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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Allerlei vom Reisen

gewordnen ehemaligen Stiftslanden, namentlich die in den Gegenden der frän¬
kischen Saale, ferner das thüringische Saalfeld, und vor allen Soest, die einst so
mächtige Stadt, die jetzt viel zu klein in ihrer alten UmWallung und Befestigung
liegt, sodaß diese jetzt auch Wiesen und große Gärten mit umschließt. Dann
noch eine Gruppe, die aber erst später daran kommen sollte, die Städte der
romanischen Schweiz von Freiburg und Iverdon bis an den Genfer See hinab,
bis zu dem ragenden, prächtigen Lausanne.

Dann erst, wenn der junge Mann sein Deutschland kennt und die ver-
schiedne Art und Sprache der Bewohner in Nord und Süd, dann gebe man
ihm, dem für das Neue und seine logische Verwertung nun reif gewordnen,
die Schweiz frei, wo er dann auch, wenn es angeht, den Jura nicht vernach¬
lässigen möge, mit seiner eigentümlichen Flora, mit seinem wunderbaren
Münsterthal (Val as Kontier) und dem Blick vom Weißenstein über das ur¬
alte Solothurn hinweg auf Ebne, Flüsse, Seen und Alpen, lasse ihn die ver-
schiednen Eidgenossen kennen lernen, die halb verwelschten Müglins und Fräßlis
zu Basel, die stattlichen Berner, die respektabel" Bürger in der altberühmten
Stadt Zwinglis. Lcivciters, Gottfried Kellers und C. F. Meyers, und die
Nachfahren des berühmtesten aller deutschen Kloster, Se. Gnllens; lasse ihn
die Spitzen der Hochalpen erklimmen und die Augen weiden an den erhabnen
Fernsichten, deren Großartigkeit ihn nun nicht mehr verwirren und für stillere
Schönheit unempfänglich machen, sondern wirklich und ohne Schaden reicher
machen wird. Oder statt der Schweiz Tirol und das Salzburgerland. Dann
erst lasse man ihn in das volle anderssprachige Ausland, nach Genf und Savoyen,
uach Paris ziehen, das dem durchgebildeten und den nötigen Halt besitzenden
jungen Manne so viel herrliches bietet, wo ihn draußen an der Seine oder auf
den Höhen zwischen Se. Cloud und Versailles auch die Erinnerung an deutsche
Landschaft anheimeln wird, und endlich lasse mau ihn in das Wunderland
Italien und in das Land der Troubadoure, in die Thäler der Provence pilgern.
Denn wer in Deutschland auf mannichfacher Wanderfahrt gelernt hat, sich in
andrer Leute und Länder Art zu schicken, statt ungeschickt und unbildsam auf¬
zufallen und anzustoßen, der wird auch hente noch unbehelligt dnrch die Pro¬
vinzen Frankreichs wandern, obwohl diese ja den Deutschen weit weniger ge¬
wohnt sind, als Paris selber, und die Leute dort etwas mißtrauischer siud.
Und ebenso wird er nun auch in Italien nicht mehr mit der einzigen rohen
Unterscheidung von deutsch und italienisch dastehen, nicht mehr zwischen Ver¬
wundern und Nörgeln hin- und herschwanken, sondern die Leute richtig nehmen,
alte, neuere und moderne Sehenswürdigkeiten klassisiziren und in ihrem Wert
abschätzen, auch von der italienischen Natur nicht enttäuscht sein, sondern das
charakteristische Herausfinden und verstehen und die italienische Berglandschaft
nach dein deutschen Waldgebirge in ihrer feinern Plastik und Farbenstimmung
zu würdigen wissen.


Allerlei vom Reisen

gewordnen ehemaligen Stiftslanden, namentlich die in den Gegenden der frän¬
kischen Saale, ferner das thüringische Saalfeld, und vor allen Soest, die einst so
mächtige Stadt, die jetzt viel zu klein in ihrer alten UmWallung und Befestigung
liegt, sodaß diese jetzt auch Wiesen und große Gärten mit umschließt. Dann
noch eine Gruppe, die aber erst später daran kommen sollte, die Städte der
romanischen Schweiz von Freiburg und Iverdon bis an den Genfer See hinab,
bis zu dem ragenden, prächtigen Lausanne.

