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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Neue Novellen

sophen immer lauter und lauter um das notwendige Wirtschaftsgeld mahnen
muß, und die prächtige Geschichte "Immer jung," in der die gefeierte Sou¬
brette eines kleinen Hoftheaters dazu verurteilt ist, immer schlank zu bleiben,
muntere Liebhaberinnenrollen zu spielen, während sie schon eine verheiratete
Tochter hat und sich endlich den ersehnten Übertritt ins Fach der heitern
Mütter nur dadurch verschaffen kann, daß sie die Geburt ihres ersten Enkels
im Wochenblatt anzeigt und dabei den Trumpf ausspielt, sich als Großmama
und erste Liebhaberin am herzoglichen Hoftheater zugleich zu unterzeichnen. Unter
den ernsten Novellen sind die Familiengeschichte "Sehr glücklich," eigentlich ein
ganzer Roman, der auf eine Novelle verkürzt ist, und "Eine Wcihnachts-
geschichte" hervorzuheben, überall aber eine gewisse Sauberkeit der Darstellung,
die bei den beliebten Feuilletonschriftstellern eben auch seltner wird.

Der "Spezialität" der Soldatengeschichten, die neben einigen andern novel¬
listischen "Spezialitäten" in den letzten Jahrzehnten allzucifrig gepflegt worden
ist, gehört das Buch Rittmeister Jsegrimm und andre Erzählungen aus
dem Soldatenleben von Gustav Harrven (Wien, Verlagsanstalt Reichs¬
wehr, 1892) an. Im Grunde sehen sich alle diese Soldatengeschichten so ähn¬
lich wie die Uniformen eines und desselben Regiments. Die Besonderheit der
Harrvenschen liegt in der Hervorkehrung der Verhältnisse der kaiserlich öster¬
reichischen Armee, die in ihrer bunten Mischung von Nationalitäten, ihren
weit auseinanderliegenden und grundverschiednen Garnisonen, in gewissen Eigen¬
tümlichkeiten ihres Offizierkorps allerdings Besonderheiten genng hat. Im
Interesse eines größern Wertes und einer einheitlichem Wirkung des Buches
muß man bedauern, daß "Ein akademischer Besuch" nach Frankreich, die tra¬
gische Geschichte "Auf Arbeitsurlaub" gar uach Rußland hinüberspringt. Aber
auch die österreichischen Soldatenerzählungeu zeigen sich an Wert sehr ungleich.
Während z. B. "Rittmeister Jsegrimm," "Der ewige Strohwitwer" und "Eine
reiche Partie" die guten und tüchtigen Eigenschaften und Lebensaugenblicke
soldatischer Helden hervorkehren, müssen Novellen wie "Damenbesuch," "Der
Kasernrattler" u. a. zur flachsten und unerquicklichsten Unterhaltungslitteratur
gerechnet werden. Es ist einmal herkömmlich, daß der unternehmende Leut¬
nant in jedes saubre Stubenmädel und jede vollbusige Köchin verliebt dar¬
gestellt wird, aber schon der Abwechslung halber sollte nicht immer nur der
siegreiche Ausgang solcher Unternehmungslust gezeigt, sondern gelegentlich auch
ein mit ein paar kräftigen Ohrfeigen abgeschlagner Sturm, der doch auch der
Wirklichkeit entspräche, zum Gegenstande sittenbildlicher Schilderung gemacht
werden.

Mit einer ganzen Reihe andrer uns vorliegender Novellenbände würden
wir mehr und mehr in das Gebiet der schlimm gestreckten und noch schlimmer
verkürzten "aktuellen" Erzählung hineingeraten. Daß auf diesem Gebiete die
dürftigste Aussaat an Talent und Lebensernst unheimlich üppig ins Kraut


Neue Novellen

sophen immer lauter und lauter um das notwendige Wirtschaftsgeld mahnen
muß, und die prächtige Geschichte „Immer jung," in der die gefeierte Sou¬
brette eines kleinen Hoftheaters dazu verurteilt ist, immer schlank zu bleiben,
muntere Liebhaberinnenrollen zu spielen, während sie schon eine verheiratete
Tochter hat und sich endlich den ersehnten Übertritt ins Fach der heitern
Mütter nur dadurch verschaffen kann, daß sie die Geburt ihres ersten Enkels
im Wochenblatt anzeigt und dabei den Trumpf ausspielt, sich als Großmama
und erste Liebhaberin am herzoglichen Hoftheater zugleich zu unterzeichnen. Unter
den ernsten Novellen sind die Familiengeschichte „Sehr glücklich," eigentlich ein
ganzer Roman, der auf eine Novelle verkürzt ist, und „Eine Wcihnachts-
geschichte" hervorzuheben, überall aber eine gewisse Sauberkeit der Darstellung,
die bei den beliebten Feuilletonschriftstellern eben auch seltner wird.

