Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Versammlung deutscher Historiker in München

Referenten habe ich eigentlich trotz aller Anstrengung keinen qualitativen Unter-
schied gefunden. Es scheint mir mir, daß Wartens seinen Schülern etwas
mehr und mauuichfaltigeres zu erzähle" unternehmen wollte, als es Dove und
viele andre in der Versammlung für möglich und ausführbar hielten.

Warum sich aber gerade die Universitätsprofessoren darüber ereifert haben,
daß ein höchst erfahrener und ausgezeichneter Schulmann versicherte, seine
Schüler könnten schon ein bischen mehr von der Sache hören und lernen als
jetzt üblich ist, das vermochte ich mir aus den vorliegenden Berichten
nicht genügend zu erklären. Die Herren scheinen so glücklich zu sein, lauter
junge Leute kennen gelernt zu haben, die ein breites und treffliches historisches
Wissen besaßen. Ich sür meine Person habe leider nicht so günstige Erfah¬
rungen machen können und habe häufig die schmerzliche Empfindung gehabt,
wie traurig es doch sei, daß ein gebildeter Mann, nachdem er acht Jahre lang
mit allem möglichen historischen Unterricht gequält worden ist, so beschämend
wenig von den Dingen behalten hat. Ich will keine Beispiele vorlegen, aber
es ist doch klar, daß, wenn man auf der Universität von Luther spricht, es
angenehm sein würde, die Kenntnis voraussetzen zu können, daß der Papst,
der Luther in den Bann gethan hat, Leo der Zehnte war. Und was nützt
es, den Namen Leo zu kennen, wenn man nichts von den Mediceern weiß?
Ein älterer Kollege hat mir freilich einmal vor Jahren die Bemerkung ge¬
macht, dergleichen sei wirklich zuviel verlangt; für uns Protestanten bleibe der
Papst eben der Papst, und es sei ganz gleichgiltig, wie er heiße. Das ist ja
auch ein Standpunkt, und ich will mich darüber nicht ereifern. Aber es sollte
dann nnr nicht behauptet werden, daß, wenn es so ist, sich unsre gebildete
Welt gerade in Bezug auf geschichtliche Kenntnisse hervorthue.

Als ich in dieser Zeitschrift vor einiger Zeit über die wünschenswerte
Bildung der Geschichtslehrer gehandelt habe, erhielt ich eine so große Menge
von zustimmenden und durch Mitteilung von allerlei Thatsachen merkwürdigen
Zuschriften, daß ich mir gern das Vergnügen gemacht hätte, in München diese
Papiere vorzulegen. Hier will ich nur eine Probe dnrcins mitteilen: Ein
durch seine langjährige Erfahrung in verschiednen Teilen Deutschlands, wie
auch durch seine Teilnahme um öffentlichem Leben besonders beachtenswerter
Jurist versicherte, er habe in langer Zeit kaum jemals einen Kandidaten gefunden,
der von der Gründung des Zollvereins oder von der Entstehung Belgiens-
eine Vorstellung gehabt habe. Das wird genügen. Weiteres werde ich in
der nächsten Histvrikerversammlung in Leipzig mitteilen. Was ich aufs be¬
stimmteste als Voraussetzung jeder fruchtbaren Erörterung ansehe, ist das, daß
man den Dingen, wie sie sind, ehrlich und ohne Schönfärberei ins Auge sehe.
Will man vvrhandne Übel heilen, so nützt es nichts, wohlklingende Redens¬
arten über wissenschaftliche und politische Ziele, über Unterrichtsaufgaben u. s. w.
zu machen. Man täusche sich uicht: es sehlt an den elementaren Kenntnissen.


Die Versammlung deutscher Historiker in München

Referenten habe ich eigentlich trotz aller Anstrengung keinen qualitativen Unter-
schied gefunden. Es scheint mir mir, daß Wartens seinen Schülern etwas
mehr und mauuichfaltigeres zu erzähle» unternehmen wollte, als es Dove und
viele andre in der Versammlung für möglich und ausführbar hielten.

Warum sich aber gerade die Universitätsprofessoren darüber ereifert haben,
daß ein höchst erfahrener und ausgezeichneter Schulmann versicherte, seine
Schüler könnten schon ein bischen mehr von der Sache hören und lernen als
jetzt üblich ist, das vermochte ich mir aus den vorliegenden Berichten
nicht genügend zu erklären. Die Herren scheinen so glücklich zu sein, lauter
junge Leute kennen gelernt zu haben, die ein breites und treffliches historisches
Wissen besaßen. Ich sür meine Person habe leider nicht so günstige Erfah¬
rungen machen können und habe häufig die schmerzliche Empfindung gehabt,
wie traurig es doch sei, daß ein gebildeter Mann, nachdem er acht Jahre lang
mit allem möglichen historischen Unterricht gequält worden ist, so beschämend
wenig von den Dingen behalten hat. Ich will keine Beispiele vorlegen, aber
es ist doch klar, daß, wenn man auf der Universität von Luther spricht, es
angenehm sein würde, die Kenntnis voraussetzen zu können, daß der Papst,
der Luther in den Bann gethan hat, Leo der Zehnte war. Und was nützt
es, den Namen Leo zu kennen, wenn man nichts von den Mediceern weiß?
Ein älterer Kollege hat mir freilich einmal vor Jahren die Bemerkung ge¬
macht, dergleichen sei wirklich zuviel verlangt; für uns Protestanten bleibe der
Papst eben der Papst, und es sei ganz gleichgiltig, wie er heiße. Das ist ja
auch ein Standpunkt, und ich will mich darüber nicht ereifern. Aber es sollte
dann nnr nicht behauptet werden, daß, wenn es so ist, sich unsre gebildete
Welt gerade in Bezug auf geschichtliche Kenntnisse hervorthue.

