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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Kunst zu fliegen

er Kaiser und die Kaiserin nebst den Prinzen und dem beider¬
seitigen Gefolge wohnten ans dem freien Platze hinter der physi¬
kalisch-technischen Reichsanstalt dem Aufstieg des zu wissenschaft¬
lichen Zwecken bestimmten, von dem deutschen Verein zur Förderung
der Luftschiffahrt ausgelassenen Ballons "Humboldt" bei.....
Der gestern in Gegenwart deS Kaiserpaares anfgestiegnc Luftballon "Hum¬
boldt" hatte eine schwere Landung. Die Fran des mitanfgestiegnen Professors
Aßmann erhielt ein in Varzin nufgegebnes Telegramm, das lautet: Lan¬
dung bei Wussvw bei Naugard, leider Vellt verletzt. Komme daher morgen
noch nicht.

Genau wie anno dazumal! Auf allen Gebieten haben die Herren Tech¬
niker in unsern Zeiten die großartigsten "Erfolge erzielt," das Wort "In¬
genieur," in der Mitte des Jahrhunderts noch nicht höher geachtet als etwa
das so ungerecht behandelte Wort "Schulmeister," prangt heute stolz auf
Besuchskarten und Hausthüren! Aber doch nur ans allen Gebieten der terr-i
tira" und des Wassers, nicht im Reiche der Lüfte. Da steht der menschliche
Geist noch am Anfang seines "Könnens"! Noch immer wird der riesige Luft¬
ballon erbaut, der -- ein Spiel der Winde -- dem Menschen keine Herrschaft
im Reiche der Lüfte verleiht und nie verleihen kann. Auf dem Wege des
Ballons mit seinen ungeheuern Angriffsflächen für jede noch so schwache Luft¬
strömung ist kein Sieg in jenen "höchsten Regionen" zu erwarten; König im
Reich der Lüfte ist der Weih, und so lange sich der Mensch ängstlich oder
blind gegen die Lehren der Natur verschließt, so lange er immer noch das
Ungetüm des plumpen Kngelwesens sür diese Zwecke erschafft, so lange kann
und wird er nie das ersehnte Ziel erreichen. Das heiß ersehnte Ziel, es dem
Vogel gleich thun zu können, zu Geistesslügeln auch den körperlichen Flügel
zu erlangen.

Dädalos entfloh der Haft auf künstlichen Fittichen, erzählt die Mythe.
Ja, muß es denn für alle Zeiten nur eine Mythe sein? Ist keine Möglichkeit
denkbar, daß der Mensch es dahin bringt, die Mythe zur Wirklichkeit zu
"lachen?

Wüßten wir nur erst ganz genau, wie es die Vögel eigentlich machen,




Die Kunst zu fliegen

er Kaiser und die Kaiserin nebst den Prinzen und dem beider¬
seitigen Gefolge wohnten ans dem freien Platze hinter der physi¬
kalisch-technischen Reichsanstalt dem Aufstieg des zu wissenschaft¬
lichen Zwecken bestimmten, von dem deutschen Verein zur Förderung
der Luftschiffahrt ausgelassenen Ballons „Humboldt" bei.....
Der gestern in Gegenwart deS Kaiserpaares anfgestiegnc Luftballon „Hum¬
boldt" hatte eine schwere Landung. Die Fran des mitanfgestiegnen Professors
Aßmann erhielt ein in Varzin nufgegebnes Telegramm, das lautet: Lan¬
dung bei Wussvw bei Naugard, leider Vellt verletzt. Komme daher morgen
noch nicht.

