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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Kolonisation

über den verschuldeten Besitzer gewonnen hat. Ein Teil der Mißachtung, die
jene Unternehmer in Deutschland trifft, geht wohl aus der gesunden Empfin¬
dung hervor, daß etwas Unsittliches an jedem Handel mit Besitzstücken haftet,
an die sich das Wohl und Wehe ganzer Generationen knüpft. Der Güter¬
schacher als solcher verletzt das öffentliche Gewissen. Vornehmlich haben die
allen sichtbaren unredlichen und wucherischer Praktiken die Gülerschlächter in
Verruf gebracht. Ihr Gewinn entspringt regelmäßig aus einer zweifachen
Wurzel: auf der einen Seite aus der Notlage des veräußernden Bauern. Den
durch Erbschaftsforderungen und Lcmdzukauf -- namentlich auch bei Gelegenheit
früherer Ausschlachtungen --, seltner durch UnWirtschaftlichkeit hoch verschuldeten
und in die Hände des Wucherers geratenen Mann läßt dieser so lange auf
dem Hofe sitzen, als es noch etwas auszupressen giebt, um ihn dann beim
stückweisen Verkauf zu allen Konzessionen zu zwingen. Häufig erwirbt der
Ausschlächter den Hof in der Subhastation zu billigem Preise, indem er ver¬
steht, alle ernsthaften Mitbieter fernzuhalten. Auf der andern Seite pflegen
die Käufer von Parzellen bereit zu sein, Preise zu zahlen, die über den Wert
der ungeteilten Besitzungen weit hinausgehen."

In den letzten Jahrzehnten ist eine Besserung eingetreten; die Bauern¬
güter haben an den technischen Fortschritten der Landwirtschaft teilgenommen,
und ihre Besitzer befinden sich vielfach in sehr guter und durchaus gesicherter
Lage. Nur wo, wie in Schlesien, viele Magnatenherrschaften liegen, hört das
Zusammenlaufen von Bauerngüter" nicht auf (Sering nennt namentlich die
Herrschaften Öls und Kamenz), lind außerdem wirkt, namentlich in Schlesien
und Sachsen, die Zuckersiederei als latifundienbildende Kraft, da die großen
Zuckersieder, um ihre Rüben selbst bauen zu können, Preise anbieten, denen
selbst gutsituirte Bauern nicht widerstehen können. Wo die Zuckerfabrik einer
Aktiengesellschaft von Bauern gehört, was ebenfalls in Schlesien vorkommt,
da hebt und befestigt sie den Bauernstand.

Sehr richtig bemerkt Sering, daß sich die Sozialdemokraten gründlich
irren, wenn sie die stellenweise vorkommende Aufsaugung des Bauernstandes
durch den Großgrundbesitz oder richtiger durch den Magnatenbesitz nach ihrer
der industriellen Entwicklung entnommenen Schablone beurteilen und sich ein¬
bilden oder die Leser ihrer Blätter überreden wollen, der kleine und mittlere
Betrieb könne neben dem großen nicht mehr bestehen. Von Konkurrenz ist
hier gar keine Rede. Dem Kleinbauer kommt die Milch, die er verkauft, nicht
teurer, eher billiger zu stehen als dem Magnaten, und schlechter braucht sie
auch uicht zu sein; auch ist das kleine Gut in seiner Art so produktiv wie
das große, bei Spatenbau sogar produktiver. Kleine Güter werden von den
Magnatenherrschaften lediglich deshalb aufgekauft, weil diese so viel bringen,
daß die Zinsen nicht verbraucht werden können, und weil Vergrößerung der
Herrschaft die natürlichste Vcrwenduugsart der jährlichen Überschüsse ist; der


Innere Kolonisation

über den verschuldeten Besitzer gewonnen hat. Ein Teil der Mißachtung, die
jene Unternehmer in Deutschland trifft, geht wohl aus der gesunden Empfin¬
dung hervor, daß etwas Unsittliches an jedem Handel mit Besitzstücken haftet,
an die sich das Wohl und Wehe ganzer Generationen knüpft. Der Güter¬
schacher als solcher verletzt das öffentliche Gewissen. Vornehmlich haben die
allen sichtbaren unredlichen und wucherischer Praktiken die Gülerschlächter in
Verruf gebracht. Ihr Gewinn entspringt regelmäßig aus einer zweifachen
Wurzel: auf der einen Seite aus der Notlage des veräußernden Bauern. Den
durch Erbschaftsforderungen und Lcmdzukauf — namentlich auch bei Gelegenheit
früherer Ausschlachtungen —, seltner durch UnWirtschaftlichkeit hoch verschuldeten
und in die Hände des Wucherers geratenen Mann läßt dieser so lange auf
dem Hofe sitzen, als es noch etwas auszupressen giebt, um ihn dann beim
stückweisen Verkauf zu allen Konzessionen zu zwingen. Häufig erwirbt der
Ausschlächter den Hof in der Subhastation zu billigem Preise, indem er ver¬
steht, alle ernsthaften Mitbieter fernzuhalten. Auf der andern Seite pflegen
die Käufer von Parzellen bereit zu sein, Preise zu zahlen, die über den Wert
der ungeteilten Besitzungen weit hinausgehen."

