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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Dichtende Frauen

"Treibe die Natur mit der Mistgabel aus, sie wird doch immer wieder¬
kehren!" So sagt jener alte Römer, und auch unsre dichtenden Frauen strafen
ihn nicht Lügen. Dein Himmel sei Dank, die Frau bleibt Frau, auch wenn sie
Stuart Mill und ähnliche männliche alte Jungfern gelesen hat, lind weibliche
Feldwebel ihr nun ihre neue Aufgabe in der Welt "vom ersten April dieses
Jahres an" noch so oft vorschnarren. Selbst eine verhältinsmäßig so un¬
wichtige Weltaufgabe, wie das Dichten, löst die Frau am besten, wenn sie
Frau bleibt. Das wird der Kenner der Menschen und der Dichtung ans der
Vergleichung unsrer Proben wohl leicht herausfinden. Daß die guten unter
den hier zusammengestellten ausschließlich auf die ältere Generation weisen,
stimmte freilich herab. Aber man sollte meinen, gerade bei jiiugern Frauen
brauchte man nicht allzu besorgt zu sein, daß sie nicht schließlich doch wieder
darauf verfallen, was auch in der Dichtung "schon steht." Freilich die Mode
ist ein Thrann. Sie tragen Kutscherkrageu und dichten "modern" für die
freie Bühne. Das fällt unter denselben Gesichtspunkt. Manche giebts doch,
die nicht mitmachen, auch nicht undichten, lveder "modern" noch un¬
modern, weder schlecht noch gut. O, es giebt auch noch solche! Aber das ist
alles nicht so wichtig, wie eben der Umstand, daß sie dichten, daß sie in
unserm Jahrhundert gar so viel dichten!

Wie ernst die Frauen die Liebe nehmen! würde unser Politiker auch nach
Besichtigung unsrer kleinen Galerie dichtender Frauen ausrufen. Vorausgesetzt,
daß ihn die wichtige Frage, ob ihn Herr Fasclmeier oder Herr Quatschhuber
sichrer in den Hafen der irdischen Glückseligkeit bugsire, Zeit für solchem
Schnickschnack läßt. Nicht gleich von Schnickschnack reden, lieber Freund! Diese
Frauen da nehmen etwas ernst, was historisch-philosophisch-juristisch-national-
ökonomisch die allerwichtigste und ernsteste Sache ist, viel wichtiger und ernster
als alle Theorien und Praktiken aller Herren Faselmeier und Quatschhuber
zusammengenommen vom Anfang der Weltgeschichte bis auf unsre Herren
Parlamentarier. Diese Frauen klammern sich an etwas und halten es krampf¬
haft fest, wovon die Welt nicht bloß gespeist, getränkt, gekleidet und -- unter¬
halten wird, sondern was sogar verhindert, daß sie nicht jeden Augenblick in
die Luft fliegt: ein Urfluidum, eine Zentralkraft, nenne es so modern, wie du
willst, eine Wärmequelle, von der nicht zu befürchten ist, daß sie sich jemals
aufbraucht, ein Grundkapital, das schwerlich durch übergroße Vermehrung oder
Anhäufung in den Händen einzelner lustig zu fallen Gefahr läuft. Diese
Frauen, lieber Freund, sind um Ende viel politischer als du. Nur weil heut¬
zutage die Männer so viel Unfug treibe", dichten so viel Frauen. Denn wenn


Dichtende Frauen

„Treibe die Natur mit der Mistgabel aus, sie wird doch immer wieder¬
kehren!" So sagt jener alte Römer, und auch unsre dichtenden Frauen strafen
ihn nicht Lügen. Dein Himmel sei Dank, die Frau bleibt Frau, auch wenn sie
Stuart Mill und ähnliche männliche alte Jungfern gelesen hat, lind weibliche
Feldwebel ihr nun ihre neue Aufgabe in der Welt „vom ersten April dieses
Jahres an" noch so oft vorschnarren. Selbst eine verhältinsmäßig so un¬
wichtige Weltaufgabe, wie das Dichten, löst die Frau am besten, wenn sie
Frau bleibt. Das wird der Kenner der Menschen und der Dichtung ans der
Vergleichung unsrer Proben wohl leicht herausfinden. Daß die guten unter
den hier zusammengestellten ausschließlich auf die ältere Generation weisen,
stimmte freilich herab. Aber man sollte meinen, gerade bei jiiugern Frauen
brauchte man nicht allzu besorgt zu sein, daß sie nicht schließlich doch wieder
darauf verfallen, was auch in der Dichtung „schon steht." Freilich die Mode
ist ein Thrann. Sie tragen Kutscherkrageu und dichten „modern" für die
freie Bühne. Das fällt unter denselben Gesichtspunkt. Manche giebts doch,
die nicht mitmachen, auch nicht undichten, lveder „modern" noch un¬
modern, weder schlecht noch gut. O, es giebt auch noch solche! Aber das ist
alles nicht so wichtig, wie eben der Umstand, daß sie dichten, daß sie in
unserm Jahrhundert gar so viel dichten!

