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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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der markverzehrenden Stimmung auch jeder andern ihr Recht zu gönnen, er em¬
pfänglicher für poetische Geister wurde, "die das Schöne zwar nicht in seiner
reinen Glorie hinzustellen vermögen, deren Schöpfungen jedoch wie matte
Regenbogen mit erlöschenden Farben daran erinnern," wie es in seiner Kritik
des Mvsenschcn Dramas "Der Sohn des Fürsten" heißt.

Aber sind auch die Briefe Hebbels, die sich (bedeutende Lücken abgerechnet)
vom Jahre 1831 bis zu seinem Todesjahre 1863 erstrecken, unverwerfliche
Zeugnisse seines innern Reichtums, seiner gewaltigen gegen sich selbst wie gegen
andre unbarmherzigen Wahrhaftigkeit, der Eigentümlichkeit seiner Bildung, der
Mannigfaltigkeit seiner Weltbeziehuugen und der Herzenswärme seiner mensch¬
lichen Verbindungen, verdeutlichen und erweitern sie die Einsicht in Wesen,
Leben und Wirken des Dichters, so tonnen doch auch sie den dunkelsten Punkt,
das zurückbleibende Rätsel in der Natur Hebbels, nicht völlig ausheilen. Wer
wahrhafte, warme und nachfühlende Teilnahme für den Dichter empfindet,
stößt, je mehr er sich mit der gesamten Dichtung Hebbels vertraut macht,
auf dieses Rätsel. Nicht darin liegt es, daß Hebbel Denker und Dichter zu¬
gleich war -- diesen Vorzug teilt er ja mit allen hervorragenden Dichtern --,
auch nicht darin, daß gewisse Elemente seines grüblerischenDenkens niemals rein
in die poetische Anschauung und Form aufgehen konnten. Es liegt in der
jähen Plötzlichkeit, der unvermittelter Schroffheit des Wechsels von leidenschaft¬
licher, fortreißender Naturgewalt und tiefsinniger, aber nicht zu Leben gewordner
Reflexion, in dem Nebeneinander heißer Glut und eisigen, markdurchschneidenden
Frostes, in dem Widerspruch zwischen dem echt dichterischen Bedürfnis nach
Rhythmik der eignen Seele, ja des ganzen Daseins und zwischen der unbe¬
siegbaren Neigung zu den härtesten Foltern der Abstraktion. Man sollte nie
ein Bild brauchen, zu dem es keine Wirklichkeit giebt; und doch, wenn man
sich vorstellen dürfte, daß ein Vulkan unterhalb seines Kraters einen Gletscher
trüge, und daß die glühende eben vom Krater ausgeworfne Lava jedesmal
über das Gletschereis fließen und hier erstarren müßte, so würde man das
^lib sür gewisse dunkle Vorgänge in Hebbels innerm Leben haben. Sicher
hat Hebbel, wie vieles Schroffe und Herbe in seiner Natur, so auch den
dämonischen Zug zu diesem jähen, unvermittelter Wechsel, den Felix Bamberg
(in seiner Abhandlung über Hebbel in der "Allgemeinen Deutschen Biographie")
lediglich auf den Drang zur Kürze im Gestaltungsprozeß zurückführen möchte,
und von dem er zugiebt, daß der Dichter dadurch "dem minder geübten Auge
zum Auffassen des Lebendigen nicht genug Anhaltepunkte gelassen habe," in
spätern Lebensjahren und Schöpfungen stark gebändigt, ja glänzend besiegt.
Und ohne Zweifel erscheint Hebbel auch in deu Briefen dieser spätern Jahre
trotz das unverlierbaren wuchtigen Ernstes seiner Natur lebensheiterer, ver¬
söhnter, poetisch gerundeter, als in den inhaltvollen und in ihrer Besonderheit
dämonisch fesselnden Briefen der Studentenzeit und der Wanderjahre.


