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/117>, abgerufen am 27.11.2024.