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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Dichtende Frauen

Doch nicht immer wird es uns so leicht, zu sagen, was sie "begriff."
Was z.B. die "Zweiflerin" begriff, als

das wissen wir uicht zu sagen. Sie sieht, wie "ein sinnender Mann "mcn-
schengestaltig" zertritt im Weiterwandeln das winzige Sterncngewimmel, das
seine strahlenden Fersen Hindrängt."

El nun! Sie ist ja, wie wir schon wissen, in so engem Verkehr mit dem
"Unbegriffnen." Sie wirds schon begreifen. Wir begreifen manches nicht in
diesen Gedichten. Da ist z.B. eine Rechtfertigung, nein doch! eine Apotheose
des Kindesmords, die uns nicht bloß juristisch unhaltbar dünkt. Was fiel
dieser "Mhrrha" ein, deren "kühn gewölbte Brust in sorgenloser Majestät
hinatmet/' obgleich ihr eben gebornes Kind ,,aus Mutterliebe -- starb/' was
fiel diesem ionischen Mitgliede der Jbsengemeindc ein? Ihr Herr Gemahl
trinkt einmal über den Durst, sie wittert einen ihr unsympathischen "Duft,
der seinem Haar entströmt/' und deshalb gleich Kinder morden, dem "Gesetz
der Vererbung" gleich vorbeugen? Bitte, Gnädige, das ist doch stark! Trotz
des mildernden Jbsenparagraphen (allgemeine Ideenverwirrung und Gefühls¬
verrohung aus krankhafter Affektation), das ist stark! Hier hören wir lieber
auf, mit Ihnen zu empfinden. Sie scheinen uns ein wenig grausam zu sein.
Nach einem andern Gedichte ist "Weibesschönheit" nur da, damit sie genossen
und dann zerstört werde, und zwar gleich durchs Messer wie bei""

Es ist ein wahres Glück, daß Sie dem weiblichen Geschlechte anzu¬
gehören scheinen. Bei einem Manne würde solch ein Gedicht in unsrer Zeit
die schlimmsten Verdachtsgründe aufregen. Sie schildern auch die Vater¬
landsliebe. Die kann nach Ihnen durch nichts ausgelöscht werden. "Da
giebts nichts!" (S. 120). Sehr schön! Aber müssen Sie sich denn gerade
diesen "Aurel" zum Exempel wählen, dem Sie erst die Augen ausstechen,


Dichtende Frauen

Doch nicht immer wird es uns so leicht, zu sagen, was sie „begriff."
Was z.B. die „Zweiflerin" begriff, als

das wissen wir uicht zu sagen. Sie sieht, wie „ein sinnender Mann »mcn-
schengestaltig« zertritt im Weiterwandeln das winzige Sterncngewimmel, das
seine strahlenden Fersen Hindrängt."

El nun! Sie ist ja, wie wir schon wissen, in so engem Verkehr mit dem
„Unbegriffnen." Sie wirds schon begreifen. Wir begreifen manches nicht in
diesen Gedichten. Da ist z.B. eine Rechtfertigung, nein doch! eine Apotheose
des Kindesmords, die uns nicht bloß juristisch unhaltbar dünkt. Was fiel
dieser „Mhrrha" ein, deren „kühn gewölbte Brust in sorgenloser Majestät
hinatmet/' obgleich ihr eben gebornes Kind ,,aus Mutterliebe — starb/' was
fiel diesem ionischen Mitgliede der Jbsengemeindc ein? Ihr Herr Gemahl
trinkt einmal über den Durst, sie wittert einen ihr unsympathischen „Duft,
der seinem Haar entströmt/' und deshalb gleich Kinder morden, dem „Gesetz
der Vererbung" gleich vorbeugen? Bitte, Gnädige, das ist doch stark! Trotz
des mildernden Jbsenparagraphen (allgemeine Ideenverwirrung und Gefühls¬
verrohung aus krankhafter Affektation), das ist stark! Hier hören wir lieber
auf, mit Ihnen zu empfinden. Sie scheinen uns ein wenig grausam zu sein.
Nach einem andern Gedichte ist „Weibesschönheit" nur da, damit sie genossen
und dann zerstört werde, und zwar gleich durchs Messer wie bei""

Es ist ein wahres Glück, daß Sie dem weiblichen Geschlechte anzu¬
gehören scheinen. Bei einem Manne würde solch ein Gedicht in unsrer Zeit
die schlimmsten Verdachtsgründe aufregen. Sie schildern auch die Vater¬
landsliebe. Die kann nach Ihnen durch nichts ausgelöscht werden. „Da
giebts nichts!" (S. 120). Sehr schön! Aber müssen Sie sich denn gerade
diesen „Aurel" zum Exempel wählen, dem Sie erst die Augen ausstechen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/520>, abgerufen am 23.07.2024.