Grenzboten II 18W 28

der markverzehrenden Stimmung auch jeder andern ihr Recht zu gönnen, er em¬
pfänglicher für poetische Geister wurde, „die das Schöne zwar nicht in seiner
reinen Glorie hinzustellen vermögen, deren Schöpfungen jedoch wie matte
Regenbogen mit erlöschenden Farben daran erinnern," wie es in seiner Kritik
des Mvsenschcn Dramas „Der Sohn des Fürsten" heißt.

Aber sind auch die Briefe Hebbels, die sich (bedeutende Lücken abgerechnet)
vom Jahre 1831 bis zu seinem Todesjahre 1863 erstrecken, unverwerfliche
Zeugnisse seines innern Reichtums, seiner gewaltigen gegen sich selbst wie gegen
andre unbarmherzigen Wahrhaftigkeit, der Eigentümlichkeit seiner Bildung, der
Mannigfaltigkeit seiner Weltbeziehuugen und der Herzenswärme seiner mensch¬
lichen Verbindungen, verdeutlichen und erweitern sie die Einsicht in Wesen,
Leben und Wirken des Dichters, so tonnen doch auch sie den dunkelsten Punkt,
das zurückbleibende Rätsel in der Natur Hebbels, nicht völlig ausheilen. Wer
wahrhafte, warme und nachfühlende Teilnahme für den Dichter empfindet,
stößt, je mehr er sich mit der gesamten Dichtung Hebbels vertraut macht,
auf dieses Rätsel. Nicht darin liegt es, daß Hebbel Denker und Dichter zu¬
gleich war — diesen Vorzug teilt er ja mit allen hervorragenden Dichtern —,
auch nicht darin, daß gewisse Elemente seines grüblerischenDenkens niemals rein
in die poetische Anschauung und Form aufgehen konnten. Es liegt in der
jähen Plötzlichkeit, der unvermittelter Schroffheit des Wechsels von leidenschaft¬
licher, fortreißender Naturgewalt und tiefsinniger, aber nicht zu Leben gewordner
Reflexion, in dem Nebeneinander heißer Glut und eisigen, markdurchschneidenden
Frostes, in dem Widerspruch zwischen dem echt dichterischen Bedürfnis nach
Rhythmik der eignen Seele, ja des ganzen Daseins und zwischen der unbe¬
siegbaren Neigung zu den härtesten Foltern der Abstraktion. Man sollte nie
ein Bild brauchen, zu dem es keine Wirklichkeit giebt; und doch, wenn man
sich vorstellen dürfte, daß ein Vulkan unterhalb seines Kraters einen Gletscher
trüge, und daß die glühende eben vom Krater ausgeworfne Lava jedesmal
über das Gletschereis fließen und hier erstarren müßte, so würde man das
^lib sür gewisse dunkle Vorgänge in Hebbels innerm Leben haben. Sicher
hat Hebbel, wie vieles Schroffe und Herbe in seiner Natur, so auch den
dämonischen Zug zu diesem jähen, unvermittelter Wechsel, den Felix Bamberg
(in seiner Abhandlung über Hebbel in der „Allgemeinen Deutschen Biographie")
lediglich auf den Drang zur Kürze im Gestaltungsprozeß zurückführen möchte,
und von dem er zugiebt, daß der Dichter dadurch „dem minder geübten Auge
zum Auffassen des Lebendigen nicht genug Anhaltepunkte gelassen habe," in
spätern Lebensjahren und Schöpfungen stark gebändigt, ja glänzend besiegt.
Und ohne Zweifel erscheint Hebbel auch in deu Briefen dieser spätern Jahre
trotz das unverlierbaren wuchtigen Ernstes seiner Natur lebensheiterer, ver¬
söhnter, poetisch gerundeter, als in den inhaltvollen und in ihrer Besonderheit
dämonisch fesselnden Briefen der Studentenzeit und der Wanderjahre.


