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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Zur Jesuitenfrage

die Hierarchie und allen Aberglauben, der daran hängt. Es wäre gut für
die Menschheit, davon befreit zu werden, aber weder Sie noch ich werden diesen
Tag sehen. Jahrhunderte sind nötig, ihn herbeizuführen, und vielleicht wird
dann ein neuer Aberglaube den alten ersetzen; denn ich bin überzeugt, daß
der Hang zum Aberglauben mit dein Menschen geboren wird." Diese Ansicht
des großen Königs wird durch nichts glänzender gerechtfertigt, als durch die
Jesuitenfurcht unsrer Tage. Diese Furcht schreibt dem Jesuitenorden in Ver¬
gangenheit, Gegenwart und Zukunft Wirkungen zu, die bei der Zahl seiner
Mitglieder und den ihm zur Verfügung stehenden geistigen und materiellen
Mitteln auf natürliche Weise nicht erklärt werden können, die also eine Art
Zaubermacht voraussetzen. Von den Entstehungsgrüuden dieses Aberglaubens,
deren Darstellung eine interessante Studie abgeben würde, wollen wir hier
nur einen kurz erwähnen. Der "Aufgeklärte" hält das Christentum im all¬
gemeinen und den Katholizismus im besondern für einen überwunduen Stand-
Punkt und ist überzeugt, daß beide von Rechts wegen längst verschwunden sein
müßten. Des historischen Sinnes ebenso bar wie gründlicher historischer
Bildung, weiß er es nicht, daß es in der Religion und in der Metaphysik so
wenig überwundne Standpunkte giebt wie in Sachen des Geschmacks. Wie
es stets Personen geben wird, die das Saure dem Süßen und einen Höllen-
breughel einem Correggio vorziehen, so wird es stets Personen geben, die sich
das Absolute nur als Geist oder uur als Materie, nur persönlich oder nur
unpersönlich denken können, und Personen, die für eine bestimmte unter den
vielen vorhandnen Religionsformen eine unausrottbare Borliebe haben. Der
Katholizismus dauert ans demselben Grunde wie der Islam und der Bud¬
dhismus fort, weil jede dieser Religionen die Herzensbedürfnisse von Millionen
Menschen befriedigt, und sie werden uoch lebendig sein, wenn längst schon das
undurchdringliche Dunkel ewiger Vergessenheit die Namen aller Aufklärer von
Nicolai bis Nippold verschlungen haben wird. Diese auf der Hand liegende
natürliche Ursache erkennt der "Aufgeklärte" nicht an, weil sie seinem Vor¬
urteil widerspricht, und so ist er denn genötigt, eine übernatürliche zu erdichten.
Er schafft sich eine Zaubermacht, die er Jesuitismus nennt, und schreibt dieser
die Erhaltung des Katholizismus zu. Die Jesuitenfnrcht ist demnach ein Volks-
aberglnube, aus der Unfähigkeit, einen natürlichen ursächlichen Zusammenhang
zu begreifen, entsprungen, und steht auf einer Stufe mit der mittelalterlichen
Erklärung der Pest aus der Brunuenvergiftuug durch Juden, mit dem heutigen
Ahlwardtismus und mit den abergläubischen Vorstellungen des katholischen
Volkes von der geheimnisvollen Macht der Freimaurer.

Nun erst wollen wir den Zweck dieser Zeilen aussprechen- Wir haben
sie nicht geschrieben, um die Jesuitophoben zu bekehren, denn gegen den Aber¬
glauben richtet die Vernunft nichts aus. Wir haben sie auch nicht geschrieben,
um die Aufhebung des Jesuitengesetzes zu empfehle", denn erstens ist es uns


Grenzboten II 1893 2K
Zur Jesuitenfrage

die Hierarchie und allen Aberglauben, der daran hängt. Es wäre gut für
die Menschheit, davon befreit zu werden, aber weder Sie noch ich werden diesen
Tag sehen. Jahrhunderte sind nötig, ihn herbeizuführen, und vielleicht wird
dann ein neuer Aberglaube den alten ersetzen; denn ich bin überzeugt, daß
der Hang zum Aberglauben mit dein Menschen geboren wird." Diese Ansicht
des großen Königs wird durch nichts glänzender gerechtfertigt, als durch die
Jesuitenfurcht unsrer Tage. Diese Furcht schreibt dem Jesuitenorden in Ver¬
gangenheit, Gegenwart und Zukunft Wirkungen zu, die bei der Zahl seiner
Mitglieder und den ihm zur Verfügung stehenden geistigen und materiellen
Mitteln auf natürliche Weise nicht erklärt werden können, die also eine Art
Zaubermacht voraussetzen. Von den Entstehungsgrüuden dieses Aberglaubens,
deren Darstellung eine interessante Studie abgeben würde, wollen wir hier
nur einen kurz erwähnen. Der „Aufgeklärte" hält das Christentum im all¬
gemeinen und den Katholizismus im besondern für einen überwunduen Stand-
Punkt und ist überzeugt, daß beide von Rechts wegen längst verschwunden sein
müßten. Des historischen Sinnes ebenso bar wie gründlicher historischer
Bildung, weiß er es nicht, daß es in der Religion und in der Metaphysik so
wenig überwundne Standpunkte giebt wie in Sachen des Geschmacks. Wie
es stets Personen geben wird, die das Saure dem Süßen und einen Höllen-
breughel einem Correggio vorziehen, so wird es stets Personen geben, die sich
das Absolute nur als Geist oder uur als Materie, nur persönlich oder nur
unpersönlich denken können, und Personen, die für eine bestimmte unter den
vielen vorhandnen Religionsformen eine unausrottbare Borliebe haben. Der
Katholizismus dauert ans demselben Grunde wie der Islam und der Bud¬
dhismus fort, weil jede dieser Religionen die Herzensbedürfnisse von Millionen
Menschen befriedigt, und sie werden uoch lebendig sein, wenn längst schon das
undurchdringliche Dunkel ewiger Vergessenheit die Namen aller Aufklärer von
Nicolai bis Nippold verschlungen haben wird. Diese auf der Hand liegende
natürliche Ursache erkennt der „Aufgeklärte" nicht an, weil sie seinem Vor¬
urteil widerspricht, und so ist er denn genötigt, eine übernatürliche zu erdichten.
Er schafft sich eine Zaubermacht, die er Jesuitismus nennt, und schreibt dieser
die Erhaltung des Katholizismus zu. Die Jesuitenfnrcht ist demnach ein Volks-
aberglnube, aus der Unfähigkeit, einen natürlichen ursächlichen Zusammenhang
zu begreifen, entsprungen, und steht auf einer Stufe mit der mittelalterlichen
Erklärung der Pest aus der Brunuenvergiftuug durch Juden, mit dem heutigen
Ahlwardtismus und mit den abergläubischen Vorstellungen des katholischen
Volkes von der geheimnisvollen Macht der Freimaurer.

