Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

üben sollte, scheint während der vorstehend erörterten Tage in Reinhardsbrunn wie
in Gotha die Kunde noch gefehlt zu haben. Am Morgen des 7. September (des
letzten Tages von Bernhardts Reinhardsbrunner Aufenthalte) hatte Garibaldi als
Triumphator über die Armee König Franz II. seinen Einzug in die Thore Neapels
gehalten und damit den sür die Zukunft Italiens entscheidenden Schritt gethan.
Unmittelbar nach Eingang der Kunde von diesem überall mit gleicher Über¬
raschung aufgenommenen Vorgange ließ Graf Cavour die berühmte Depesche ab¬
gehen, in der er dem Kardinalstaatssekretär Antonelli gegenüber "dem großen
Schmerz der Regierung Sr. Majestät des Königs von Sardinien über die im
Dienste der päpstlichen Regierung stehenden fremden Söldnerscharen" Ausdruck
gab, ihn als Verletzung des öffentlichen Gewissens Italiens und Europas be¬
zeichnete und die sofortige Auflösung und Entwaffnung jener Korps verlangte.
Vier Tage später (11. September) erschienen sardinische Truppen auf dem Ge¬
biete des Kirchenstaats, und ein Woche darauf (18. September) wurde die von
Lamoricisre geführte päpstliche Armee bei Castelfidardo geschlagen!

Ein Jahrzehnt später war die dadurch ins Rollen gebrachte große Bewegung
zum Abschluß gekommen und in ungeahnter Weise das Ziel erreicht, das die im
September 1860 zu Koburg und Reinhardsbrunn versammelt gewesenen Patrioten
als bloße entfernte Möglichkeit angesehen hatten.




^treifzüge auf dem Gebiete der Metapher
2. Metaphern aus der Geschichte und der Aultur des Altertums

ir haben in einem frühern Aussatze gezeigt,*) welche wichtige
Rolle in der modernen Metapher und Bildersprache die antike
Mythologie und Sage spielt. Bei weitem geringer ist die Be¬
deutung, die die politische Geschichte der alten Völker, ihre Kultur
und Litteratur auf diesem Gebiete beanspruchen darf. Bei den
nichtklassischen Völkern des Altertums ist von einer solchen beinahe gar keine
Rede. Was hat z. B. Ägypten unsrer Metapher geliefert? Die Sphinx
kann man dafür uicht anführen, denn sie ist zweifellos durch die griechische
Sage zu uns gekommen; wer in bildlichen Sinne von einer Sphinx spricht,
denkt dabei an die thebische, nicht an die ägyptischen Sphinxbilder. Die ägyp¬
tische Götterwelt ist der modernen Anschauung stets fremd geblieben; die
politische Geschichte Ägyptens, seine merkwürdige Kultur hat eben so wenig
irgendwelchen Einfluß auf unsern Bilderschatz ausgeübt (das "verschleierte Bild
von Sais" kann, als von Schiller herrührend, hier uicht namhaft gemacht
werden), und ich wüßte nichts anzuführen, als einzig die Hieroglyphen,



*) Vergl. die Grenzboten von 1892 II, S. 203.

üben sollte, scheint während der vorstehend erörterten Tage in Reinhardsbrunn wie
in Gotha die Kunde noch gefehlt zu haben. Am Morgen des 7. September (des
letzten Tages von Bernhardts Reinhardsbrunner Aufenthalte) hatte Garibaldi als
Triumphator über die Armee König Franz II. seinen Einzug in die Thore Neapels
gehalten und damit den sür die Zukunft Italiens entscheidenden Schritt gethan.
Unmittelbar nach Eingang der Kunde von diesem überall mit gleicher Über¬
raschung aufgenommenen Vorgange ließ Graf Cavour die berühmte Depesche ab¬
gehen, in der er dem Kardinalstaatssekretär Antonelli gegenüber „dem großen
Schmerz der Regierung Sr. Majestät des Königs von Sardinien über die im
Dienste der päpstlichen Regierung stehenden fremden Söldnerscharen" Ausdruck
gab, ihn als Verletzung des öffentlichen Gewissens Italiens und Europas be¬
zeichnete und die sofortige Auflösung und Entwaffnung jener Korps verlangte.
Vier Tage später (11. September) erschienen sardinische Truppen auf dem Ge¬
biete des Kirchenstaats, und ein Woche darauf (18. September) wurde die von
Lamoricisre geführte päpstliche Armee bei Castelfidardo geschlagen!