Der „Spezialität" der Soldatengeschichten, die neben einigen andern novel¬
listischen „Spezialitäten" in den letzten Jahrzehnten allzucifrig gepflegt worden
ist, gehört das Buch Rittmeister Jsegrimm und andre Erzählungen aus
dem Soldatenleben von Gustav Harrven (Wien, Verlagsanstalt Reichs¬
wehr, 1892) an. Im Grunde sehen sich alle diese Soldatengeschichten so ähn¬
lich wie die Uniformen eines und desselben Regiments. Die Besonderheit der
Harrvenschen liegt in der Hervorkehrung der Verhältnisse der kaiserlich öster¬
reichischen Armee, die in ihrer bunten Mischung von Nationalitäten, ihren
weit auseinanderliegenden und grundverschiednen Garnisonen, in gewissen Eigen¬
tümlichkeiten ihres Offizierkorps allerdings Besonderheiten genng hat. Im
Interesse eines größern Wertes und einer einheitlichem Wirkung des Buches
muß man bedauern, daß „Ein akademischer Besuch" nach Frankreich, die tra¬
gische Geschichte „Auf Arbeitsurlaub" gar uach Rußland hinüberspringt. Aber
auch die österreichischen Soldatenerzählungeu zeigen sich an Wert sehr ungleich.
Während z. B. „Rittmeister Jsegrimm," „Der ewige Strohwitwer" und „Eine
reiche Partie" die guten und tüchtigen Eigenschaften und Lebensaugenblicke
soldatischer Helden hervorkehren, müssen Novellen wie „Damenbesuch," „Der
Kasernrattler" u. a. zur flachsten und unerquicklichsten Unterhaltungslitteratur
gerechnet werden. Es ist einmal herkömmlich, daß der unternehmende Leut¬
nant in jedes saubre Stubenmädel und jede vollbusige Köchin verliebt dar¬
gestellt wird, aber schon der Abwechslung halber sollte nicht immer nur der
siegreiche Ausgang solcher Unternehmungslust gezeigt, sondern gelegentlich auch
ein mit ein paar kräftigen Ohrfeigen abgeschlagner Sturm, der doch auch der
Wirklichkeit entspräche, zum Gegenstande sittenbildlicher Schilderung gemacht
werden.

Mit einer ganzen Reihe andrer uns vorliegender Novellenbände würden
wir mehr und mehr in das Gebiet der schlimm gestreckten und noch schlimmer
verkürzten „aktuellen" Erzählung hineingeraten. Daß auf diesem Gebiete die
dürftigste Aussaat an Talent und Lebensernst unheimlich üppig ins Kraut


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[0481] Neue Novellen sophen immer lauter und lauter um das notwendige Wirtschaftsgeld mahnen muß, und die prächtige Geschichte „Immer jung," in der die gefeierte Sou¬ brette eines kleinen Hoftheaters dazu verurteilt ist, immer schlank zu bleiben, muntere Liebhaberinnenrollen zu spielen, während sie schon eine verheiratete Tochter hat und sich endlich den ersehnten Übertritt ins Fach der heitern Mütter nur dadurch verschaffen kann, daß sie die Geburt ihres ersten Enkels im Wochenblatt anzeigt und dabei den Trumpf ausspielt, sich als Großmama und erste Liebhaberin am herzoglichen Hoftheater zugleich zu unterzeichnen. Unter den ernsten Novellen sind die Familiengeschichte „Sehr glücklich," eigentlich ein ganzer Roman, der auf eine Novelle verkürzt ist, und „Eine Wcihnachts- geschichte" hervorzuheben, überall aber eine gewisse Sauberkeit der Darstellung, die bei den beliebten Feuilletonschriftstellern eben auch seltner wird. Der „Spezialität" der Soldatengeschichten, die neben einigen andern novel¬ listischen „Spezialitäten" in den letzten Jahrzehnten allzucifrig gepflegt worden ist, gehört das Buch Rittmeister Jsegrimm und andre Erzählungen aus dem Soldatenleben von Gustav Harrven (Wien, Verlagsanstalt Reichs¬ wehr, 1892) an. Im Grunde sehen sich alle diese Soldatengeschichten so ähn¬ lich wie die Uniformen eines und desselben Regiments. Die Besonderheit der Harrvenschen liegt in der Hervorkehrung der Verhältnisse der kaiserlich öster¬ reichischen Armee, die in ihrer bunten Mischung von Nationalitäten, ihren weit auseinanderliegenden und grundverschiednen Garnisonen, in gewissen Eigen¬ tümlichkeiten ihres Offizierkorps allerdings Besonderheiten genng hat. Im Interesse eines größern Wertes und einer einheitlichem Wirkung des Buches muß man bedauern, daß „Ein akademischer Besuch" nach Frankreich, die tra¬ gische Geschichte „Auf Arbeitsurlaub" gar uach Rußland hinüberspringt. Aber auch die österreichischen Soldatenerzählungeu zeigen sich an Wert sehr ungleich. Während z. B. „Rittmeister Jsegrimm," „Der ewige Strohwitwer" und „Eine reiche Partie" die guten und tüchtigen Eigenschaften und Lebensaugenblicke soldatischer Helden hervorkehren, müssen Novellen wie „Damenbesuch," „Der Kasernrattler" u. a. zur flachsten und unerquicklichsten Unterhaltungslitteratur gerechnet werden. Es ist einmal herkömmlich, daß der unternehmende Leut¬ nant in jedes saubre Stubenmädel und jede vollbusige Köchin verliebt dar¬ gestellt wird, aber schon der Abwechslung halber sollte nicht immer nur der siegreiche Ausgang solcher Unternehmungslust gezeigt, sondern gelegentlich auch ein mit ein paar kräftigen Ohrfeigen abgeschlagner Sturm, der doch auch der Wirklichkeit entspräche, zum Gegenstande sittenbildlicher Schilderung gemacht werden. Mit einer ganzen Reihe andrer uns vorliegender Novellenbände würden wir mehr und mehr in das Gebiet der schlimm gestreckten und noch schlimmer verkürzten „aktuellen" Erzählung hineingeraten. Daß auf diesem Gebiete die dürftigste Aussaat an Talent und Lebensernst unheimlich üppig ins Kraut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/481>, abgerufen am 23.07.2024.