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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Philologenversammlung in lvien

sprach in der Eröffnungsversammlung und beim Festmahle lateinisch, und der¬
selben Sprache bediente sich in der Schlußsitzung der Vertreter von Agram.
Und wie lebendig dies Bewußtsein der versöhnenden und einigenden Macht der
Wissenschaft und zwar gerade der philologisch-historischen Wissenschaft war, das
trat klar zu Tage. Als der treffliche erste Präsident der Versammlung, Pro¬
fessor Dr. W. von Härtel, der immer, sei es im Ernst, sei es im Scherz, das
rechte Wort zu finden wußte, beim Festmahle in dem Trinksprüche ans die
Kaiser von Osterreich und Deutschland diese Thatsache scharf betonte, da unter¬
brach ihn minutenlanger Beifall, und die Deutschen klatschten nicht minder
lebhaft als die Polen und Ungarn, die mitten zwischen ihnen saßen. Auch
sonst war der persönliche Verkehr der verschiednen Nationalitäten durchaus
freundschaftlich, und er wurde unterstützt durch das gute Deutsch, das die
meisten der nichtdeutschen Mitglieder sprachen. Dazwischen klangen allerdings
beständig auch polnische, tschechische, serbische, bulgarische und ungarische Laute,
und mit dem deutsche" "Hoch!" und dem internationalen "Bravo!" mischte
sich vernehmlich daS magyarische ,,Elfen!" Das Gepräge der Versammlung
noch charakteristischer zu gestalten, dazu trug auch die Anwesenheit zahlreicher
Geistlichen das ihre bei. Die großen Stifter Niederösterreichs, die teilweise
höhere Lehranstalten unterhalten und leiten, hatten ihre Vertreter eben so
gesendet wie die höhere weltliche Geistlichkeit, und neben dem schwarzen
Ordensgewande der Benediktiner und der regulirten Chorherren war das Weiß
der Cistereienser erschienen.

Aber noch etwas andres trat erhebend hervor. Die Deutschen aus dem
Reiche fühlten sich in Wien nicht' als Ausländer, sondern wie zu Hause. Nicht
nur die anheimelnde, gewinnende Art der Wiener Bevölkerung brachte diesen
Eindruck hervor, sondern auch die Empfindung, daß der Gedanke des unauf¬
löslichen Bündnisses zwischen Deutschland und Osterreich den Gebildeten beider
Reiche, vielleicht die enragirten Tschechen ausgenommen, in Fleisch und Blut
übergegangen sei. Nichts wurde wärmer in jenem Trinksprüche Hartels auf¬
genommen, als die Bemerkung von der Unerschütterlichkeit dieses Bündnisses,
und als die Töne der österreichischen Hhmne ,,Gott erhalte Franz den Kaiser!"
verklungen waren, und die Militärkapelle das "Heil dir im Siegerkranz!"
anstimmte, da wurden die stolzen Klänge von dem jubelnden Beifalle der Öster-
reicher beinahe übertönt, und manchem traten dabei die Thränen in die Augen.

Ähnliches wird sich bei ähnlichen Vereinigungen immer wiederholen; aber
in einem Punkte hat Wien alles bisher gebotne weit hinter sich gelassen und
wird darin kaum jemals wieder zu erreichen sein, das ist der großartige, vor¬
nehme Zug, der durch alles hindurchging. Welch eine herrliche Stadt ist
doch dies Wien in den letzten zwanzig Jahren geworden! Um den uraltem,
lebenerfüllten Kern, der sich mit engen Straßen, hohen Häusern uno zahl¬
losen Kirchen um die ehrwürdige, ragende Pyramide des Stephansdomes


Die deutsche Philologenversammlung in lvien

sprach in der Eröffnungsversammlung und beim Festmahle lateinisch, und der¬
selben Sprache bediente sich in der Schlußsitzung der Vertreter von Agram.
Und wie lebendig dies Bewußtsein der versöhnenden und einigenden Macht der
Wissenschaft und zwar gerade der philologisch-historischen Wissenschaft war, das
trat klar zu Tage. Als der treffliche erste Präsident der Versammlung, Pro¬
fessor Dr. W. von Härtel, der immer, sei es im Ernst, sei es im Scherz, das
rechte Wort zu finden wußte, beim Festmahle in dem Trinksprüche ans die
Kaiser von Osterreich und Deutschland diese Thatsache scharf betonte, da unter¬
brach ihn minutenlanger Beifall, und die Deutschen klatschten nicht minder
lebhaft als die Polen und Ungarn, die mitten zwischen ihnen saßen. Auch
sonst war der persönliche Verkehr der verschiednen Nationalitäten durchaus
freundschaftlich, und er wurde unterstützt durch das gute Deutsch, das die
meisten der nichtdeutschen Mitglieder sprachen. Dazwischen klangen allerdings
beständig auch polnische, tschechische, serbische, bulgarische und ungarische Laute,
und mit dem deutsche» „Hoch!" und dem internationalen „Bravo!" mischte
sich vernehmlich daS magyarische ,,Elfen!" Das Gepräge der Versammlung
noch charakteristischer zu gestalten, dazu trug auch die Anwesenheit zahlreicher
Geistlichen das ihre bei. Die großen Stifter Niederösterreichs, die teilweise
höhere Lehranstalten unterhalten und leiten, hatten ihre Vertreter eben so
gesendet wie die höhere weltliche Geistlichkeit, und neben dem schwarzen
Ordensgewande der Benediktiner und der regulirten Chorherren war das Weiß
der Cistereienser erschienen.

