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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Neue Novellen

in diesen Prologen liegt der Unterschied, um nicht zu sagen der Gegensatz an¬
gedeutet, der zwischen den beiden Novellisten besteht, bei Villamaria hat die
Resignation einen Anflug und Nachgeschmack von Bitterkeit, bei Wolfs tönt
sie lyrischer aus. Unter den sieben Novellen Villamarins, die sämtlich durch
Feinheit und Sauberkeit der Darstellung ausgezeichnet sind, findet sich eine
jene Tiergeschichten "Der Roman eines Storches," die unsern vom Weltleid
vollgesognen Dichtern so vortrefflich zu dem Gleichnis für den unbarmherzigen
Kampf ums Dasein und zum Erweis des Satzes dienen, daß Macht vor Recht
geht, und eine historische Novelle oder besser ein Stimmungsbild mit histo¬
rischem altnordischen Hintergrund "Schön Gerda." Die andern fünf, "Er¬
innerungen," "Das Bild der Ersten," "Die Gäste des Prälaten," "Zwei
Schwestern," "Vor Onkels Geheimschrank," spielen in der Gegenwart. Wir
möchten den Novellen "Das Bild der Ersten" und "Die Gäste des Prälaten"
den Vorzug vor den andern geben, andre werden anders empfinden, um so
mehr, als die gerühmten Vorzüge keiner der Novellen ganz fehlen, die allge¬
meine Empfindung die gleiche bleibt. Wolffs einzelne "Welle Blätter" nennen
sich: "Eichenblatt," "Akazienblatt," "Blatt der wilden Rose," "Hollnnder-
blatt," "Lindenblatt," und die Schicksale, die sie darstellen, sind im ganzen
weniger leidvoll und herb, als die in den Novellen Villainarias. Den Grundton
giebt hier die uralte Betrachtung, daß das Leben freilich kurz ist, daß wir
alle sterben müssen, daß aber doch noch unendlich viel darauf ankommt, wie
einer seine Spanne Zeit ausgefüllt hat. Erfindung und Ausführung gehen
über das Maß des im guten Sinne Üblichen nicht hinaus, die Einzelheiten
entbehren der scharfen plastischen Realität, die in "Überall dasselbe" vorwaltet,
aber ein Hauch von Poesie liegt über dem "Hvllunderblatt" und "Lindenblatt,"
über dem "Blatt der milden Rose" sogar ein Hauch frischen Humors.

Auch die Novellen Vom Tode von Georg Frei Herrn von Ompteda
(Georg Egcstorff) mit einer Originalvignette von Franz Stuck (Berlin, F. Fon¬
tane und Comp.) entstammen, wie schon ihr Titel verrät, keiner heitern Lebens¬
anschauung und Empfindung. Zwar die Einleitung, in der ein resignirt Ster¬
bender seine Gedanken vom Tode philosophisch gefaßt vorträgt, verheißt, daß
uns der Tod als der Genius mit der umgestürzten verlöschenden Fackel "als
ein schöner Knabe, ernst, aber mild und freundlich" erscheinen soll, aber die
weitern Erzählungen ersparen uns das untröstliche Schmerzgefühl und das
Grauen nicht, daß die philosophische Auffassung hinwegwischen will. An sich
verdient der Gedanke des Verfassers, in altitalienischer Weise ein bestimmtes
Thema, eine gewisse Seite des menschlichen Lebens in verschiednen Novellen
zu behandeln, entschiednes Lob, und es unterliegt keinem Zweifel, daß das
Thema "Vom Tode" ausgiebig genug wäre, mehr als acht Erzählungen ab¬
wechselnd innerlich reich und fesselnd zu gestalten. Aber mir wenige von den
Phantasiebildern Omptedas lenken in die lebendige Darstellung der furchtbaren


Neue Novellen

in diesen Prologen liegt der Unterschied, um nicht zu sagen der Gegensatz an¬
gedeutet, der zwischen den beiden Novellisten besteht, bei Villamaria hat die
Resignation einen Anflug und Nachgeschmack von Bitterkeit, bei Wolfs tönt
sie lyrischer aus. Unter den sieben Novellen Villamarins, die sämtlich durch
Feinheit und Sauberkeit der Darstellung ausgezeichnet sind, findet sich eine
jene Tiergeschichten „Der Roman eines Storches," die unsern vom Weltleid
vollgesognen Dichtern so vortrefflich zu dem Gleichnis für den unbarmherzigen
Kampf ums Dasein und zum Erweis des Satzes dienen, daß Macht vor Recht
geht, und eine historische Novelle oder besser ein Stimmungsbild mit histo¬
rischem altnordischen Hintergrund „Schön Gerda." Die andern fünf, „Er¬
innerungen," „Das Bild der Ersten," „Die Gäste des Prälaten," „Zwei
Schwestern," „Vor Onkels Geheimschrank," spielen in der Gegenwart. Wir
möchten den Novellen „Das Bild der Ersten" und „Die Gäste des Prälaten"
den Vorzug vor den andern geben, andre werden anders empfinden, um so
mehr, als die gerühmten Vorzüge keiner der Novellen ganz fehlen, die allge¬
meine Empfindung die gleiche bleibt. Wolffs einzelne „Welle Blätter" nennen
sich: „Eichenblatt," „Akazienblatt," „Blatt der wilden Rose," „Hollnnder-
blatt," „Lindenblatt," und die Schicksale, die sie darstellen, sind im ganzen
weniger leidvoll und herb, als die in den Novellen Villainarias. Den Grundton
giebt hier die uralte Betrachtung, daß das Leben freilich kurz ist, daß wir
alle sterben müssen, daß aber doch noch unendlich viel darauf ankommt, wie
einer seine Spanne Zeit ausgefüllt hat. Erfindung und Ausführung gehen
über das Maß des im guten Sinne Üblichen nicht hinaus, die Einzelheiten
entbehren der scharfen plastischen Realität, die in „Überall dasselbe" vorwaltet,
aber ein Hauch von Poesie liegt über dem „Hvllunderblatt" und „Lindenblatt,"
über dem „Blatt der milden Rose" sogar ein Hauch frischen Humors.

