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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich

Mit einemmale wachte ich auf, rieb mir die Augen und sah neben dein
Bette die Scherben meines Porzellanleuchters liegen, den ich vom Nachttische
geworfen hatte.

Ich stand auf und suchte die Bilder dieses wunderlichen Traumes los zu
werden; aber der Gedanke an Leopold verfolgte mich den ganzen nächsten Tag.
Erst am Abend kam ich dazu, nach der Karlstraße zu eilen, um mich nach dem
Zustande des armen Menschen zu erkundigen.

Da erfuhr ich von seiner alten Wirtin, daß Leopold ins Krankenhaus
gebracht worden sei, weil der Arzt den Ausbruch einer schweren Krankheit fest¬
gestellt habe. Diese Nachricht berührte mich um so schmerzlicher, als ich am
nächsten Morgen zu einer frohen Festlichkeit verreisen wollte. Meine glück¬
liche Lage erschien mir sast sündhaft im Vergleich zu dem traurigen Schicksal
Leopolds.

Als ich nach acht Tagen zurückkehrte, war mein erster Gang wieder nach
der Karlstraße. Frau Kmifke öffnete mir und rief händeringend, als ich in
die Küche getreten war:

Ach Gott, Sie wissen es noch nich? Er is gestorben, und gestern haben
sie ihn begraben! Sie sind ihm Wohl sehr gut gewesen, daß Sie so traurig
dastehn? Dein Menschen mußte man auch gut sein. Seit zwanzig Jahren
vermiete ich hier an Studenten, und ich kenne sie genau, aber Herr Kümmer¬
lich, das war ein Mustermensch. So was von Pünktlichkeit im Miete zahlen!
Und sein alter Vater, ach Gott, hat der alte Mann hier geweint! Gestern
nach dem Begräbnis kam er her, und da hat er hier den ganzen Nachmittag
in der Stube gesessen und hat mir von seinem Leopold erzählt, und dann nahm
er das Bild von der Mutter und steckte es in die Brusttasche, und von dem
dicken Buch hier sagte er, ich sollte es nur zu Gelde machen, dafür hätte ich
die letzte Miete. Dann ging er fort. Aber heute wollte er noch Hierbleiben
und sich die Universität, wo der Leopold immer so fleißig gelernt hat, ein
bischen ansehen.

Ich ließ mir die Adresse des alten Kümmerlich geben und suchte ihn aus.
Dann gingen wir zusammen zur Universität. Er blickte verstohlen dnrch das
Gitter auf die bunte, durcheinander wimmelnde Studentenmenge. Mein Leo¬
pold ist auch unter ihnen gewesen, sagte er mit zitternder Stimme, zog sein
buntes Taschentuch heraus und schnäuzte sich umständlich. Sie werden ihn
gewiß alle kennen!

Er redete einen schlanken jungen Herrn mit bunter Mütze an und fragte
ihn, ob er den Studiosus Leopold Kümmerlich gekannt habe. Nein, sagte der
Student, aber am schwarzen Bret steht etwas von ihm, ich habe nur flüchtig
seinen Namen gelesen.

Der Alte bat mich, ihn ans schwarze Bret zu führen; er war sehr neu¬
gierig, was wohl von Leopold dran stehe" würde, vielleicht eine Auszeichnung


Leopold Kümmerlich

Mit einemmale wachte ich auf, rieb mir die Augen und sah neben dein
Bette die Scherben meines Porzellanleuchters liegen, den ich vom Nachttische
geworfen hatte.

Ich stand auf und suchte die Bilder dieses wunderlichen Traumes los zu
werden; aber der Gedanke an Leopold verfolgte mich den ganzen nächsten Tag.
Erst am Abend kam ich dazu, nach der Karlstraße zu eilen, um mich nach dem
Zustande des armen Menschen zu erkundigen.

Da erfuhr ich von seiner alten Wirtin, daß Leopold ins Krankenhaus
gebracht worden sei, weil der Arzt den Ausbruch einer schweren Krankheit fest¬
gestellt habe. Diese Nachricht berührte mich um so schmerzlicher, als ich am
nächsten Morgen zu einer frohen Festlichkeit verreisen wollte. Meine glück¬
liche Lage erschien mir sast sündhaft im Vergleich zu dem traurigen Schicksal
Leopolds.

