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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

Am zweiten September war Bernhardt in Reinhardsbrunn eingetroffen, und
vom Abende dieses Tages beginnen seine auf diese Zusammenkunft bezüglichen Tage¬
buchblätter.

2. September. Gegen sechs Uhr kehrt der Herzog von der Jagd zurück.
Diner in einem kleinen Sälchen unter der Hirschgalerie. Nur der Herzog,
die Herzogin, Mr. Barnard, Hausmarschall Wangenheim und Fräulein Kon¬
stanze Thümmel (die Damen in Trauer), niemand sonst. Die allerfreuudlichste
Aufnahme von allen Seiten. Aber mir wird etwas bange. Ich bereue fast,
daß ich hergekommen bin. Wie wird die Zeit hinzubringen sein! Es regt
sich ein gewisses Verlangen, bald wieder loszukommen.

Nach Tisch kommt der Herzog in mein Zimmer; langes Gespräch, wobei
ich höre, frage, durch Bemerkungen weiterfördere.

DerHerzog: "Der gegenwärtige Moment ist ein sehr wichtiger und in mancher
Beziehung ein sehr gefährlicher." Ich denke nach dieser Einleitung, er wird
von Italien sprechen und vom Orient; nein, er denkt zunächst an das, was
ihn zu allernächst betrifft: der Nationalverein tagt demnächst in Koburg, und
von seiner Haltung, von den Beschlüssen, die er faßt, wird viel abhängen.
(Mir scheint die Sache nicht so wichtig.)

DerHerzog: "Die Führer des Vereins sind vielfach gewarnt und ermahnt
worden, sie haben versprochen, vernünftig zu sein und die Beschlüsse des
Vereins in den Bahnen der Mäßigung zu erhalten; es fragt sich nur, ob sie
der Sache durchaus Herr bleiben. Der Verein will sein eignes Programm
feststellen, das ist bedenklich und kann weit führen; es tritt da eine dreifache
Gefahr ein: 1. Wenn der Verein eine kvnstituirende Nationalversammlung ver¬
langt und sich selbst etwa als Vorparlament konstituiren will; 2. wenn er die
Reichsverfassung von 1849 zu seiner Fahne wählt und für deren Durch¬
führung zu wirken beschließt; 3. wenn er die Hegemonie Preußens proklamirt
und verlangt, daß diesem Staate die Vertretung des Bundes nach außen und
die Militärmacht in ganz Deutschland überlassen werde." (1 und 2 wäre
Wahnsinn, und dennoch kann man Deutschen auch dergleichen zutrauen, sie sind
so überaus praktisch!)

Wird einer von diesen drei Beschlüssen gefaßt, so muß auch der Herzog
dem Nationalverein seinen Schutz entziehen, "und wir Liberalen verlieren da¬
mit unsre Armee!" Der Verein verfällt dann den Demokraten! Mir
scheint im stillen diese Gefahr so groß nicht; die Gothaner werden sich nicht
so leicht den Demokraten zuwenden, und am Ende ist die Macht des Vereins
nicht so gar groß.)

Ich: ,,Um meine Meinung befragt, habe ich gegen die Ausbreitung des
Natioualvercins in Preußen gestimmt und sie in Schlesien auch verhindert";
mein Grund, den ich aussprechen muß, da der Herzog bedauernd dazwischen
wirft: ,,O, warum haben Sie das gethan!": die ganze Agitation ist zu Preußens


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

Am zweiten September war Bernhardt in Reinhardsbrunn eingetroffen, und
vom Abende dieses Tages beginnen seine auf diese Zusammenkunft bezüglichen Tage¬
buchblätter.

2. September. Gegen sechs Uhr kehrt der Herzog von der Jagd zurück.
Diner in einem kleinen Sälchen unter der Hirschgalerie. Nur der Herzog,
die Herzogin, Mr. Barnard, Hausmarschall Wangenheim und Fräulein Kon¬
stanze Thümmel (die Damen in Trauer), niemand sonst. Die allerfreuudlichste
Aufnahme von allen Seiten. Aber mir wird etwas bange. Ich bereue fast,
daß ich hergekommen bin. Wie wird die Zeit hinzubringen sein! Es regt
sich ein gewisses Verlangen, bald wieder loszukommen.

Nach Tisch kommt der Herzog in mein Zimmer; langes Gespräch, wobei
ich höre, frage, durch Bemerkungen weiterfördere.

DerHerzog: „Der gegenwärtige Moment ist ein sehr wichtiger und in mancher
Beziehung ein sehr gefährlicher." Ich denke nach dieser Einleitung, er wird
von Italien sprechen und vom Orient; nein, er denkt zunächst an das, was
ihn zu allernächst betrifft: der Nationalverein tagt demnächst in Koburg, und
von seiner Haltung, von den Beschlüssen, die er faßt, wird viel abhängen.
(Mir scheint die Sache nicht so wichtig.)

