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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

B. Auerbach in sich zusammen und sagt zu mir gewendet, mit Entzücken: "Es
ist ein herrliches Leben!" Er ist in der That sehr glücklich hier, fühlt sich
recht wonniglich wohl in dieser reizenden Umgebung, unter den bedeutenden
Männern und schönen Frauen; er muß mitunter an sich halten, um nicht lant
auszujauchzen vor Glückseligkeit. Das ist natürlich genug! Er hat seine Kind¬
heit und erste Jugend unter Schacherjudeu in einer Hütte verlebt.

Nachdem die Jäger aufgebrochen waren, wandle ich mit B. Auerbach und
Fran von Meyern in den Anlagen umher; das Gespräch berührt mancherlei,
Erziehung unter anderen, weibliche Erziehung. Ich sage, daß ich, was diesen
Punkt betrifft, wohl versucht wäre, Klagelieder anzustimmen; die Erziehung
unsrer Frauen sei nach meiner Ansicht sehr verkehrt: "unsre Frauen werden
lediglich auf das Jungsein erzogen!"

Miß Mary und Luisa Hughan kommen aus Gotha an, und nun wird
eine große Partie auf den Inselberg unternommen. Sie soll uns in die
Nähe der Jagd führen. Unsre Gesellschaft wandert zu Fuß, da Fräulein
von Thümmel zu Grubers großem Ärger die Wagen fortgeschickt hat, erst
den Rennweg entlang, dann links ab durch Buchenschlüge zur Tanzbuche, einem
eigentümlichen Plätzchen im Walde. Die Wiesen weit umher sind herzoglich;
in frühern Zeiten hatten die nahegelegnen Dörfer die Verpflichtung, dem Herzog
das Heu einzubringen, und nach vollendeter Heuernte wurde dann den Frohnern
von der "Herrschaft" an dieser Stelle unter einer alten Buche ein festlicher
Tanz gegeben. Daher der Name. Jetzt steht hier ein kleines Jagdhaus, leicht
von Holz zusammengefügt. Wiesen, die einen klaren Teich umgeben, dehnen
sich bis an die waldigen Abhänge aus. Schöne Aussicht auf den Hauptkamm
des Thüringer Waldes mit seinen Kuppen. Es ist gar anmutig hier oben.

Das ganze Gebirge scheint von Reisenden zu wimmeln. Auf dem Insel¬
berg trafen wir sehr zahlreiche Gesellschaft; hier sehen wir in einiger Entfer¬
nung am Waldesrande die Schüler von Schnepfenthal, die, von ihren Lehrern
geführt, gymnastische Übungen und Spiele treiben, sich aber nicht im mindesten
um uns kümmern.

Wir lagern am Teich. B. Auerbach und ich, wir breiten unsre Plaids auf
dem Rasen aus für die Damen, die Damen singen Liedchen. B. Auerbach wälzt
sich im Grase vor Wonne, erzählt komische Geschichten, singt burleske Liederchen
vom Kasperltheater her, das alles in so harmloser, naiver, liebenswürdiger Weise,
daß es durchaus ungezwungen bleibt und doch nie über die Grenze des in guter
Gesellschaft passenden hinausgeht. Miß Gianetta und Luisa, Frau von Meyern
sind fo hübsch, so reizend gekleidet, daß die Gruppe auf dem frischen Rasen,
unter ein paar alten Bäumen, am klaren Wasserspiegel, wohl des Malens wert
gewesen wäre, und die Zeit fließt angenehm an uns vorüber.

Endlich kommen die Jäger. Der Herzog auf seinem Schimmel, die Her¬
zogin mit einem langen Stecken zu Fuß hinterdrein.


Grenzboten II 1893 60
Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

B. Auerbach in sich zusammen und sagt zu mir gewendet, mit Entzücken: „Es
ist ein herrliches Leben!" Er ist in der That sehr glücklich hier, fühlt sich
recht wonniglich wohl in dieser reizenden Umgebung, unter den bedeutenden
Männern und schönen Frauen; er muß mitunter an sich halten, um nicht lant
auszujauchzen vor Glückseligkeit. Das ist natürlich genug! Er hat seine Kind¬
heit und erste Jugend unter Schacherjudeu in einer Hütte verlebt.

Nachdem die Jäger aufgebrochen waren, wandle ich mit B. Auerbach und
Fran von Meyern in den Anlagen umher; das Gespräch berührt mancherlei,
Erziehung unter anderen, weibliche Erziehung. Ich sage, daß ich, was diesen
Punkt betrifft, wohl versucht wäre, Klagelieder anzustimmen; die Erziehung
unsrer Frauen sei nach meiner Ansicht sehr verkehrt: „unsre Frauen werden
lediglich auf das Jungsein erzogen!"

Miß Mary und Luisa Hughan kommen aus Gotha an, und nun wird
eine große Partie auf den Inselberg unternommen. Sie soll uns in die
Nähe der Jagd führen. Unsre Gesellschaft wandert zu Fuß, da Fräulein
von Thümmel zu Grubers großem Ärger die Wagen fortgeschickt hat, erst
den Rennweg entlang, dann links ab durch Buchenschlüge zur Tanzbuche, einem
eigentümlichen Plätzchen im Walde. Die Wiesen weit umher sind herzoglich;
in frühern Zeiten hatten die nahegelegnen Dörfer die Verpflichtung, dem Herzog
das Heu einzubringen, und nach vollendeter Heuernte wurde dann den Frohnern
von der „Herrschaft" an dieser Stelle unter einer alten Buche ein festlicher
Tanz gegeben. Daher der Name. Jetzt steht hier ein kleines Jagdhaus, leicht
von Holz zusammengefügt. Wiesen, die einen klaren Teich umgeben, dehnen
sich bis an die waldigen Abhänge aus. Schöne Aussicht auf den Hauptkamm
des Thüringer Waldes mit seinen Kuppen. Es ist gar anmutig hier oben.