Nun erst wollen wir den Zweck dieser Zeilen aussprechen- Wir haben
sie nicht geschrieben, um die Jesuitophoben zu bekehren, denn gegen den Aber¬
glauben richtet die Vernunft nichts aus. Wir haben sie auch nicht geschrieben,
um die Aufhebung des Jesuitengesetzes zu empfehle», denn erstens ist es uns


Grenzboten II 1893 2K
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[0210] Zur Jesuitenfrage die Hierarchie und allen Aberglauben, der daran hängt. Es wäre gut für die Menschheit, davon befreit zu werden, aber weder Sie noch ich werden diesen Tag sehen. Jahrhunderte sind nötig, ihn herbeizuführen, und vielleicht wird dann ein neuer Aberglaube den alten ersetzen; denn ich bin überzeugt, daß der Hang zum Aberglauben mit dein Menschen geboren wird." Diese Ansicht des großen Königs wird durch nichts glänzender gerechtfertigt, als durch die Jesuitenfurcht unsrer Tage. Diese Furcht schreibt dem Jesuitenorden in Ver¬ gangenheit, Gegenwart und Zukunft Wirkungen zu, die bei der Zahl seiner Mitglieder und den ihm zur Verfügung stehenden geistigen und materiellen Mitteln auf natürliche Weise nicht erklärt werden können, die also eine Art Zaubermacht voraussetzen. Von den Entstehungsgrüuden dieses Aberglaubens, deren Darstellung eine interessante Studie abgeben würde, wollen wir hier nur einen kurz erwähnen. Der „Aufgeklärte" hält das Christentum im all¬ gemeinen und den Katholizismus im besondern für einen überwunduen Stand- Punkt und ist überzeugt, daß beide von Rechts wegen längst verschwunden sein müßten. Des historischen Sinnes ebenso bar wie gründlicher historischer Bildung, weiß er es nicht, daß es in der Religion und in der Metaphysik so wenig überwundne Standpunkte giebt wie in Sachen des Geschmacks. Wie es stets Personen geben wird, die das Saure dem Süßen und einen Höllen- breughel einem Correggio vorziehen, so wird es stets Personen geben, die sich das Absolute nur als Geist oder uur als Materie, nur persönlich oder nur unpersönlich denken können, und Personen, die für eine bestimmte unter den vielen vorhandnen Religionsformen eine unausrottbare Borliebe haben. Der Katholizismus dauert ans demselben Grunde wie der Islam und der Bud¬ dhismus fort, weil jede dieser Religionen die Herzensbedürfnisse von Millionen Menschen befriedigt, und sie werden uoch lebendig sein, wenn längst schon das undurchdringliche Dunkel ewiger Vergessenheit die Namen aller Aufklärer von Nicolai bis Nippold verschlungen haben wird. Diese auf der Hand liegende natürliche Ursache erkennt der „Aufgeklärte" nicht an, weil sie seinem Vor¬ urteil widerspricht, und so ist er denn genötigt, eine übernatürliche zu erdichten. Er schafft sich eine Zaubermacht, die er Jesuitismus nennt, und schreibt dieser die Erhaltung des Katholizismus zu. Die Jesuitenfnrcht ist demnach ein Volks- aberglnube, aus der Unfähigkeit, einen natürlichen ursächlichen Zusammenhang zu begreifen, entsprungen, und steht auf einer Stufe mit der mittelalterlichen Erklärung der Pest aus der Brunuenvergiftuug durch Juden, mit dem heutigen Ahlwardtismus und mit den abergläubischen Vorstellungen des katholischen Volkes von der geheimnisvollen Macht der Freimaurer. Nun erst wollen wir den Zweck dieser Zeilen aussprechen- Wir haben sie nicht geschrieben, um die Jesuitophoben zu bekehren, denn gegen den Aber¬ glauben richtet die Vernunft nichts aus. Wir haben sie auch nicht geschrieben, um die Aufhebung des Jesuitengesetzes zu empfehle», denn erstens ist es uns Grenzboten II 1893 2K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/210>, abgerufen am 02.10.2024.