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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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reisende; auch Burckhardts Cicerone nicht, der ein SpezialWerk ist, nur zum
Genuß in den Museen verhelfen will und -- erschreckend wenig dazu beuutzt
wird. Man will eben gar nicht; tausende und abertausende kaufen zwar
den Büdeker, aber benutzen nur die praktischen Führerangaben darin; wer die
doch so vortrefflich klaren und knappen kunstgeschichtlichen Einleitungen von
Anton Springer gelesen hat, ist geradezu als ein weißer Rabe zu betrachten.
Die meisten haben es allerdings vorgehabt und es auf die Eisenbahnfahrt
oder auf ode Stunden im Gasthof verschoben; da sind sie aber schließlich doch
nicht dazu gekommen.

Freilich giebt es auch noch Leute, die das Herz voll Sehnsucht und mit
glühenden Wangen sich alles in der Stille aneignen, was als tüchtige Vor¬
bereitung auf eine bedeutendere Reise gelten kann. Solche findet man unter
Primanern, Studenten, Lehrern und Lehrerinnen, angehenden Pastoren, jungen
an den Kontorsessel gebannten Kaufleuten, überhaupt unter Leuten, die
dann aus Mangel an Geldüberfluß vielleicht gar uicht dazu kommen. Die
Hauptmasse der Reisenden sind aber doch die andern.

Ich bitte den Leser, den ich keineswegs bloß nach der Regel über die
"Anwesenden" ausnehme, sondern den ich darum, weil er Grenzbotenleser ist, auf
meiner Seite vermute, sich einmal an das Publikum zu erinnern, mit dem er
auf Reisen zusammengepfercht worden ist -- man kann es ja leider nur viel
zu wenig vermeiden, die Gespräche im Vahnwagen und auf dem Dampfschiff
mit anzuhören --, sich zu erinnern, was da für Reiseeindrücke ausgetauscht
werden! Du, Männchen, das war mal ein netter Kellner in Desenzanv --
Nee, wenn das ein Beefsteak sein sollte! -- Ja, Mailand, das is ne famose
Stadt! Schon der Bahnhof! -- Verona, nee, da waren wir nicht, das heißt
wir sind gleich durchgefahren -- Was die in Jnterlaken für Betten
hatten! Nee, wenn ich kein ordentliches Federbette kriegen kann -- Nee, in der
Schackothek waren wir nicht, wir hatten uns gleich vorgenommen, bloß in
die Kunstausstellung zu gehen -- Na. ich danke! Einmal sind wir in
ein italienisches Hotel gegangen. Einmal und nie wieder! --- In Basel
auf der Münsterterrasfe -- ach, wo der betrunkene Kerl auf der Bank ein¬
geschlafen war? -- Meyers, die sind schöne dumm gewesen mit ihrem
Italienisch lernen; wir sind überall mit Deutsch durchgekommen! --
Papa, guck doch mal aus! ruft die fünfzehnjährige Tochter. Dem Papa
fällt es gar nicht ein; er will sich und seiner Familie einen Aufenthalt in der
Schweiz leisten, was geht es ihn an, wenn es schon zwischen München und
Lindau schön ist? -- Station Hirschsprung! ruft der Schaffner auf der badischen
Höllenthalbcchn, da oben können die Herrschaften den Hirsch sehen! Der Zug
hält inmitten einer großartigen Gebirgsseenerie, senkrechte Felsen engen von
beiden Seiten den, Paß zu einer Klamm ein, durch die rauschend und Kühle
atmend der Wildbach strömt, mächtige, langbärtige Schwarzwaldtannen streben


reisende; auch Burckhardts Cicerone nicht, der ein SpezialWerk ist, nur zum
Genuß in den Museen verhelfen will und — erschreckend wenig dazu beuutzt
wird. Man will eben gar nicht; tausende und abertausende kaufen zwar
den Büdeker, aber benutzen nur die praktischen Führerangaben darin; wer die
doch so vortrefflich klaren und knappen kunstgeschichtlichen Einleitungen von
Anton Springer gelesen hat, ist geradezu als ein weißer Rabe zu betrachten.
Die meisten haben es allerdings vorgehabt und es auf die Eisenbahnfahrt
oder auf ode Stunden im Gasthof verschoben; da sind sie aber schließlich doch
nicht dazu gekommen.

Freilich giebt es auch noch Leute, die das Herz voll Sehnsucht und mit
glühenden Wangen sich alles in der Stille aneignen, was als tüchtige Vor¬
bereitung auf eine bedeutendere Reise gelten kann. Solche findet man unter
Primanern, Studenten, Lehrern und Lehrerinnen, angehenden Pastoren, jungen
an den Kontorsessel gebannten Kaufleuten, überhaupt unter Leuten, die
dann aus Mangel an Geldüberfluß vielleicht gar uicht dazu kommen. Die
Hauptmasse der Reisenden sind aber doch die andern.

