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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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auf das Gespräch ein, das lebhaft und interessant wird. Wir sprechen zunächst
über Schlesien (wo er her ist) und dortige Zustände; er fragt nach den Wahlen,
die von großer Bedeutung seien, nach dem jetzt herrschenden Ton und dem
Verhalten des Adels. Die sittliche Verkommenheit mancher der reichen und
vornehmen, der fürstlichen und qrmsi fürstlichen Hänser ist ihm zur Genüge
bekannt. Er meint aber, zu Zeiten, deren selbst er sich noch erinnere, sei in
Breslau noch eine gewisse Nachwirkung der schlesischen Schule und ihrer Blüte
fühlbar gewesen, der Zeit, wo Schlesien der Hauptsitz der deutscheu Litteratur
war. Davon ist nichts mehr übrig. Der Adel ist vielmehr, um seine Stnndes-
interessen besorgt, die er vor allen Dingen retten möchte, jeder geistigen Reg¬
samkeit und somit aller wahren Bildung eigentlich abhold und hält sich fern
von jeder Berührung z. B. mit der Universität.

Das Gespräch kommt von hier aus bald auf das, was in unsern Tagen
jedem erlisten Mann vor allem am Herzen liegen muß: auf Politik, und da
kann sich G. Freytag sehr frei aussprechen, da sein Herzog als guter deutscher
Patriot nach der Einheit Deutschlands strebt und bereit ist, seine eigne Stel¬
lung dafür aufzuopfern. "Hier können Sie das alle Tage hören! - - sagt
G. Freytag --, alle Anordnungen werden eingestandnerweise als provisorische
getroffen, und es wird dabei immer Rücksicht darauf genommen, wie es dann
bei einer gänzlich veränderten allgemeinen Lage weiter werden soll. Es wird
dabei immer gesagt: So lange wir noch unabhängig sind, machen wir es so
und so; später muß es dann so und so anders werden."

Davon ausgehend, daß die Einheit Deutschlands durch Preußen herbei¬
geführt werden muß, daß Preußen die Bestimmung hat, die kleinen deutschen
Staaten dereinst "aufzufangen," tadelt G. Freytag vielfach die Politik, die
Preußen seit Jahren befolgt. Sagt manches treffende über den Prinzen von
Preußen.

Besonders aber meint er, es sei so leicht, die Einwohner der kleinen
Staaten an sich heranzuziehen -- für Preußen nämlich --, indem man ihnen
Hilfe und Beistand leiste überall, wo die Kräfte des eignen kleinen Staats
nicht ausreichten, und sie so mehr und mehr daran zu gewöhnen, daß sie in
Preußen den eigentlichen Mittelpunkt ihres politischen (staatlichen) Lebens sähen
und von dorther die Leitung in allen größern Angelegenheiten erwarteten.
Leider geschehe aber vielfach gerade das Gegenteil. Die Bevölkerung der kleinen
Staaten werde oft unsanft zurückgestoßen, wo sie ans Preußen baue, und ver¬
spottet ob der Kleinstaaterei. Man spreche es Vonseiten unsrer Regierung
sogar mitunter ausdrücklich aus, daß Preußen an den kleinen Staaten nichts
gelegen sein könne (oaran ist leider sehr viel wahres).

Es wäre sehr zu wünschen, daß die Truppenkontingente an den großen
Übungen der preußischen Armee teilnahmen; einesteils würden die kleinen
Truppenkontingente dadurch kriegstüchtiger, andrerseits würde Preußens Ein-


auf das Gespräch ein, das lebhaft und interessant wird. Wir sprechen zunächst
über Schlesien (wo er her ist) und dortige Zustände; er fragt nach den Wahlen,
die von großer Bedeutung seien, nach dem jetzt herrschenden Ton und dem
Verhalten des Adels. Die sittliche Verkommenheit mancher der reichen und
vornehmen, der fürstlichen und qrmsi fürstlichen Hänser ist ihm zur Genüge
bekannt. Er meint aber, zu Zeiten, deren selbst er sich noch erinnere, sei in
Breslau noch eine gewisse Nachwirkung der schlesischen Schule und ihrer Blüte
fühlbar gewesen, der Zeit, wo Schlesien der Hauptsitz der deutscheu Litteratur
war. Davon ist nichts mehr übrig. Der Adel ist vielmehr, um seine Stnndes-
interessen besorgt, die er vor allen Dingen retten möchte, jeder geistigen Reg¬
samkeit und somit aller wahren Bildung eigentlich abhold und hält sich fern
von jeder Berührung z. B. mit der Universität.

Das Gespräch kommt von hier aus bald auf das, was in unsern Tagen
jedem erlisten Mann vor allem am Herzen liegen muß: auf Politik, und da
kann sich G. Freytag sehr frei aussprechen, da sein Herzog als guter deutscher
Patriot nach der Einheit Deutschlands strebt und bereit ist, seine eigne Stel¬
lung dafür aufzuopfern. „Hier können Sie das alle Tage hören! - - sagt
G. Freytag —, alle Anordnungen werden eingestandnerweise als provisorische
getroffen, und es wird dabei immer Rücksicht darauf genommen, wie es dann
bei einer gänzlich veränderten allgemeinen Lage weiter werden soll. Es wird
dabei immer gesagt: So lange wir noch unabhängig sind, machen wir es so
und so; später muß es dann so und so anders werden."

Davon ausgehend, daß die Einheit Deutschlands durch Preußen herbei¬
geführt werden muß, daß Preußen die Bestimmung hat, die kleinen deutschen
Staaten dereinst „aufzufangen," tadelt G. Freytag vielfach die Politik, die
Preußen seit Jahren befolgt. Sagt manches treffende über den Prinzen von
Preußen.

Besonders aber meint er, es sei so leicht, die Einwohner der kleinen
Staaten an sich heranzuziehen — für Preußen nämlich —, indem man ihnen
Hilfe und Beistand leiste überall, wo die Kräfte des eignen kleinen Staats
nicht ausreichten, und sie so mehr und mehr daran zu gewöhnen, daß sie in
Preußen den eigentlichen Mittelpunkt ihres politischen (staatlichen) Lebens sähen
und von dorther die Leitung in allen größern Angelegenheiten erwarteten.
Leider geschehe aber vielfach gerade das Gegenteil. Die Bevölkerung der kleinen
Staaten werde oft unsanft zurückgestoßen, wo sie ans Preußen baue, und ver¬
spottet ob der Kleinstaaterei. Man spreche es Vonseiten unsrer Regierung
sogar mitunter ausdrücklich aus, daß Preußen an den kleinen Staaten nichts
gelegen sein könne (oaran ist leider sehr viel wahres).

Es wäre sehr zu wünschen, daß die Truppenkontingente an den großen
Übungen der preußischen Armee teilnahmen; einesteils würden die kleinen
Truppenkontingente dadurch kriegstüchtiger, andrerseits würde Preußens Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/505>, abgerufen am 23.07.2024.