Ein Jahrzehnt später war die dadurch ins Rollen gebrachte große Bewegung
zum Abschluß gekommen und in ungeahnter Weise das Ziel erreicht, das die im
September 1860 zu Koburg und Reinhardsbrunn versammelt gewesenen Patrioten
als bloße entfernte Möglichkeit angesehen hatten.




^treifzüge auf dem Gebiete der Metapher
2. Metaphern aus der Geschichte und der Aultur des Altertums

ir haben in einem frühern Aussatze gezeigt,*) welche wichtige
Rolle in der modernen Metapher und Bildersprache die antike
Mythologie und Sage spielt. Bei weitem geringer ist die Be¬
deutung, die die politische Geschichte der alten Völker, ihre Kultur
und Litteratur auf diesem Gebiete beanspruchen darf. Bei den
nichtklassischen Völkern des Altertums ist von einer solchen beinahe gar keine
Rede. Was hat z. B. Ägypten unsrer Metapher geliefert? Die Sphinx
kann man dafür uicht anführen, denn sie ist zweifellos durch die griechische
Sage zu uns gekommen; wer in bildlichen Sinne von einer Sphinx spricht,
denkt dabei an die thebische, nicht an die ägyptischen Sphinxbilder. Die ägyp¬
tische Götterwelt ist der modernen Anschauung stets fremd geblieben; die
politische Geschichte Ägyptens, seine merkwürdige Kultur hat eben so wenig
irgendwelchen Einfluß auf unsern Bilderschatz ausgeübt (das „verschleierte Bild
von Sais" kann, als von Schiller herrührend, hier uicht namhaft gemacht
werden), und ich wüßte nichts anzuführen, als einzig die Hieroglyphen,