In den letzten Jahrzehnten ist eine Besserung eingetreten; die Bauern¬
güter haben an den technischen Fortschritten der Landwirtschaft teilgenommen,
und ihre Besitzer befinden sich vielfach in sehr guter und durchaus gesicherter
Lage. Nur wo, wie in Schlesien, viele Magnatenherrschaften liegen, hört das
Zusammenlaufen von Bauerngüter« nicht auf (Sering nennt namentlich die
Herrschaften Öls und Kamenz), lind außerdem wirkt, namentlich in Schlesien
und Sachsen, die Zuckersiederei als latifundienbildende Kraft, da die großen
Zuckersieder, um ihre Rüben selbst bauen zu können, Preise anbieten, denen
selbst gutsituirte Bauern nicht widerstehen können. Wo die Zuckerfabrik einer
Aktiengesellschaft von Bauern gehört, was ebenfalls in Schlesien vorkommt,
da hebt und befestigt sie den Bauernstand.

Sehr richtig bemerkt Sering, daß sich die Sozialdemokraten gründlich
irren, wenn sie die stellenweise vorkommende Aufsaugung des Bauernstandes
durch den Großgrundbesitz oder richtiger durch den Magnatenbesitz nach ihrer
der industriellen Entwicklung entnommenen Schablone beurteilen und sich ein¬
bilden oder die Leser ihrer Blätter überreden wollen, der kleine und mittlere
Betrieb könne neben dem großen nicht mehr bestehen. Von Konkurrenz ist
hier gar keine Rede. Dem Kleinbauer kommt die Milch, die er verkauft, nicht
teurer, eher billiger zu stehen als dem Magnaten, und schlechter braucht sie
auch uicht zu sein; auch ist das kleine Gut in seiner Art so produktiv wie
das große, bei Spatenbau sogar produktiver. Kleine Güter werden von den
Magnatenherrschaften lediglich deshalb aufgekauft, weil diese so viel bringen,
daß die Zinsen nicht verbraucht werden können, und weil Vergrößerung der
Herrschaft die natürlichste Vcrwenduugsart der jährlichen Überschüsse ist; der


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[0259] Innere Kolonisation über den verschuldeten Besitzer gewonnen hat. Ein Teil der Mißachtung, die jene Unternehmer in Deutschland trifft, geht wohl aus der gesunden Empfin¬ dung hervor, daß etwas Unsittliches an jedem Handel mit Besitzstücken haftet, an die sich das Wohl und Wehe ganzer Generationen knüpft. Der Güter¬ schacher als solcher verletzt das öffentliche Gewissen. Vornehmlich haben die allen sichtbaren unredlichen und wucherischer Praktiken die Gülerschlächter in Verruf gebracht. Ihr Gewinn entspringt regelmäßig aus einer zweifachen Wurzel: auf der einen Seite aus der Notlage des veräußernden Bauern. Den durch Erbschaftsforderungen und Lcmdzukauf — namentlich auch bei Gelegenheit früherer Ausschlachtungen —, seltner durch UnWirtschaftlichkeit hoch verschuldeten und in die Hände des Wucherers geratenen Mann läßt dieser so lange auf dem Hofe sitzen, als es noch etwas auszupressen giebt, um ihn dann beim stückweisen Verkauf zu allen Konzessionen zu zwingen. Häufig erwirbt der Ausschlächter den Hof in der Subhastation zu billigem Preise, indem er ver¬ steht, alle ernsthaften Mitbieter fernzuhalten. Auf der andern Seite pflegen die Käufer von Parzellen bereit zu sein, Preise zu zahlen, die über den Wert der ungeteilten Besitzungen weit hinausgehen." In den letzten Jahrzehnten ist eine Besserung eingetreten; die Bauern¬ güter haben an den technischen Fortschritten der Landwirtschaft teilgenommen, und ihre Besitzer befinden sich vielfach in sehr guter und durchaus gesicherter Lage. Nur wo, wie in Schlesien, viele Magnatenherrschaften liegen, hört das Zusammenlaufen von Bauerngüter« nicht auf (Sering nennt namentlich die Herrschaften Öls und Kamenz), lind außerdem wirkt, namentlich in Schlesien und Sachsen, die Zuckersiederei als latifundienbildende Kraft, da die großen Zuckersieder, um ihre Rüben selbst bauen zu können, Preise anbieten, denen selbst gutsituirte Bauern nicht widerstehen können. Wo die Zuckerfabrik einer Aktiengesellschaft von Bauern gehört, was ebenfalls in Schlesien vorkommt, da hebt und befestigt sie den Bauernstand. Sehr richtig bemerkt Sering, daß sich die Sozialdemokraten gründlich irren, wenn sie die stellenweise vorkommende Aufsaugung des Bauernstandes durch den Großgrundbesitz oder richtiger durch den Magnatenbesitz nach ihrer der industriellen Entwicklung entnommenen Schablone beurteilen und sich ein¬ bilden oder die Leser ihrer Blätter überreden wollen, der kleine und mittlere Betrieb könne neben dem großen nicht mehr bestehen. Von Konkurrenz ist hier gar keine Rede. Dem Kleinbauer kommt die Milch, die er verkauft, nicht teurer, eher billiger zu stehen als dem Magnaten, und schlechter braucht sie auch uicht zu sein; auch ist das kleine Gut in seiner Art so produktiv wie das große, bei Spatenbau sogar produktiver. Kleine Güter werden von den Magnatenherrschaften lediglich deshalb aufgekauft, weil diese so viel bringen, daß die Zinsen nicht verbraucht werden können, und weil Vergrößerung der Herrschaft die natürlichste Vcrwenduugsart der jährlichen Überschüsse ist; der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/259>, abgerufen am 26.08.2024.