Auch die Novellen Vom Tode von Georg Frei Herrn von Ompteda
(Georg Egcstorff) mit einer Originalvignette von Franz Stuck (Berlin, F. Fon¬
tane und Comp.) entstammen, wie schon ihr Titel verrät, keiner heitern Lebens¬
anschauung und Empfindung. Zwar die Einleitung, in der ein resignirt Ster¬
bender seine Gedanken vom Tode philosophisch gefaßt vorträgt, verheißt, daß
uns der Tod als der Genius mit der umgestürzten verlöschenden Fackel „als
ein schöner Knabe, ernst, aber mild und freundlich" erscheinen soll, aber die
weitern Erzählungen ersparen uns das untröstliche Schmerzgefühl und das
Grauen nicht, daß die philosophische Auffassung hinwegwischen will. An sich
verdient der Gedanke des Verfassers, in altitalienischer Weise ein bestimmtes
Thema, eine gewisse Seite des menschlichen Lebens in verschiednen Novellen
zu behandeln, entschiednes Lob, und es unterliegt keinem Zweifel, daß das
Thema „Vom Tode" ausgiebig genug wäre, mehr als acht Erzählungen ab¬
wechselnd innerlich reich und fesselnd zu gestalten. Aber mir wenige von den
Phantasiebildern Omptedas lenken in die lebendige Darstellung der furchtbaren


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[0479] Neue Novellen in diesen Prologen liegt der Unterschied, um nicht zu sagen der Gegensatz an¬ gedeutet, der zwischen den beiden Novellisten besteht, bei Villamaria hat die Resignation einen Anflug und Nachgeschmack von Bitterkeit, bei Wolfs tönt sie lyrischer aus. Unter den sieben Novellen Villamarins, die sämtlich durch Feinheit und Sauberkeit der Darstellung ausgezeichnet sind, findet sich eine jene Tiergeschichten „Der Roman eines Storches," die unsern vom Weltleid vollgesognen Dichtern so vortrefflich zu dem Gleichnis für den unbarmherzigen Kampf ums Dasein und zum Erweis des Satzes dienen, daß Macht vor Recht geht, und eine historische Novelle oder besser ein Stimmungsbild mit histo¬ rischem altnordischen Hintergrund „Schön Gerda." Die andern fünf, „Er¬ innerungen," „Das Bild der Ersten," „Die Gäste des Prälaten," „Zwei Schwestern," „Vor Onkels Geheimschrank," spielen in der Gegenwart. Wir möchten den Novellen „Das Bild der Ersten" und „Die Gäste des Prälaten" den Vorzug vor den andern geben, andre werden anders empfinden, um so mehr, als die gerühmten Vorzüge keiner der Novellen ganz fehlen, die allge¬ meine Empfindung die gleiche bleibt. Wolffs einzelne „Welle Blätter" nennen sich: „Eichenblatt," „Akazienblatt," „Blatt der wilden Rose," „Hollnnder- blatt," „Lindenblatt," und die Schicksale, die sie darstellen, sind im ganzen weniger leidvoll und herb, als die in den Novellen Villainarias. Den Grundton giebt hier die uralte Betrachtung, daß das Leben freilich kurz ist, daß wir alle sterben müssen, daß aber doch noch unendlich viel darauf ankommt, wie einer seine Spanne Zeit ausgefüllt hat. Erfindung und Ausführung gehen über das Maß des im guten Sinne Üblichen nicht hinaus, die Einzelheiten entbehren der scharfen plastischen Realität, die in „Überall dasselbe" vorwaltet, aber ein Hauch von Poesie liegt über dem „Hvllunderblatt" und „Lindenblatt," über dem „Blatt der milden Rose" sogar ein Hauch frischen Humors. Auch die Novellen Vom Tode von Georg Frei Herrn von Ompteda (Georg Egcstorff) mit einer Originalvignette von Franz Stuck (Berlin, F. Fon¬ tane und Comp.) entstammen, wie schon ihr Titel verrät, keiner heitern Lebens¬ anschauung und Empfindung. Zwar die Einleitung, in der ein resignirt Ster¬ bender seine Gedanken vom Tode philosophisch gefaßt vorträgt, verheißt, daß uns der Tod als der Genius mit der umgestürzten verlöschenden Fackel „als ein schöner Knabe, ernst, aber mild und freundlich" erscheinen soll, aber die weitern Erzählungen ersparen uns das untröstliche Schmerzgefühl und das Grauen nicht, daß die philosophische Auffassung hinwegwischen will. An sich verdient der Gedanke des Verfassers, in altitalienischer Weise ein bestimmtes Thema, eine gewisse Seite des menschlichen Lebens in verschiednen Novellen zu behandeln, entschiednes Lob, und es unterliegt keinem Zweifel, daß das Thema „Vom Tode" ausgiebig genug wäre, mehr als acht Erzählungen ab¬ wechselnd innerlich reich und fesselnd zu gestalten. Aber mir wenige von den Phantasiebildern Omptedas lenken in die lebendige Darstellung der furchtbaren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/479>, abgerufen am 25.08.2024.