Wie ernst die Frauen die Liebe nehmen! würde unser Politiker auch nach
Besichtigung unsrer kleinen Galerie dichtender Frauen ausrufen. Vorausgesetzt,
daß ihn die wichtige Frage, ob ihn Herr Fasclmeier oder Herr Quatschhuber
sichrer in den Hafen der irdischen Glückseligkeit bugsire, Zeit für solchem
Schnickschnack läßt. Nicht gleich von Schnickschnack reden, lieber Freund! Diese
Frauen da nehmen etwas ernst, was historisch-philosophisch-juristisch-national-
ökonomisch die allerwichtigste und ernsteste Sache ist, viel wichtiger und ernster
als alle Theorien und Praktiken aller Herren Faselmeier und Quatschhuber
zusammengenommen vom Anfang der Weltgeschichte bis auf unsre Herren
Parlamentarier. Diese Frauen klammern sich an etwas und halten es krampf¬
haft fest, wovon die Welt nicht bloß gespeist, getränkt, gekleidet und — unter¬
halten wird, sondern was sogar verhindert, daß sie nicht jeden Augenblick in
die Luft fliegt: ein Urfluidum, eine Zentralkraft, nenne es so modern, wie du
willst, eine Wärmequelle, von der nicht zu befürchten ist, daß sie sich jemals
aufbraucht, ein Grundkapital, das schwerlich durch übergroße Vermehrung oder
Anhäufung in den Händen einzelner lustig zu fallen Gefahr läuft. Diese
Frauen, lieber Freund, sind um Ende viel politischer als du. Nur weil heut¬
zutage die Männer so viel Unfug treibe», dichten so viel Frauen. Denn wenn


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[0527] Dichtende Frauen „Treibe die Natur mit der Mistgabel aus, sie wird doch immer wieder¬ kehren!" So sagt jener alte Römer, und auch unsre dichtenden Frauen strafen ihn nicht Lügen. Dein Himmel sei Dank, die Frau bleibt Frau, auch wenn sie Stuart Mill und ähnliche männliche alte Jungfern gelesen hat, lind weibliche Feldwebel ihr nun ihre neue Aufgabe in der Welt „vom ersten April dieses Jahres an" noch so oft vorschnarren. Selbst eine verhältinsmäßig so un¬ wichtige Weltaufgabe, wie das Dichten, löst die Frau am besten, wenn sie Frau bleibt. Das wird der Kenner der Menschen und der Dichtung ans der Vergleichung unsrer Proben wohl leicht herausfinden. Daß die guten unter den hier zusammengestellten ausschließlich auf die ältere Generation weisen, stimmte freilich herab. Aber man sollte meinen, gerade bei jiiugern Frauen brauchte man nicht allzu besorgt zu sein, daß sie nicht schließlich doch wieder darauf verfallen, was auch in der Dichtung „schon steht." Freilich die Mode ist ein Thrann. Sie tragen Kutscherkrageu und dichten „modern" für die freie Bühne. Das fällt unter denselben Gesichtspunkt. Manche giebts doch, die nicht mitmachen, auch nicht undichten, lveder „modern" noch un¬ modern, weder schlecht noch gut. O, es giebt auch noch solche! Aber das ist alles nicht so wichtig, wie eben der Umstand, daß sie dichten, daß sie in unserm Jahrhundert gar so viel dichten! Wie ernst die Frauen die Liebe nehmen! würde unser Politiker auch nach Besichtigung unsrer kleinen Galerie dichtender Frauen ausrufen. Vorausgesetzt, daß ihn die wichtige Frage, ob ihn Herr Fasclmeier oder Herr Quatschhuber sichrer in den Hafen der irdischen Glückseligkeit bugsire, Zeit für solchem Schnickschnack läßt. Nicht gleich von Schnickschnack reden, lieber Freund! Diese Frauen da nehmen etwas ernst, was historisch-philosophisch-juristisch-national- ökonomisch die allerwichtigste und ernsteste Sache ist, viel wichtiger und ernster als alle Theorien und Praktiken aller Herren Faselmeier und Quatschhuber zusammengenommen vom Anfang der Weltgeschichte bis auf unsre Herren Parlamentarier. Diese Frauen klammern sich an etwas und halten es krampf¬ haft fest, wovon die Welt nicht bloß gespeist, getränkt, gekleidet und — unter¬ halten wird, sondern was sogar verhindert, daß sie nicht jeden Augenblick in die Luft fliegt: ein Urfluidum, eine Zentralkraft, nenne es so modern, wie du willst, eine Wärmequelle, von der nicht zu befürchten ist, daß sie sich jemals aufbraucht, ein Grundkapital, das schwerlich durch übergroße Vermehrung oder Anhäufung in den Händen einzelner lustig zu fallen Gefahr läuft. Diese Frauen, lieber Freund, sind um Ende viel politischer als du. Nur weil heut¬ zutage die Männer so viel Unfug treibe», dichten so viel Frauen. Denn wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/527>, abgerufen am 23.07.2024.