Als ich in dieser Zeitschrift vor einiger Zeit über die wünschenswerte
Bildung der Geschichtslehrer gehandelt habe, erhielt ich eine so große Menge
von zustimmenden und durch Mitteilung von allerlei Thatsachen merkwürdigen
Zuschriften, daß ich mir gern das Vergnügen gemacht hätte, in München diese
Papiere vorzulegen. Hier will ich nur eine Probe dnrcins mitteilen: Ein
durch seine langjährige Erfahrung in verschiednen Teilen Deutschlands, wie
auch durch seine Teilnahme um öffentlichem Leben besonders beachtenswerter
Jurist versicherte, er habe in langer Zeit kaum jemals einen Kandidaten gefunden,
der von der Gründung des Zollvereins oder von der Entstehung Belgiens-
eine Vorstellung gehabt habe. Das wird genügen. Weiteres werde ich in
der nächsten Histvrikerversammlung in Leipzig mitteilen. Was ich aufs be¬
stimmteste als Voraussetzung jeder fruchtbaren Erörterung ansehe, ist das, daß
man den Dingen, wie sie sind, ehrlich und ohne Schönfärberei ins Auge sehe.
Will man vvrhandne Übel heilen, so nützt es nichts, wohlklingende Redens¬
arten über wissenschaftliche und politische Ziele, über Unterrichtsaufgaben u. s. w.
zu machen. Man täusche sich uicht: es sehlt an den elementaren Kenntnissen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214824"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Versammlung deutscher Historiker in München</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1432" prev="#ID_1431"> Referenten habe ich eigentlich trotz aller Anstrengung keinen qualitativen Unter-<lb/>
schied gefunden. Es scheint mir mir, daß Wartens seinen Schülern etwas<lb/>
mehr und mauuichfaltigeres zu erzähle» unternehmen wollte, als es Dove und<lb/>
viele andre in der Versammlung für möglich und ausführbar hielten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1433"> Warum sich aber gerade die Universitätsprofessoren darüber ereifert haben,<lb/>
daß ein höchst erfahrener und ausgezeichneter Schulmann versicherte, seine<lb/>
Schüler könnten schon ein bischen mehr von der Sache hören und lernen als<lb/>
jetzt üblich ist, das vermochte ich mir aus den vorliegenden Berichten<lb/>
nicht genügend zu erklären. Die Herren scheinen so glücklich zu sein, lauter<lb/>
junge Leute kennen gelernt zu haben, die ein breites und treffliches historisches<lb/>
Wissen besaßen. Ich sür meine Person habe leider nicht so günstige Erfah¬<lb/>
rungen machen können und habe häufig die schmerzliche Empfindung gehabt,<lb/>
wie traurig es doch sei, daß ein gebildeter Mann, nachdem er acht Jahre lang<lb/>
mit allem möglichen historischen Unterricht gequält worden ist, so beschämend<lb/>
wenig von den Dingen behalten hat. Ich will keine Beispiele vorlegen, aber<lb/>
es ist doch klar, daß, wenn man auf der Universität von Luther spricht, es<lb/>
angenehm sein würde, die Kenntnis voraussetzen zu können, daß der Papst,<lb/>
der Luther in den Bann gethan hat, Leo der Zehnte war. Und was nützt<lb/>
es, den Namen Leo zu kennen, wenn man nichts von den Mediceern weiß?<lb/>
Ein älterer Kollege hat mir freilich einmal vor Jahren die Bemerkung ge¬<lb/>
macht, dergleichen sei wirklich zuviel verlangt; für uns Protestanten bleibe der<lb/>
Papst eben der Papst, und es sei ganz gleichgiltig, wie er heiße. Das ist ja<lb/>
auch ein Standpunkt, und ich will mich darüber nicht ereifern. Aber es sollte<lb/>
dann nnr nicht behauptet werden, daß, wenn es so ist, sich unsre gebildete<lb/>
Welt gerade in Bezug auf geschichtliche Kenntnisse hervorthue.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1434" next="#ID_1435"> Als ich in dieser Zeitschrift vor einiger Zeit über die wünschenswerte<lb/>
Bildung der Geschichtslehrer gehandelt habe, erhielt ich eine so große Menge<lb/>
von zustimmenden und durch Mitteilung von allerlei Thatsachen merkwürdigen<lb/>
Zuschriften, daß ich mir gern das Vergnügen gemacht hätte, in München diese<lb/>
Papiere vorzulegen. Hier will ich nur eine Probe dnrcins mitteilen: Ein<lb/>
durch seine langjährige Erfahrung in verschiednen Teilen Deutschlands, wie<lb/>