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[0226] der markverzehrenden Stimmung auch jeder andern ihr Recht zu gönnen, er em¬ pfänglicher für poetische Geister wurde, „die das Schöne zwar nicht in seiner reinen Glorie hinzustellen vermögen, deren Schöpfungen jedoch wie matte Regenbogen mit erlöschenden Farben daran erinnern," wie es in seiner Kritik des Mvsenschcn Dramas „Der Sohn des Fürsten" heißt. Aber sind auch die Briefe Hebbels, die sich (bedeutende Lücken abgerechnet) vom Jahre 1831 bis zu seinem Todesjahre 1863 erstrecken, unverwerfliche Zeugnisse seines innern Reichtums, seiner gewaltigen gegen sich selbst wie gegen andre unbarmherzigen Wahrhaftigkeit, der Eigentümlichkeit seiner Bildung, der Mannigfaltigkeit seiner Weltbeziehuugen und der Herzenswärme seiner mensch¬ lichen Verbindungen, verdeutlichen und erweitern sie die Einsicht in Wesen, Leben und Wirken des Dichters, so tonnen doch auch sie den dunkelsten Punkt, das zurückbleibende Rätsel in der Natur Hebbels, nicht völlig ausheilen. Wer wahrhafte, warme und nachfühlende Teilnahme für den Dichter empfindet, stößt, je mehr er sich mit der gesamten Dichtung Hebbels vertraut macht, auf dieses Rätsel. Nicht darin liegt es, daß Hebbel Denker und Dichter zu¬ gleich war — diesen Vorzug teilt er ja mit allen hervorragenden Dichtern —, auch nicht darin, daß gewisse Elemente seines grüblerischenDenkens niemals rein in die poetische Anschauung und Form aufgehen konnten. Es liegt in der jähen Plötzlichkeit, der unvermittelter Schroffheit des Wechsels von leidenschaft¬ licher, fortreißender Naturgewalt und tiefsinniger, aber nicht zu Leben gewordner Reflexion, in dem Nebeneinander heißer Glut und eisigen, markdurchschneidenden Frostes, in dem Widerspruch zwischen dem echt dichterischen Bedürfnis nach Rhythmik der eignen Seele, ja des ganzen Daseins und zwischen der unbe¬ siegbaren Neigung zu den härtesten Foltern der Abstraktion. Man sollte nie ein Bild brauchen, zu dem es keine Wirklichkeit giebt; und doch, wenn man sich vorstellen dürfte, daß ein Vulkan unterhalb seines Kraters einen Gletscher trüge, und daß die glühende eben vom Krater ausgeworfne Lava jedesmal über das Gletschereis fließen und hier erstarren müßte, so würde man das ^lib sür gewisse dunkle Vorgänge in Hebbels innerm Leben haben. Sicher hat Hebbel, wie vieles Schroffe und Herbe in seiner Natur, so auch den dämonischen Zug zu diesem jähen, unvermittelter Wechsel, den Felix Bamberg (in seiner Abhandlung über Hebbel in der „Allgemeinen Deutschen Biographie") lediglich auf den Drang zur Kürze im Gestaltungsprozeß zurückführen möchte, und von dem er zugiebt, daß der Dichter dadurch „dem minder geübten Auge zum Auffassen des Lebendigen nicht genug Anhaltepunkte gelassen habe," in spätern Lebensjahren und Schöpfungen stark gebändigt, ja glänzend besiegt. Und ohne Zweifel erscheint Hebbel auch in deu Briefen dieser spätern Jahre trotz das unverlierbaren wuchtigen Ernstes seiner Natur lebensheiterer, ver¬ söhnter, poetisch gerundeter, als in den inhaltvollen und in ihrer Besonderheit dämonisch fesselnden Briefen der Studentenzeit und der Wanderjahre. Grenzboten II 18W 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/226>, abgerufen am 23.07.2024.