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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

gegengeht. Die österreichische Regierung habe gar kein Programm, keinen
Plan und lasse sich vollkommen ratlos von den Ereignissen treiben.

Italien. Der Herzog sagt: Garibaldi hat von Napoleon III. die Er¬
laubnis, erst Neapel und dann das Venetianische anzugreifen; Rom und den
Papst soll er dagegen in Ruhe lassen. Das ist ihm nicht recht, und darum
läßt er sich in neuester Zeit halb und halb auch mit Mazzini ein.

Ist Garibaldi erst Herr von Venetien, dann wird von dort aus der
zündende Funke nach Ungarn geworfen. Daß Ungarn vollständig organisirt
ist für die kommenden Ereignisse, bestätigt mir auch der Herzog.

Der Herzog: Die ganze italienische Bewegung, von Paris aus geleitet, geht
teils im Einverständnis mit Cavour vor sich, teils hinter seinem Rücken und gegen
seinen Willen. Cavour sagt: O'sse uns dZtisv, o'sse trox est ä'nus g-muss!
(Sehr natürlich! Da die sardinische Armee infolge der Gebietserweiterung verdrei¬
facht werden muß, kann sie unmöglich schon fertig und kriegstüchtig sein.) Da die
Bewegung aber einmal im Gange ist, kann er sie unmöglich sich selbst überlassen.
In Mailand wird "Tag und Nacht" an Zivilklcidern gearbeitet für die piemonte-
sischen Soldaten, die sich Garibaldi zum Angriff auf Venetien anschließen sollen.

Ich: Wie lange kann es noch dauern, bis wir mit in den Krieg ver¬
wickelt werden?

Der Herzog: Bis zum Frühjahr.

Ich: Daß sich die Sache noch so lange hinziehen wird, daran ist, wie
mir scheint, so ganz sicher nicht zu glauben. Die Ereignisse gehen rasch. Wie
lange kann der Kampf noch dauern in Neapel?

Der Herzog: Garibaldi hofft, Venetien noch in diesem Winter angreifen zu
können.

Ich: Nun, dort hinzugelangen, muß er durch die römischen Marken ziehen.
Wie kommt er hin?

Der Herzog: Man wird ihm nichts in den Weg legen!

Ich: Vonseiten der Franzosen nicht; aber ist man auch Lamoriciöres
gewiß? Wie ich höre, ist er in Belgien, wo er durch seine Frau Familien¬
verbindungen hat, der Geistlichkeit, der klerikalen Partei verfallen; er ist sehr
fromm geworden, asketisch. Auch ist er durch die Vermittlung der belgischen
klerikalen Partei an die Spitze der päpstlichen Armee gekommen. Daß er sich
fügt, scheint mir nicht ausgemacht. Übrigens erhebt sich die Bevölkerung der
Marken ohne Zweifel beim Erscheinen Garibaldis.

Des Herzogs Ansicht, daß wir noch bis zum Frühjahr im Frieden bleiben,
gründet sich darauf, daß er glaubt, Garibaldi werde auch gegen die Öster¬
reicher in Venetien siegreich bleiben. Es werde sich mithin da keine Veranlas¬
sung zu französischer Einmischung ergeben. Das glaube ich nicht. Freischaren
werden nicht so leicht einer geschulten und disziplinirten regelmäßigen Armee
ebenbürtig, vollends wenn diese Freischaren Italiener sind.


Grenzboten II 1893 70
Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

gegengeht. Die österreichische Regierung habe gar kein Programm, keinen
Plan und lasse sich vollkommen ratlos von den Ereignissen treiben.

Italien. Der Herzog sagt: Garibaldi hat von Napoleon III. die Er¬
laubnis, erst Neapel und dann das Venetianische anzugreifen; Rom und den
Papst soll er dagegen in Ruhe lassen. Das ist ihm nicht recht, und darum
läßt er sich in neuester Zeit halb und halb auch mit Mazzini ein.

Ist Garibaldi erst Herr von Venetien, dann wird von dort aus der
zündende Funke nach Ungarn geworfen. Daß Ungarn vollständig organisirt
ist für die kommenden Ereignisse, bestätigt mir auch der Herzog.

Der Herzog: Die ganze italienische Bewegung, von Paris aus geleitet, geht
teils im Einverständnis mit Cavour vor sich, teils hinter seinem Rücken und gegen
seinen Willen. Cavour sagt: O'sse uns dZtisv, o'sse trox est ä'nus g-muss!
(Sehr natürlich! Da die sardinische Armee infolge der Gebietserweiterung verdrei¬
facht werden muß, kann sie unmöglich schon fertig und kriegstüchtig sein.) Da die
Bewegung aber einmal im Gange ist, kann er sie unmöglich sich selbst überlassen.
In Mailand wird „Tag und Nacht" an Zivilklcidern gearbeitet für die piemonte-
sischen Soldaten, die sich Garibaldi zum Angriff auf Venetien anschließen sollen.

Ich: Wie lange kann es noch dauern, bis wir mit in den Krieg ver¬
wickelt werden?

Der Herzog: Bis zum Frühjahr.

Ich: Daß sich die Sache noch so lange hinziehen wird, daran ist, wie
mir scheint, so ganz sicher nicht zu glauben. Die Ereignisse gehen rasch. Wie
lange kann der Kampf noch dauern in Neapel?

Der Herzog: Garibaldi hofft, Venetien noch in diesem Winter angreifen zu
können.

Ich: Nun, dort hinzugelangen, muß er durch die römischen Marken ziehen.
Wie kommt er hin?

Der Herzog: Man wird ihm nichts in den Weg legen!

Ich: Vonseiten der Franzosen nicht; aber ist man auch Lamoriciöres
gewiß? Wie ich höre, ist er in Belgien, wo er durch seine Frau Familien¬
verbindungen hat, der Geistlichkeit, der klerikalen Partei verfallen; er ist sehr
fromm geworden, asketisch. Auch ist er durch die Vermittlung der belgischen
klerikalen Partei an die Spitze der päpstlichen Armee gekommen. Daß er sich
fügt, scheint mir nicht ausgemacht. Übrigens erhebt sich die Bevölkerung der
Marken ohne Zweifel beim Erscheinen Garibaldis.

Des Herzogs Ansicht, daß wir noch bis zum Frühjahr im Frieden bleiben,
gründet sich darauf, daß er glaubt, Garibaldi werde auch gegen die Öster¬
reicher in Venetien siegreich bleiben. Es werde sich mithin da keine Veranlas¬
sung zu französischer Einmischung ergeben. Das glaube ich nicht. Freischaren
werden nicht so leicht einer geschulten und disziplinirten regelmäßigen Armee
ebenbürtig, vollends wenn diese Freischaren Italiener sind.


Grenzboten II 1893 70
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/562>, abgerufen am 23.07.2024.