Ich bitte den Leser, den ich keineswegs bloß nach der Regel über die
„Anwesenden" ausnehme, sondern den ich darum, weil er Grenzbotenleser ist, auf
meiner Seite vermute, sich einmal an das Publikum zu erinnern, mit dem er
auf Reisen zusammengepfercht worden ist — man kann es ja leider nur viel
zu wenig vermeiden, die Gespräche im Vahnwagen und auf dem Dampfschiff
mit anzuhören —, sich zu erinnern, was da für Reiseeindrücke ausgetauscht
werden! Du, Männchen, das war mal ein netter Kellner in Desenzanv —
Nee, wenn das ein Beefsteak sein sollte! — Ja, Mailand, das is ne famose
Stadt! Schon der Bahnhof! — Verona, nee, da waren wir nicht, das heißt
wir sind gleich durchgefahren — Was die in Jnterlaken für Betten
hatten! Nee, wenn ich kein ordentliches Federbette kriegen kann — Nee, in der
Schackothek waren wir nicht, wir hatten uns gleich vorgenommen, bloß in
die Kunstausstellung zu gehen — Na. ich danke! Einmal sind wir in
ein italienisches Hotel gegangen. Einmal und nie wieder! —- In Basel
auf der Münsterterrasfe — ach, wo der betrunkene Kerl auf der Bank ein¬
geschlafen war? — Meyers, die sind schöne dumm gewesen mit ihrem
Italienisch lernen; wir sind überall mit Deutsch durchgekommen! —
Papa, guck doch mal aus! ruft die fünfzehnjährige Tochter. Dem Papa
fällt es gar nicht ein; er will sich und seiner Familie einen Aufenthalt in der
Schweiz leisten, was geht es ihn an, wenn es schon zwischen München und
Lindau schön ist? — Station Hirschsprung! ruft der Schaffner auf der badischen
Höllenthalbcchn, da oben können die Herrschaften den Hirsch sehen! Der Zug
hält inmitten einer großartigen Gebirgsseenerie, senkrechte Felsen engen von
beiden Seiten den, Paß zu einer Klamm ein, durch die rauschend und Kühle
atmend der Wildbach strömt, mächtige, langbärtige Schwarzwaldtannen streben


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[0470] reisende; auch Burckhardts Cicerone nicht, der ein SpezialWerk ist, nur zum Genuß in den Museen verhelfen will und — erschreckend wenig dazu beuutzt wird. Man will eben gar nicht; tausende und abertausende kaufen zwar den Büdeker, aber benutzen nur die praktischen Führerangaben darin; wer die doch so vortrefflich klaren und knappen kunstgeschichtlichen Einleitungen von Anton Springer gelesen hat, ist geradezu als ein weißer Rabe zu betrachten. Die meisten haben es allerdings vorgehabt und es auf die Eisenbahnfahrt oder auf ode Stunden im Gasthof verschoben; da sind sie aber schließlich doch nicht dazu gekommen. Freilich giebt es auch noch Leute, die das Herz voll Sehnsucht und mit glühenden Wangen sich alles in der Stille aneignen, was als tüchtige Vor¬ bereitung auf eine bedeutendere Reise gelten kann. Solche findet man unter Primanern, Studenten, Lehrern und Lehrerinnen, angehenden Pastoren, jungen an den Kontorsessel gebannten Kaufleuten, überhaupt unter Leuten, die dann aus Mangel an Geldüberfluß vielleicht gar uicht dazu kommen. Die Hauptmasse der Reisenden sind aber doch die andern. Ich bitte den Leser, den ich keineswegs bloß nach der Regel über die „Anwesenden" ausnehme, sondern den ich darum, weil er Grenzbotenleser ist, auf meiner Seite vermute, sich einmal an das Publikum zu erinnern, mit dem er auf Reisen zusammengepfercht worden ist — man kann es ja leider nur viel zu wenig vermeiden, die Gespräche im Vahnwagen und auf dem Dampfschiff mit anzuhören —, sich zu erinnern, was da für Reiseeindrücke ausgetauscht werden! Du, Männchen, das war mal ein netter Kellner in Desenzanv — Nee, wenn das ein Beefsteak sein sollte! — Ja, Mailand, das is ne famose Stadt! Schon der Bahnhof! — Verona, nee, da waren wir nicht, das heißt wir sind gleich durchgefahren — Was die in Jnterlaken für Betten hatten! Nee, wenn ich kein ordentliches Federbette kriegen kann — Nee, in der Schackothek waren wir nicht, wir hatten uns gleich vorgenommen, bloß in die Kunstausstellung zu gehen — Na. ich danke! Einmal sind wir in ein italienisches Hotel gegangen. Einmal und nie wieder! —- In Basel auf der Münsterterrasfe — ach, wo der betrunkene Kerl auf der Bank ein¬ geschlafen war? — Meyers, die sind schöne dumm gewesen mit ihrem Italienisch lernen; wir sind überall mit Deutsch durchgekommen! — Papa, guck doch mal aus! ruft die fünfzehnjährige Tochter. Dem Papa fällt es gar nicht ein; er will sich und seiner Familie einen Aufenthalt in der Schweiz leisten, was geht es ihn an, wenn es schon zwischen München und Lindau schön ist? — Station Hirschsprung! ruft der Schaffner auf der badischen Höllenthalbcchn, da oben können die Herrschaften den Hirsch sehen! Der Zug hält inmitten einer großartigen Gebirgsseenerie, senkrechte Felsen engen von beiden Seiten den, Paß zu einer Klamm ein, durch die rauschend und Kühle atmend der Wildbach strömt, mächtige, langbärtige Schwarzwaldtannen streben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/470>, abgerufen am 29.09.2024.