Das ganze Gebirge scheint von Reisenden zu wimmeln. Auf dem Insel¬
berg trafen wir sehr zahlreiche Gesellschaft; hier sehen wir in einiger Entfer¬
nung am Waldesrande die Schüler von Schnepfenthal, die, von ihren Lehrern
geführt, gymnastische Übungen und Spiele treiben, sich aber nicht im mindesten
um uns kümmern.

Wir lagern am Teich. B. Auerbach und ich, wir breiten unsre Plaids auf
dem Rasen aus für die Damen, die Damen singen Liedchen. B. Auerbach wälzt
sich im Grase vor Wonne, erzählt komische Geschichten, singt burleske Liederchen
vom Kasperltheater her, das alles in so harmloser, naiver, liebenswürdiger Weise,
daß es durchaus ungezwungen bleibt und doch nie über die Grenze des in guter
Gesellschaft passenden hinausgeht. Miß Gianetta und Luisa, Frau von Meyern
sind fo hübsch, so reizend gekleidet, daß die Gruppe auf dem frischen Rasen,
unter ein paar alten Bäumen, am klaren Wasserspiegel, wohl des Malens wert
gewesen wäre, und die Zeit fließt angenehm an uns vorüber.

Endlich kommen die Jäger. Der Herzog auf seinem Schimmel, die Her¬
zogin mit einem langen Stecken zu Fuß hinterdrein.


Grenzboten II 1893 60
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[0554] Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts B. Auerbach in sich zusammen und sagt zu mir gewendet, mit Entzücken: „Es ist ein herrliches Leben!" Er ist in der That sehr glücklich hier, fühlt sich recht wonniglich wohl in dieser reizenden Umgebung, unter den bedeutenden Männern und schönen Frauen; er muß mitunter an sich halten, um nicht lant auszujauchzen vor Glückseligkeit. Das ist natürlich genug! Er hat seine Kind¬ heit und erste Jugend unter Schacherjudeu in einer Hütte verlebt. Nachdem die Jäger aufgebrochen waren, wandle ich mit B. Auerbach und Fran von Meyern in den Anlagen umher; das Gespräch berührt mancherlei, Erziehung unter anderen, weibliche Erziehung. Ich sage, daß ich, was diesen Punkt betrifft, wohl versucht wäre, Klagelieder anzustimmen; die Erziehung unsrer Frauen sei nach meiner Ansicht sehr verkehrt: „unsre Frauen werden lediglich auf das Jungsein erzogen!" Miß Mary und Luisa Hughan kommen aus Gotha an, und nun wird eine große Partie auf den Inselberg unternommen. Sie soll uns in die Nähe der Jagd führen. Unsre Gesellschaft wandert zu Fuß, da Fräulein von Thümmel zu Grubers großem Ärger die Wagen fortgeschickt hat, erst den Rennweg entlang, dann links ab durch Buchenschlüge zur Tanzbuche, einem eigentümlichen Plätzchen im Walde. Die Wiesen weit umher sind herzoglich; in frühern Zeiten hatten die nahegelegnen Dörfer die Verpflichtung, dem Herzog das Heu einzubringen, und nach vollendeter Heuernte wurde dann den Frohnern von der „Herrschaft" an dieser Stelle unter einer alten Buche ein festlicher Tanz gegeben. Daher der Name. Jetzt steht hier ein kleines Jagdhaus, leicht von Holz zusammengefügt. Wiesen, die einen klaren Teich umgeben, dehnen sich bis an die waldigen Abhänge aus. Schöne Aussicht auf den Hauptkamm des Thüringer Waldes mit seinen Kuppen. Es ist gar anmutig hier oben. Das ganze Gebirge scheint von Reisenden zu wimmeln. Auf dem Insel¬ berg trafen wir sehr zahlreiche Gesellschaft; hier sehen wir in einiger Entfer¬ nung am Waldesrande die Schüler von Schnepfenthal, die, von ihren Lehrern geführt, gymnastische Übungen und Spiele treiben, sich aber nicht im mindesten um uns kümmern. Wir lagern am Teich. B. Auerbach und ich, wir breiten unsre Plaids auf dem Rasen aus für die Damen, die Damen singen Liedchen. B. Auerbach wälzt sich im Grase vor Wonne, erzählt komische Geschichten, singt burleske Liederchen vom Kasperltheater her, das alles in so harmloser, naiver, liebenswürdiger Weise, daß es durchaus ungezwungen bleibt und doch nie über die Grenze des in guter Gesellschaft passenden hinausgeht. Miß Gianetta und Luisa, Frau von Meyern sind fo hübsch, so reizend gekleidet, daß die Gruppe auf dem frischen Rasen, unter ein paar alten Bäumen, am klaren Wasserspiegel, wohl des Malens wert gewesen wäre, und die Zeit fließt angenehm an uns vorüber. Endlich kommen die Jäger. Der Herzog auf seinem Schimmel, die Her¬ zogin mit einem langen Stecken zu Fuß hinterdrein. Grenzboten II 1893 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/554>, abgerufen am 23.07.2024.