Als ich nach acht Tagen zurückkehrte, war mein erster Gang wieder nach
der Karlstraße. Frau Kmifke öffnete mir und rief händeringend, als ich in
die Küche getreten war:

Ach Gott, Sie wissen es noch nich? Er is gestorben, und gestern haben
sie ihn begraben! Sie sind ihm Wohl sehr gut gewesen, daß Sie so traurig
dastehn? Dein Menschen mußte man auch gut sein. Seit zwanzig Jahren
vermiete ich hier an Studenten, und ich kenne sie genau, aber Herr Kümmer¬
lich, das war ein Mustermensch. So was von Pünktlichkeit im Miete zahlen!
Und sein alter Vater, ach Gott, hat der alte Mann hier geweint! Gestern
nach dem Begräbnis kam er her, und da hat er hier den ganzen Nachmittag
in der Stube gesessen und hat mir von seinem Leopold erzählt, und dann nahm
er das Bild von der Mutter und steckte es in die Brusttasche, und von dem
dicken Buch hier sagte er, ich sollte es nur zu Gelde machen, dafür hätte ich
die letzte Miete. Dann ging er fort. Aber heute wollte er noch Hierbleiben
und sich die Universität, wo der Leopold immer so fleißig gelernt hat, ein
bischen ansehen.

Ich ließ mir die Adresse des alten Kümmerlich geben und suchte ihn aus.
Dann gingen wir zusammen zur Universität. Er blickte verstohlen dnrch das
Gitter auf die bunte, durcheinander wimmelnde Studentenmenge. Mein Leo¬
pold ist auch unter ihnen gewesen, sagte er mit zitternder Stimme, zog sein
buntes Taschentuch heraus und schnäuzte sich umständlich. Sie werden ihn
gewiß alle kennen!

Er redete einen schlanken jungen Herrn mit bunter Mütze an und fragte
ihn, ob er den Studiosus Leopold Kümmerlich gekannt habe. Nein, sagte der
Student, aber am schwarzen Bret steht etwas von ihm, ich habe nur flüchtig
seinen Namen gelesen.

Der Alte bat mich, ihn ans schwarze Bret zu führen; er war sehr neu¬
gierig, was wohl von Leopold dran stehe» würde, vielleicht eine Auszeichnung


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[0198] Leopold Kümmerlich Mit einemmale wachte ich auf, rieb mir die Augen und sah neben dein Bette die Scherben meines Porzellanleuchters liegen, den ich vom Nachttische geworfen hatte. Ich stand auf und suchte die Bilder dieses wunderlichen Traumes los zu werden; aber der Gedanke an Leopold verfolgte mich den ganzen nächsten Tag. Erst am Abend kam ich dazu, nach der Karlstraße zu eilen, um mich nach dem Zustande des armen Menschen zu erkundigen. Da erfuhr ich von seiner alten Wirtin, daß Leopold ins Krankenhaus gebracht worden sei, weil der Arzt den Ausbruch einer schweren Krankheit fest¬ gestellt habe. Diese Nachricht berührte mich um so schmerzlicher, als ich am nächsten Morgen zu einer frohen Festlichkeit verreisen wollte. Meine glück¬ liche Lage erschien mir sast sündhaft im Vergleich zu dem traurigen Schicksal Leopolds. Als ich nach acht Tagen zurückkehrte, war mein erster Gang wieder nach der Karlstraße. Frau Kmifke öffnete mir und rief händeringend, als ich in die Küche getreten war: Ach Gott, Sie wissen es noch nich? Er is gestorben, und gestern haben sie ihn begraben! Sie sind ihm Wohl sehr gut gewesen, daß Sie so traurig dastehn? Dein Menschen mußte man auch gut sein. Seit zwanzig Jahren vermiete ich hier an Studenten, und ich kenne sie genau, aber Herr Kümmer¬ lich, das war ein Mustermensch. So was von Pünktlichkeit im Miete zahlen! Und sein alter Vater, ach Gott, hat der alte Mann hier geweint! Gestern nach dem Begräbnis kam er her, und da hat er hier den ganzen Nachmittag in der Stube gesessen und hat mir von seinem Leopold erzählt, und dann nahm er das Bild von der Mutter und steckte es in die Brusttasche, und von dem dicken Buch hier sagte er, ich sollte es nur zu Gelde machen, dafür hätte ich die letzte Miete. Dann ging er fort. Aber heute wollte er noch Hierbleiben und sich die Universität, wo der Leopold immer so fleißig gelernt hat, ein bischen ansehen. Ich ließ mir die Adresse des alten Kümmerlich geben und suchte ihn aus. Dann gingen wir zusammen zur Universität. Er blickte verstohlen dnrch das Gitter auf die bunte, durcheinander wimmelnde Studentenmenge. Mein Leo¬ pold ist auch unter ihnen gewesen, sagte er mit zitternder Stimme, zog sein buntes Taschentuch heraus und schnäuzte sich umständlich. Sie werden ihn gewiß alle kennen! Er redete einen schlanken jungen Herrn mit bunter Mütze an und fragte ihn, ob er den Studiosus Leopold Kümmerlich gekannt habe. Nein, sagte der Student, aber am schwarzen Bret steht etwas von ihm, ich habe nur flüchtig seinen Namen gelesen. Der Alte bat mich, ihn ans schwarze Bret zu führen; er war sehr neu¬ gierig, was wohl von Leopold dran stehe» würde, vielleicht eine Auszeichnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/198>, abgerufen am 01.07.2024.