auch durch seine Teilnahme um öffentlichem Leben besonders beachtenswerter<lb/>
Jurist versicherte, er habe in langer Zeit kaum jemals einen Kandidaten gefunden,<lb/>
der von der Gründung des Zollvereins oder von der Entstehung Belgiens-<lb/>
eine Vorstellung gehabt habe. Das wird genügen. Weiteres werde ich in<lb/>
der nächsten Histvrikerversammlung in Leipzig mitteilen. Was ich aufs be¬<lb/>
stimmteste als Voraussetzung jeder fruchtbaren Erörterung ansehe, ist das, daß<lb/>
man den Dingen, wie sie sind, ehrlich und ohne Schönfärberei ins Auge sehe.<lb/>
Will man vvrhandne Übel heilen, so nützt es nichts, wohlklingende Redens¬<lb/>
arten über wissenschaftliche und politische Ziele, über Unterrichtsaufgaben u. s. w.<lb/>
zu machen.  Man täusche sich uicht: es sehlt an den elementaren Kenntnissen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0369] Die Versammlung deutscher Historiker in München Referenten habe ich eigentlich trotz aller Anstrengung keinen qualitativen Unter- schied gefunden. Es scheint mir mir, daß Wartens seinen Schülern etwas mehr und mauuichfaltigeres zu erzähle» unternehmen wollte, als es Dove und viele andre in der Versammlung für möglich und ausführbar hielten. Warum sich aber gerade die Universitätsprofessoren darüber ereifert haben, daß ein höchst erfahrener und ausgezeichneter Schulmann versicherte, seine Schüler könnten schon ein bischen mehr von der Sache hören und lernen als jetzt üblich ist, das vermochte ich mir aus den vorliegenden Berichten nicht genügend zu erklären. Die Herren scheinen so glücklich zu sein, lauter junge Leute kennen gelernt zu haben, die ein breites und treffliches historisches Wissen besaßen. Ich sür meine Person habe leider nicht so günstige Erfah¬ rungen machen können und habe häufig die schmerzliche Empfindung gehabt, wie traurig es doch sei, daß ein gebildeter Mann, nachdem er acht Jahre lang mit allem möglichen historischen Unterricht gequält worden ist, so beschämend wenig von den Dingen behalten hat. Ich will keine Beispiele vorlegen, aber es ist doch klar, daß, wenn man auf der Universität von Luther spricht, es angenehm sein würde, die Kenntnis voraussetzen zu können, daß der Papst, der Luther in den Bann gethan hat, Leo der Zehnte war. Und was nützt es, den Namen Leo zu kennen, wenn man nichts von den Mediceern weiß? Ein älterer Kollege hat mir freilich einmal vor Jahren die Bemerkung ge¬ macht, dergleichen sei wirklich zuviel verlangt; für uns Protestanten bleibe der Papst eben der Papst, und es sei ganz gleichgiltig, wie er heiße. Das ist ja auch ein Standpunkt, und ich will mich darüber nicht ereifern. Aber es sollte dann nnr nicht behauptet werden, daß, wenn es so ist, sich unsre gebildete Welt gerade in Bezug auf geschichtliche Kenntnisse hervorthue. Als ich in dieser Zeitschrift vor einiger Zeit über die wünschenswerte Bildung der Geschichtslehrer gehandelt habe, erhielt ich eine so große Menge von zustimmenden und durch Mitteilung von allerlei Thatsachen merkwürdigen Zuschriften, daß ich mir gern das Vergnügen gemacht hätte, in München diese Papiere vorzulegen. Hier will ich nur eine Probe dnrcins mitteilen: Ein durch seine langjährige Erfahrung in verschiednen Teilen Deutschlands, wie auch durch seine Teilnahme um öffentlichem Leben besonders beachtenswerter Jurist versicherte, er habe in langer Zeit kaum jemals einen Kandidaten gefunden, der von der Gründung des Zollvereins oder von der Entstehung Belgiens- eine Vorstellung gehabt habe. Das wird genügen. Weiteres werde ich in der nächsten Histvrikerversammlung in Leipzig mitteilen. Was ich aufs be¬ stimmteste als Voraussetzung jeder fruchtbaren Erörterung ansehe, ist das, daß man den Dingen, wie sie sind, ehrlich und ohne Schönfärberei ins Auge sehe. Will man vvrhandne Übel heilen, so nützt es nichts, wohlklingende Redens¬ arten über wissenschaftliche und politische Ziele, über Unterrichtsaufgaben u. s. w. zu machen. Man täusche sich uicht: es sehlt an den elementaren Kenntnissen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/369>, abgerufen am 27.08.2024.