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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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nimmt sich des armen Teufels von Anfänger an und hilft ihm bei seinen Erst¬
lingsversuchen ans die Beine, er hat das Zeug sich zu vervollkommnen und
erweist sich gegen seinen Beschützer dankbar, indem er die "Partei" unterstützt.
So kommt es. daß die Sozialdemokratie und das Proletariat manchmal fast
^ins zu sein scheinen, so kommt es. daß sich die Sozialdemokratie zu der dreisten
Behauptung versteigt, es sei unter den heutigen Verhältnissen nur eine emzrge
Art von Volksliedern möglich, nämlich die, die die Empfindungen der nach
Befreiung ringenden letzten Klasse, der Proletarierklasse, wiedergeben, mit
andern Worten, es seien nur noch sozialdemokratische Volkslieder möglich.
Vielleicht haben nicht alle, die dazu berufen waren, genügend ihre Pflicht ge¬
than, ein solches Ergebnis, wenn es uns bevorstehen sollte, zu verhüten.

Die Gedichte von einigen der sozialdemokratischen Genossen, die dichterisch
thätig gewesen sind, sind jetzt gesammelt und herausgegeben worden. Es sind
vor kurzem fünf Bände, vorläufig fünf, erschienen unter dein stolzen Titel:
Deutsche Arbeiter-Dichtung,*) als ob auch Arbeiter und Sozialdemokrat
dasselbe wäre. Vielleicht haben es die andern, die wahren Dichter auch ver¬
säumt, den "Arbeitern" ihre Lieder zu dichten, sodaß sich die sozialdemokra¬
tischen Dichter dieser Aufgabe ohne Mitbewerber unterziehen konnten. Die
dichtende Sozialdemokratie hat nicht nur die Vertretung des Proletariats,
fondern auch die der Arbeiterklasse übernommen. Man könnte glauben, und
viele glauben es wohl schon, die drei. Arbeiter, Proletarier und Sozialdemo¬
krat, seien ganz dasselbe, obwohl nicht nur unter den Arbeitern Proletarier
zu finden sind. Es giebt auch "Proletarier im Frack."

Die Ausstattung dieser fünf Bände ist echt svzinldemokratisch. Die So¬
cialdemokratie kennt unsre an "Sensation" gewöhnte Zeit, sie weiß, wie schwer
"-'s hält. Eindruck auf die durch das ewige Zeitungslesen abgestumpften Ge¬
müter zu machen. Darum hat sie auf den Einband ein Bild gemalt, das in
ängstlichen Herzen blasse Furcht vor dem Zukunftsstaat erregen konnte. Rot
ist die Farbe des sozialdemokratischen Staates, dem angeblich die Zukunft
gehört. Welche Farbe der wirkliche Zukunftsstaat, der so gewiß wie die Zu¬
kunft selbst ist, haben wird, kann natürlich niemand wissen. Das Bild, die Ver¬
kündigung eines roten Staats, zeigt eine ausgehende rote Strahlensvnne, auf der
die Fasces, das Rutenbündel mit dem Beil, liegen, das alte römische Zeichen der
Herrschergewalt, das die Liktoren ihren Obrigkeiten vvmntrugen. Auf dem
Beil hängt die rote Phrygische Mütze, das Zeichen der letzten, der Proletarier¬
klasse! Wird sie jemals an die Herrschaft gelangen, wird die "Diktatur des
Proletariats" jemals zur Wahrheit werden? Es ist noch nicht zu spät, uns
vor einer solchen Aussicht zu bewahren.

So wenig amtlich vorhanden wie das Proletariat im heutigen Staat,



*) Deutsche Arbeiterdichtung. Eine Auswahl Lieder und Gedichte deutscher Pro¬
letarier. Stuttgart 189S, I. H. W. Dich.

nimmt sich des armen Teufels von Anfänger an und hilft ihm bei seinen Erst¬
lingsversuchen ans die Beine, er hat das Zeug sich zu vervollkommnen und
erweist sich gegen seinen Beschützer dankbar, indem er die „Partei" unterstützt.
So kommt es. daß die Sozialdemokratie und das Proletariat manchmal fast
^ins zu sein scheinen, so kommt es. daß sich die Sozialdemokratie zu der dreisten
Behauptung versteigt, es sei unter den heutigen Verhältnissen nur eine emzrge
Art von Volksliedern möglich, nämlich die, die die Empfindungen der nach
Befreiung ringenden letzten Klasse, der Proletarierklasse, wiedergeben, mit
andern Worten, es seien nur noch sozialdemokratische Volkslieder möglich.
Vielleicht haben nicht alle, die dazu berufen waren, genügend ihre Pflicht ge¬
than, ein solches Ergebnis, wenn es uns bevorstehen sollte, zu verhüten.

Die Gedichte von einigen der sozialdemokratischen Genossen, die dichterisch
thätig gewesen sind, sind jetzt gesammelt und herausgegeben worden. Es sind
vor kurzem fünf Bände, vorläufig fünf, erschienen unter dein stolzen Titel:
Deutsche Arbeiter-Dichtung,*) als ob auch Arbeiter und Sozialdemokrat
dasselbe wäre. Vielleicht haben es die andern, die wahren Dichter auch ver¬
säumt, den „Arbeitern" ihre Lieder zu dichten, sodaß sich die sozialdemokra¬
tischen Dichter dieser Aufgabe ohne Mitbewerber unterziehen konnten. Die
dichtende Sozialdemokratie hat nicht nur die Vertretung des Proletariats,
fondern auch die der Arbeiterklasse übernommen. Man könnte glauben, und
viele glauben es wohl schon, die drei. Arbeiter, Proletarier und Sozialdemo¬
krat, seien ganz dasselbe, obwohl nicht nur unter den Arbeitern Proletarier
zu finden sind. Es giebt auch „Proletarier im Frack."

Die Ausstattung dieser fünf Bände ist echt svzinldemokratisch. Die So¬
cialdemokratie kennt unsre an „Sensation" gewöhnte Zeit, sie weiß, wie schwer
«-'s hält. Eindruck auf die durch das ewige Zeitungslesen abgestumpften Ge¬
müter zu machen. Darum hat sie auf den Einband ein Bild gemalt, das in
ängstlichen Herzen blasse Furcht vor dem Zukunftsstaat erregen konnte. Rot
ist die Farbe des sozialdemokratischen Staates, dem angeblich die Zukunft
gehört. Welche Farbe der wirkliche Zukunftsstaat, der so gewiß wie die Zu¬
kunft selbst ist, haben wird, kann natürlich niemand wissen. Das Bild, die Ver¬
kündigung eines roten Staats, zeigt eine ausgehende rote Strahlensvnne, auf der
die Fasces, das Rutenbündel mit dem Beil, liegen, das alte römische Zeichen der
Herrschergewalt, das die Liktoren ihren Obrigkeiten vvmntrugen. Auf dem
Beil hängt die rote Phrygische Mütze, das Zeichen der letzten, der Proletarier¬
klasse! Wird sie jemals an die Herrschaft gelangen, wird die „Diktatur des
Proletariats" jemals zur Wahrheit werden? Es ist noch nicht zu spät, uns
vor einer solchen Aussicht zu bewahren.

So wenig amtlich vorhanden wie das Proletariat im heutigen Staat,



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letarier. Stuttgart 189S, I. H. W. Dich.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/37>, abgerufen am 01.07.2024.