Dann erst, wenn der junge Mann sein Deutschland kennt und die ver-
schiedne Art und Sprache der Bewohner in Nord und Süd, dann gebe man
ihm, dem für das Neue und seine logische Verwertung nun reif gewordnen,
die Schweiz frei, wo er dann auch, wenn es angeht, den Jura nicht vernach¬
lässigen möge, mit seiner eigentümlichen Flora, mit seinem wunderbaren
Münsterthal (Val as Kontier) und dem Blick vom Weißenstein über das ur¬
alte Solothurn hinweg auf Ebne, Flüsse, Seen und Alpen, lasse ihn die ver-
schiednen Eidgenossen kennen lernen, die halb verwelschten Müglins und Fräßlis
zu Basel, die stattlichen Berner, die respektabel» Bürger in der altberühmten
Stadt Zwinglis. Lcivciters, Gottfried Kellers und C. F. Meyers, und die
Nachfahren des berühmtesten aller deutschen Kloster, Se. Gnllens; lasse ihn
die Spitzen der Hochalpen erklimmen und die Augen weiden an den erhabnen
Fernsichten, deren Großartigkeit ihn nun nicht mehr verwirren und für stillere
Schönheit unempfänglich machen, sondern wirklich und ohne Schaden reicher
machen wird. Oder statt der Schweiz Tirol und das Salzburgerland. Dann
erst lasse man ihn in das volle anderssprachige Ausland, nach Genf und Savoyen,
uach Paris ziehen, das dem durchgebildeten und den nötigen Halt besitzenden
jungen Manne so viel herrliches bietet, wo ihn draußen an der Seine oder auf
den Höhen zwischen Se. Cloud und Versailles auch die Erinnerung an deutsche
Landschaft anheimeln wird, und endlich lasse mau ihn in das Wunderland
Italien und in das Land der Troubadoure, in die Thäler der Provence pilgern.
Denn wer in Deutschland auf mannichfacher Wanderfahrt gelernt hat, sich in
andrer Leute und Länder Art zu schicken, statt ungeschickt und unbildsam auf¬
zufallen und anzustoßen, der wird auch hente noch unbehelligt dnrch die Pro¬
vinzen Frankreichs wandern, obwohl diese ja den Deutschen weit weniger ge¬
wohnt sind, als Paris selber, und die Leute dort etwas mißtrauischer siud.
Und ebenso wird er nun auch in Italien nicht mehr mit der einzigen rohen
Unterscheidung von deutsch und italienisch dastehen, nicht mehr zwischen Ver¬
wundern und Nörgeln hin- und herschwanken, sondern die Leute richtig nehmen,
alte, neuere und moderne Sehenswürdigkeiten klassisiziren und in ihrem Wert
abschätzen, auch von der italienischen Natur nicht enttäuscht sein, sondern das
charakteristische Herausfinden und verstehen und die italienische Berglandschaft
nach dein deutschen Waldgebirge in ihrer feinern Plastik und Farbenstimmung
zu würdigen wissen.


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[0532] Allerlei vom Reisen gewordnen ehemaligen Stiftslanden, namentlich die in den Gegenden der frän¬ kischen Saale, ferner das thüringische Saalfeld, und vor allen Soest, die einst so mächtige Stadt, die jetzt viel zu klein in ihrer alten UmWallung und Befestigung liegt, sodaß diese jetzt auch Wiesen und große Gärten mit umschließt. Dann noch eine Gruppe, die aber erst später daran kommen sollte, die Städte der romanischen Schweiz von Freiburg und Iverdon bis an den Genfer See hinab, bis zu dem ragenden, prächtigen Lausanne. Dann erst, wenn der junge Mann sein Deutschland kennt und die ver- schiedne Art und Sprache der Bewohner in Nord und Süd, dann gebe man ihm, dem für das Neue und seine logische Verwertung nun reif gewordnen, die Schweiz frei, wo er dann auch, wenn es angeht, den Jura nicht vernach¬ lässigen möge, mit seiner eigentümlichen Flora, mit seinem wunderbaren Münsterthal (Val as Kontier) und dem Blick vom Weißenstein über das ur¬ alte Solothurn hinweg auf Ebne, Flüsse, Seen und Alpen, lasse ihn die ver- schiednen Eidgenossen kennen lernen, die halb verwelschten Müglins und Fräßlis zu Basel, die stattlichen Berner, die respektabel» Bürger in der altberühmten Stadt Zwinglis. Lcivciters, Gottfried Kellers und C. F. Meyers, und die Nachfahren des berühmtesten aller deutschen Kloster, Se. Gnllens; lasse ihn die Spitzen der Hochalpen erklimmen und die Augen weiden an den erhabnen Fernsichten, deren Großartigkeit ihn nun nicht mehr verwirren und für stillere Schönheit unempfänglich machen, sondern wirklich und ohne Schaden reicher machen wird. Oder statt der Schweiz Tirol und das Salzburgerland. Dann erst lasse man ihn in das volle anderssprachige Ausland, nach Genf und Savoyen, uach Paris ziehen, das dem durchgebildeten und den nötigen Halt besitzenden jungen Manne so viel herrliches bietet, wo ihn draußen an der Seine oder auf den Höhen zwischen Se. Cloud und Versailles auch die Erinnerung an deutsche Landschaft anheimeln wird, und endlich lasse mau ihn in das Wunderland Italien und in das Land der Troubadoure, in die Thäler der Provence pilgern. Denn wer in Deutschland auf mannichfacher Wanderfahrt gelernt hat, sich in andrer Leute und Länder Art zu schicken, statt ungeschickt und unbildsam auf¬ zufallen und anzustoßen, der wird auch hente noch unbehelligt dnrch die Pro¬ vinzen Frankreichs wandern, obwohl diese ja den Deutschen weit weniger ge¬ wohnt sind, als Paris selber, und die Leute dort etwas mißtrauischer siud. Und ebenso wird er nun auch in Italien nicht mehr mit der einzigen rohen Unterscheidung von deutsch und italienisch dastehen, nicht mehr zwischen Ver¬ wundern und Nörgeln hin- und herschwanken, sondern die Leute richtig nehmen, alte, neuere und moderne Sehenswürdigkeiten klassisiziren und in ihrem Wert abschätzen, auch von der italienischen Natur nicht enttäuscht sein, sondern das charakteristische Herausfinden und verstehen und die italienische Berglandschaft nach dein deutschen Waldgebirge in ihrer feinern Plastik und Farbenstimmung zu würdigen wissen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/532>, abgerufen am 23.07.2024.