DerHerzog: „Die Führer des Vereins sind vielfach gewarnt und ermahnt
worden, sie haben versprochen, vernünftig zu sein und die Beschlüsse des
Vereins in den Bahnen der Mäßigung zu erhalten; es fragt sich nur, ob sie
der Sache durchaus Herr bleiben. Der Verein will sein eignes Programm
feststellen, das ist bedenklich und kann weit führen; es tritt da eine dreifache
Gefahr ein: 1. Wenn der Verein eine kvnstituirende Nationalversammlung ver¬
langt und sich selbst etwa als Vorparlament konstituiren will; 2. wenn er die
Reichsverfassung von 1849 zu seiner Fahne wählt und für deren Durch¬
führung zu wirken beschließt; 3. wenn er die Hegemonie Preußens proklamirt
und verlangt, daß diesem Staate die Vertretung des Bundes nach außen und
die Militärmacht in ganz Deutschland überlassen werde." (1 und 2 wäre
Wahnsinn, und dennoch kann man Deutschen auch dergleichen zutrauen, sie sind
so überaus praktisch!)

Wird einer von diesen drei Beschlüssen gefaßt, so muß auch der Herzog
dem Nationalverein seinen Schutz entziehen, „und wir Liberalen verlieren da¬
mit unsre Armee!" Der Verein verfällt dann den Demokraten! Mir
scheint im stillen diese Gefahr so groß nicht; die Gothaner werden sich nicht
so leicht den Demokraten zuwenden, und am Ende ist die Macht des Vereins
nicht so gar groß.)

Ich: ,,Um meine Meinung befragt, habe ich gegen die Ausbreitung des
Natioualvercins in Preußen gestimmt und sie in Schlesien auch verhindert";
mein Grund, den ich aussprechen muß, da der Herzog bedauernd dazwischen
wirft: ,,O, warum haben Sie das gethan!": die ganze Agitation ist zu Preußens


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[0557] Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts Am zweiten September war Bernhardt in Reinhardsbrunn eingetroffen, und vom Abende dieses Tages beginnen seine auf diese Zusammenkunft bezüglichen Tage¬ buchblätter. 2. September. Gegen sechs Uhr kehrt der Herzog von der Jagd zurück. Diner in einem kleinen Sälchen unter der Hirschgalerie. Nur der Herzog, die Herzogin, Mr. Barnard, Hausmarschall Wangenheim und Fräulein Kon¬ stanze Thümmel (die Damen in Trauer), niemand sonst. Die allerfreuudlichste Aufnahme von allen Seiten. Aber mir wird etwas bange. Ich bereue fast, daß ich hergekommen bin. Wie wird die Zeit hinzubringen sein! Es regt sich ein gewisses Verlangen, bald wieder loszukommen. Nach Tisch kommt der Herzog in mein Zimmer; langes Gespräch, wobei ich höre, frage, durch Bemerkungen weiterfördere. DerHerzog: „Der gegenwärtige Moment ist ein sehr wichtiger und in mancher Beziehung ein sehr gefährlicher." Ich denke nach dieser Einleitung, er wird von Italien sprechen und vom Orient; nein, er denkt zunächst an das, was ihn zu allernächst betrifft: der Nationalverein tagt demnächst in Koburg, und von seiner Haltung, von den Beschlüssen, die er faßt, wird viel abhängen. (Mir scheint die Sache nicht so wichtig.) DerHerzog: „Die Führer des Vereins sind vielfach gewarnt und ermahnt worden, sie haben versprochen, vernünftig zu sein und die Beschlüsse des Vereins in den Bahnen der Mäßigung zu erhalten; es fragt sich nur, ob sie der Sache durchaus Herr bleiben. Der Verein will sein eignes Programm feststellen, das ist bedenklich und kann weit führen; es tritt da eine dreifache Gefahr ein: 1. Wenn der Verein eine kvnstituirende Nationalversammlung ver¬ langt und sich selbst etwa als Vorparlament konstituiren will; 2. wenn er die Reichsverfassung von 1849 zu seiner Fahne wählt und für deren Durch¬ führung zu wirken beschließt; 3. wenn er die Hegemonie Preußens proklamirt und verlangt, daß diesem Staate die Vertretung des Bundes nach außen und die Militärmacht in ganz Deutschland überlassen werde." (1 und 2 wäre Wahnsinn, und dennoch kann man Deutschen auch dergleichen zutrauen, sie sind so überaus praktisch!) Wird einer von diesen drei Beschlüssen gefaßt, so muß auch der Herzog dem Nationalverein seinen Schutz entziehen, „und wir Liberalen verlieren da¬ mit unsre Armee!" Der Verein verfällt dann den Demokraten! Mir scheint im stillen diese Gefahr so groß nicht; die Gothaner werden sich nicht so leicht den Demokraten zuwenden, und am Ende ist die Macht des Vereins nicht so gar groß.) Ich: ,,Um meine Meinung befragt, habe ich gegen die Ausbreitung des Natioualvercins in Preußen gestimmt und sie in Schlesien auch verhindert"; mein Grund, den ich aussprechen muß, da der Herzog bedauernd dazwischen wirft: ,,O, warum haben Sie das gethan!": die ganze Agitation ist zu Preußens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/557>, abgerufen am 23.07.2024.