*) Vergl. die Grenzboten von 1892 II, S. 203.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215022"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_2208" prev="#ID_2207"> üben sollte, scheint während der vorstehend erörterten Tage in Reinhardsbrunn wie<lb/>
in Gotha die Kunde noch gefehlt zu haben. Am Morgen des 7. September (des<lb/>
letzten Tages von Bernhardts Reinhardsbrunner Aufenthalte) hatte Garibaldi als<lb/>
Triumphator über die Armee König Franz II. seinen Einzug in die Thore Neapels<lb/>
gehalten und damit den sür die Zukunft Italiens entscheidenden Schritt gethan.<lb/>
Unmittelbar nach Eingang der Kunde von diesem überall mit gleicher Über¬<lb/>
raschung aufgenommenen Vorgange ließ Graf Cavour die berühmte Depesche ab¬<lb/>
gehen, in der er dem Kardinalstaatssekretär Antonelli gegenüber &#x201E;dem großen<lb/>
Schmerz der Regierung Sr. Majestät des Königs von Sardinien über die im<lb/>
Dienste der päpstlichen Regierung stehenden fremden Söldnerscharen" Ausdruck<lb/>
gab, ihn als Verletzung des öffentlichen Gewissens Italiens und Europas be¬<lb/>
zeichnete und die sofortige Auflösung und Entwaffnung jener Korps verlangte.<lb/>
Vier Tage später (11. September) erschienen sardinische Truppen auf dem Ge¬<lb/>
biete des Kirchenstaats, und ein Woche darauf (18. September) wurde die von<lb/>
Lamoricisre geführte päpstliche Armee bei Castelfidardo geschlagen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2209"> Ein Jahrzehnt später war die dadurch ins Rollen gebrachte große Bewegung<lb/>
zum Abschluß gekommen und in ungeahnter Weise das Ziel erreicht, das die im<lb/>
September 1860 zu Koburg und Reinhardsbrunn versammelt gewesenen Patrioten<lb/>
als bloße entfernte Möglichkeit angesehen hatten.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ^treifzüge auf dem Gebiete der Metapher<lb/>
2. Metaphern aus der Geschichte und der Aultur des Altertums </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2210" next="#ID_2211"> ir haben in einem frühern Aussatze gezeigt,*) welche wichtige<lb/>
Rolle in der modernen Metapher und Bildersprache die antike<lb/>
Mythologie und Sage spielt. Bei weitem geringer ist die Be¬<lb/>
deutung, die die politische Geschichte der alten Völker, ihre Kultur<lb/>
und Litteratur auf diesem Gebiete beanspruchen darf. Bei den<lb/>
nichtklassischen Völkern des Altertums ist von einer solchen beinahe gar keine<lb/>
Rede. Was hat z. B. Ägypten unsrer Metapher geliefert? Die Sphinx<lb/>
kann man dafür uicht anführen, denn sie ist zweifellos durch die griechische<lb/>
Sage zu uns gekommen; wer in bildlichen Sinne von einer Sphinx spricht,<lb/>
denkt dabei an die thebische, nicht an die ägyptischen Sphinxbilder. Die ägyp¬<lb/>
tische Götterwelt ist der modernen Anschauung stets fremd geblieben; die<lb/>
politische Geschichte Ägyptens, seine merkwürdige Kultur hat eben so wenig<lb/>
irgendwelchen Einfluß auf unsern Bilderschatz ausgeübt (das &#x201E;verschleierte Bild<lb/>
von Sais" kann, als von Schiller herrührend, hier uicht namhaft gemacht<lb/>
werden), und ich wüßte nichts anzuführen, als einzig die Hieroglyphen,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_90" place="foot"> *) Vergl. die Grenzboten von 1892 II, S. 203.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0567] üben sollte, scheint während der vorstehend erörterten Tage in Reinhardsbrunn wie in Gotha die Kunde noch gefehlt zu haben. Am Morgen des 7. September (des letzten Tages von Bernhardts Reinhardsbrunner Aufenthalte) hatte Garibaldi als Triumphator über die Armee König Franz II. seinen Einzug in die Thore Neapels gehalten und damit den sür die Zukunft Italiens entscheidenden Schritt gethan. Unmittelbar nach Eingang der Kunde von diesem überall mit gleicher Über¬ raschung aufgenommenen Vorgange ließ Graf Cavour die berühmte Depesche ab¬ gehen, in der er dem Kardinalstaatssekretär Antonelli gegenüber „dem großen Schmerz der Regierung Sr. Majestät des Königs von Sardinien über die im Dienste der päpstlichen Regierung stehenden fremden Söldnerscharen" Ausdruck gab, ihn als Verletzung des öffentlichen Gewissens Italiens und Europas be¬ zeichnete und die sofortige Auflösung und Entwaffnung jener Korps verlangte. Vier Tage später (11. September) erschienen sardinische Truppen auf dem Ge¬ biete des Kirchenstaats, und ein Woche darauf (18. September) wurde die von Lamoricisre geführte päpstliche Armee bei Castelfidardo geschlagen! Ein Jahrzehnt später war die dadurch ins Rollen gebrachte große Bewegung zum Abschluß gekommen und in ungeahnter Weise das Ziel erreicht, das die im September 1860 zu Koburg und Reinhardsbrunn versammelt gewesenen Patrioten als bloße entfernte Möglichkeit angesehen hatten. ^treifzüge auf dem Gebiete der Metapher 2. Metaphern aus der Geschichte und der Aultur des Altertums ir haben in einem frühern Aussatze gezeigt,*) welche wichtige Rolle in der modernen Metapher und Bildersprache die antike Mythologie und Sage spielt. Bei weitem geringer ist die Be¬ deutung, die die politische Geschichte der alten Völker, ihre Kultur und Litteratur auf diesem Gebiete beanspruchen darf. Bei den nichtklassischen Völkern des Altertums ist von einer solchen beinahe gar keine Rede. Was hat z. B. Ägypten unsrer Metapher geliefert? Die Sphinx kann man dafür uicht anführen, denn sie ist zweifellos durch die griechische Sage zu uns gekommen; wer in bildlichen Sinne von einer Sphinx spricht, denkt dabei an die thebische, nicht an die ägyptischen Sphinxbilder. Die ägyp¬ tische Götterwelt ist der modernen Anschauung stets fremd geblieben; die politische Geschichte Ägyptens, seine merkwürdige Kultur hat eben so wenig irgendwelchen Einfluß auf unsern Bilderschatz ausgeübt (das „verschleierte Bild von Sais" kann, als von Schiller herrührend, hier uicht namhaft gemacht werden), und ich wüßte nichts anzuführen, als einzig die Hieroglyphen, *) Vergl. die Grenzboten von 1892 II, S. 203.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/567
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/567>, abgerufen am 23.07.2024.