Aber noch etwas andres trat erhebend hervor. Die Deutschen aus dem
Reiche fühlten sich in Wien nicht' als Ausländer, sondern wie zu Hause. Nicht
nur die anheimelnde, gewinnende Art der Wiener Bevölkerung brachte diesen
Eindruck hervor, sondern auch die Empfindung, daß der Gedanke des unauf¬
löslichen Bündnisses zwischen Deutschland und Osterreich den Gebildeten beider
Reiche, vielleicht die enragirten Tschechen ausgenommen, in Fleisch und Blut
übergegangen sei. Nichts wurde wärmer in jenem Trinksprüche Hartels auf¬
genommen, als die Bemerkung von der Unerschütterlichkeit dieses Bündnisses,
und als die Töne der österreichischen Hhmne ,,Gott erhalte Franz den Kaiser!"
verklungen waren, und die Militärkapelle das „Heil dir im Siegerkranz!"
anstimmte, da wurden die stolzen Klänge von dem jubelnden Beifalle der Öster-
reicher beinahe übertönt, und manchem traten dabei die Thränen in die Augen.

Ähnliches wird sich bei ähnlichen Vereinigungen immer wiederholen; aber
in einem Punkte hat Wien alles bisher gebotne weit hinter sich gelassen und
wird darin kaum jemals wieder zu erreichen sein, das ist der großartige, vor¬
nehme Zug, der durch alles hindurchging. Welch eine herrliche Stadt ist
doch dies Wien in den letzten zwanzig Jahren geworden! Um den uraltem,
lebenerfüllten Kern, der sich mit engen Straßen, hohen Häusern uno zahl¬
losen Kirchen um die ehrwürdige, ragende Pyramide des Stephansdomes


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[0499] Die deutsche Philologenversammlung in lvien sprach in der Eröffnungsversammlung und beim Festmahle lateinisch, und der¬ selben Sprache bediente sich in der Schlußsitzung der Vertreter von Agram. Und wie lebendig dies Bewußtsein der versöhnenden und einigenden Macht der Wissenschaft und zwar gerade der philologisch-historischen Wissenschaft war, das trat klar zu Tage. Als der treffliche erste Präsident der Versammlung, Pro¬ fessor Dr. W. von Härtel, der immer, sei es im Ernst, sei es im Scherz, das rechte Wort zu finden wußte, beim Festmahle in dem Trinksprüche ans die Kaiser von Osterreich und Deutschland diese Thatsache scharf betonte, da unter¬ brach ihn minutenlanger Beifall, und die Deutschen klatschten nicht minder lebhaft als die Polen und Ungarn, die mitten zwischen ihnen saßen. Auch sonst war der persönliche Verkehr der verschiednen Nationalitäten durchaus freundschaftlich, und er wurde unterstützt durch das gute Deutsch, das die meisten der nichtdeutschen Mitglieder sprachen. Dazwischen klangen allerdings beständig auch polnische, tschechische, serbische, bulgarische und ungarische Laute, und mit dem deutsche» „Hoch!" und dem internationalen „Bravo!" mischte sich vernehmlich daS magyarische ,,Elfen!" Das Gepräge der Versammlung noch charakteristischer zu gestalten, dazu trug auch die Anwesenheit zahlreicher Geistlichen das ihre bei. Die großen Stifter Niederösterreichs, die teilweise höhere Lehranstalten unterhalten und leiten, hatten ihre Vertreter eben so gesendet wie die höhere weltliche Geistlichkeit, und neben dem schwarzen Ordensgewande der Benediktiner und der regulirten Chorherren war das Weiß der Cistereienser erschienen. Aber noch etwas andres trat erhebend hervor. Die Deutschen aus dem Reiche fühlten sich in Wien nicht' als Ausländer, sondern wie zu Hause. Nicht nur die anheimelnde, gewinnende Art der Wiener Bevölkerung brachte diesen Eindruck hervor, sondern auch die Empfindung, daß der Gedanke des unauf¬ löslichen Bündnisses zwischen Deutschland und Osterreich den Gebildeten beider Reiche, vielleicht die enragirten Tschechen ausgenommen, in Fleisch und Blut übergegangen sei. Nichts wurde wärmer in jenem Trinksprüche Hartels auf¬ genommen, als die Bemerkung von der Unerschütterlichkeit dieses Bündnisses, und als die Töne der österreichischen Hhmne ,,Gott erhalte Franz den Kaiser!" verklungen waren, und die Militärkapelle das „Heil dir im Siegerkranz!" anstimmte, da wurden die stolzen Klänge von dem jubelnden Beifalle der Öster- reicher beinahe übertönt, und manchem traten dabei die Thränen in die Augen. Ähnliches wird sich bei ähnlichen Vereinigungen immer wiederholen; aber in einem Punkte hat Wien alles bisher gebotne weit hinter sich gelassen und wird darin kaum jemals wieder zu erreichen sein, das ist der großartige, vor¬ nehme Zug, der durch alles hindurchging. Welch eine herrliche Stadt ist doch dies Wien in den letzten zwanzig Jahren geworden! Um den uraltem, lebenerfüllten Kern, der sich mit engen Straßen, hohen Häusern uno zahl¬ losen Kirchen um die ehrwürdige, ragende Pyramide des Stephansdomes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/499>, abgerufen am 23.07.2024.