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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Ein neues Prozeßgesetz für Österreich

Alle Zustellungen besorgt das Gericht von Amts wegen (ein ungeheurer
Vorzug, wenn nur auf die argen Mißstände hinblickt, die bei uns aus der
"Zustellung durch die Parteien" hervorgegangen sind). Nur Advokaten können
unter einander auch Zustellungen von Hand zu Hand gegen Bescheinigung
vornehmen.

Reicht die schriftliche Klagbeantwortung nicht aus, um die Sache zur
mündlichen Verhandlung zu bringen, so kann in gewissen Fällen, wo ein be¬
sonders schwieriger Streitstoff vorliegt, der Vorsitzende nach Einholung einer
Gerichtsentscheidung ein "vorbereitendes Verfahren" anordnen. Dieses Ver¬
fahren spielt sich vor einem beauftragten Richter ab, der dann den Streitstoff
im einzelnen näher erörtert und feststellt. Die Parteien müssen dabei von
Anwälten vertreten sein. Ein solches Verfahren soll namentlich auch zur vor¬
bereitenden Erhebung vou Beweisen, die nicht Wohl bei der mündlichen Ver¬
handlung vor dem erkennenden Gericht erhoben werden können, stattfinden.

Liegt kein Grund vor, ein vorbereitendes Verfahren anzuordnen, oder ist
dieses beendet, so wird Termin zur mündlichen Hauptverhandlung anberaumt.
In der bis zu dieser laufenden Zwischenzeit können die Parteien noch weitere
Schriftsätze zur Geltendmachung ihrer Angriffs- und Verteidigungsmittel (Re¬
plik und Duplik) erstatten.

Das Gericht geht nicht (wie bei uns) blindlings in die mündliche Ver¬
handlung hinein, sondern es bereitet sie sorgfältig vor. Die Akten sind nicht
(wie bei uns) ein Ding, dessen Benutzung der Willkür des Richters überlassen
ist, sondern sie haben dem Richter zur Grundlage seiner vorbereitenden Thätig¬
keit zu dienen. Ziel der Vorbereitung ist, den ganzen Streitstoff womöglich
schon in der ersten Hauptverhandlung dem Gericht vor Augen zu führen und
es dadurch möglich zu machen, daß die Sache in einem einzigen Termin er¬
ledigt wird. Zu diesem Zwecke sind namentlich auch Beweismittel, deren Er¬
hebung voraussichtlich nötig wird, schon für diesen Termin zur Stelle zu
schaffen. Die mündliche Verhandlung umsaßt dann zugleich die Beweisauf¬
nahme und die Erörterung ihrer Ergebnisse. (Die mündliche Verhandlung ge¬
winnt dadurch eine große Ähnlichkeit mit der Hauptverhandlung in Straf¬
sachen, die ja auch das verständige Ziel verfolgt, den gesamten Streitstoff
vorzuführen und die Sache in einer einzigen Verhandlung zu erledigen.)

Hat ein vorbereitendes Verfahren stattgefunden, so werden dessen Ergeb¬
nisse von einem Mitgliede des Gerichts bei der Verhandlung nach den Akten
vorgetragen. Dasselbe gilt, wenn später eine Beweisaufnahme nicht vor dem
erkennenden Gerichte stattgefunden hat.

Das von den Parteien mündlich Verhandelte zerfließt nicht (wie bei uns)
in der Luft, sondern es wird seinein wesentlichen Inhalte nach durch das Pro¬
tokoll festgehalten. Dieses Protokoll diktirt der Vorsitzende gleich nach der
Verhandlung in Gegenwart der Parteien dem Schriftführer. Es kann dabei


Grenzboten III 1893 14
Ein neues Prozeßgesetz für Österreich

Alle Zustellungen besorgt das Gericht von Amts wegen (ein ungeheurer
Vorzug, wenn nur auf die argen Mißstände hinblickt, die bei uns aus der
„Zustellung durch die Parteien" hervorgegangen sind). Nur Advokaten können
unter einander auch Zustellungen von Hand zu Hand gegen Bescheinigung
vornehmen.

Reicht die schriftliche Klagbeantwortung nicht aus, um die Sache zur
mündlichen Verhandlung zu bringen, so kann in gewissen Fällen, wo ein be¬
sonders schwieriger Streitstoff vorliegt, der Vorsitzende nach Einholung einer
Gerichtsentscheidung ein „vorbereitendes Verfahren" anordnen. Dieses Ver¬
fahren spielt sich vor einem beauftragten Richter ab, der dann den Streitstoff
im einzelnen näher erörtert und feststellt. Die Parteien müssen dabei von
Anwälten vertreten sein. Ein solches Verfahren soll namentlich auch zur vor¬
bereitenden Erhebung vou Beweisen, die nicht Wohl bei der mündlichen Ver¬
handlung vor dem erkennenden Gericht erhoben werden können, stattfinden.

Liegt kein Grund vor, ein vorbereitendes Verfahren anzuordnen, oder ist
dieses beendet, so wird Termin zur mündlichen Hauptverhandlung anberaumt.
In der bis zu dieser laufenden Zwischenzeit können die Parteien noch weitere
Schriftsätze zur Geltendmachung ihrer Angriffs- und Verteidigungsmittel (Re¬
plik und Duplik) erstatten.

Das Gericht geht nicht (wie bei uns) blindlings in die mündliche Ver¬
handlung hinein, sondern es bereitet sie sorgfältig vor. Die Akten sind nicht
(wie bei uns) ein Ding, dessen Benutzung der Willkür des Richters überlassen
ist, sondern sie haben dem Richter zur Grundlage seiner vorbereitenden Thätig¬
keit zu dienen. Ziel der Vorbereitung ist, den ganzen Streitstoff womöglich
schon in der ersten Hauptverhandlung dem Gericht vor Augen zu führen und
es dadurch möglich zu machen, daß die Sache in einem einzigen Termin er¬
ledigt wird. Zu diesem Zwecke sind namentlich auch Beweismittel, deren Er¬
hebung voraussichtlich nötig wird, schon für diesen Termin zur Stelle zu
schaffen. Die mündliche Verhandlung umsaßt dann zugleich die Beweisauf¬
nahme und die Erörterung ihrer Ergebnisse. (Die mündliche Verhandlung ge¬
winnt dadurch eine große Ähnlichkeit mit der Hauptverhandlung in Straf¬
sachen, die ja auch das verständige Ziel verfolgt, den gesamten Streitstoff
vorzuführen und die Sache in einer einzigen Verhandlung zu erledigen.)

Hat ein vorbereitendes Verfahren stattgefunden, so werden dessen Ergeb¬
nisse von einem Mitgliede des Gerichts bei der Verhandlung nach den Akten
vorgetragen. Dasselbe gilt, wenn später eine Beweisaufnahme nicht vor dem
erkennenden Gerichte stattgefunden hat.

Das von den Parteien mündlich Verhandelte zerfließt nicht (wie bei uns)
in der Luft, sondern es wird seinein wesentlichen Inhalte nach durch das Pro¬
tokoll festgehalten. Dieses Protokoll diktirt der Vorsitzende gleich nach der
Verhandlung in Gegenwart der Parteien dem Schriftführer. Es kann dabei


Grenzboten III 1893 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/112>, abgerufen am 28.07.2024.