Genau wie anno dazumal! Auf allen Gebieten haben die Herren Tech¬
niker in unsern Zeiten die großartigsten „Erfolge erzielt," das Wort „In¬
genieur," in der Mitte des Jahrhunderts noch nicht höher geachtet als etwa
das so ungerecht behandelte Wort „Schulmeister," prangt heute stolz auf
Besuchskarten und Hausthüren! Aber doch nur ans allen Gebieten der terr-i
tira» und des Wassers, nicht im Reiche der Lüfte. Da steht der menschliche
Geist noch am Anfang seines „Könnens"! Noch immer wird der riesige Luft¬
ballon erbaut, der — ein Spiel der Winde — dem Menschen keine Herrschaft
im Reiche der Lüfte verleiht und nie verleihen kann. Auf dem Wege des
Ballons mit seinen ungeheuern Angriffsflächen für jede noch so schwache Luft¬
strömung ist kein Sieg in jenen „höchsten Regionen" zu erwarten; König im
Reich der Lüfte ist der Weih, und so lange sich der Mensch ängstlich oder
blind gegen die Lehren der Natur verschließt, so lange er immer noch das
Ungetüm des plumpen Kngelwesens sür diese Zwecke erschafft, so lange kann
und wird er nie das ersehnte Ziel erreichen. Das heiß ersehnte Ziel, es dem
Vogel gleich thun zu können, zu Geistesslügeln auch den körperlichen Flügel
zu erlangen.

Dädalos entfloh der Haft auf künstlichen Fittichen, erzählt die Mythe.
Ja, muß es denn für alle Zeiten nur eine Mythe sein? Ist keine Möglichkeit
denkbar, daß der Mensch es dahin bringt, die Mythe zur Wirklichkeit zu
"lachen?

Wüßten wir nur erst ganz genau, wie es die Vögel eigentlich machen,


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[0073] [Abbildung] Die Kunst zu fliegen er Kaiser und die Kaiserin nebst den Prinzen und dem beider¬ seitigen Gefolge wohnten ans dem freien Platze hinter der physi¬ kalisch-technischen Reichsanstalt dem Aufstieg des zu wissenschaft¬ lichen Zwecken bestimmten, von dem deutschen Verein zur Förderung der Luftschiffahrt ausgelassenen Ballons „Humboldt" bei..... Der gestern in Gegenwart deS Kaiserpaares anfgestiegnc Luftballon „Hum¬ boldt" hatte eine schwere Landung. Die Fran des mitanfgestiegnen Professors Aßmann erhielt ein in Varzin nufgegebnes Telegramm, das lautet: Lan¬ dung bei Wussvw bei Naugard, leider Vellt verletzt. Komme daher morgen noch nicht. Genau wie anno dazumal! Auf allen Gebieten haben die Herren Tech¬ niker in unsern Zeiten die großartigsten „Erfolge erzielt," das Wort „In¬ genieur," in der Mitte des Jahrhunderts noch nicht höher geachtet als etwa das so ungerecht behandelte Wort „Schulmeister," prangt heute stolz auf Besuchskarten und Hausthüren! Aber doch nur ans allen Gebieten der terr-i tira» und des Wassers, nicht im Reiche der Lüfte. Da steht der menschliche Geist noch am Anfang seines „Könnens"! Noch immer wird der riesige Luft¬ ballon erbaut, der — ein Spiel der Winde — dem Menschen keine Herrschaft im Reiche der Lüfte verleiht und nie verleihen kann. Auf dem Wege des Ballons mit seinen ungeheuern Angriffsflächen für jede noch so schwache Luft¬ strömung ist kein Sieg in jenen „höchsten Regionen" zu erwarten; König im Reich der Lüfte ist der Weih, und so lange sich der Mensch ängstlich oder blind gegen die Lehren der Natur verschließt, so lange er immer noch das Ungetüm des plumpen Kngelwesens sür diese Zwecke erschafft, so lange kann und wird er nie das ersehnte Ziel erreichen. Das heiß ersehnte Ziel, es dem Vogel gleich thun zu können, zu Geistesslügeln auch den körperlichen Flügel zu erlangen. Dädalos entfloh der Haft auf künstlichen Fittichen, erzählt die Mythe. Ja, muß es denn für alle Zeiten nur eine Mythe sein? Ist keine Möglichkeit denkbar, daß der Mensch es dahin bringt, die Mythe zur Wirklichkeit zu "lachen? Wüßten wir nur erst ganz genau, wie es die Vögel eigentlich machen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/73>, abgerufen am 03.07.2024.