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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Soldatemiot

Lag das wesentlich sie, was wir bisher als Soldatemiot bezeichneten, darin,
daß das Band, das den Soldaten mit der Heimat verbinden soll, zerrissen wird,
so liegt eine weitere Not für ihn darin, daß ihm die Garnison im allgemeinen
keinen Ersatz für die Heimat bietet. Natürlich muß in erster Linie der Dienst
stehen; denn ihm gehört das Leben des Soldaten. Auch an Entbehrungen muß
der Soldat durch den Dienst gewöhnt werde". Im Felde muß er auch die Heimat
entbehren; und ihn zum tüchtigen Feldsoldaten heranzubilden muß alles Dienstes
letztes und höchstes Ziel sein. Aber auch der Mensch im Soldaten muß doch
berücksichtigt werden. Allzu scharf gespannt, platzt der Bogen. Auch der Mensch
wird durch zu starke Anspannung seiner Kräfte eher Einbuße an Kraft als
Stärkung erfahren. Wo ist für den seiner Dienstpflicht genügenden Bürger
das Stück Ruhe und Behaglichkeit, das auch der Arme sein eigen nennt?
Diese Ruhe und Behaglichkeit besteht vor allem darin, daß er die Möglichkeit
hat, einmal allein und ungestört zu sein. Der Fabrikarbeiter erfreut sich dieses
Alleinseins auch daun, wenn er sich -- und sei es mit einer Schar von Kindern
verschiednen Alters -- des Abends fern von seinen Genossen findet, wenn ihn
das Geräusch der Menschen, der Ab- und Zugehenden nicht stört. Es liegt
viel wahres darin, wenn gesagt wird, ein gut Stück der sozialen Frage sei in
der Wohnungsfrage des Arbeiters enthalten. Ist in der Arbeiterwohnung anch
nur eine Spur von Behaglichkeit vorhanden, so ist dem unsteten Wesen des
Arbeiters, dem Herumtreiben und aller damit verbundnen Gefahr gewehrt.
Was hier der allgemeinsten Zustimmung begegnet -- sollte nicht für den Sol¬
daten in der Kaserne darin so manches zu wünschen übrig sein? Ist doch das
Wort Kaserne an sich schon ein Schrecken! Der Einjährigfreiwillige, der sich nicht
gut betragen hat, wird damit bestraft, daß er einige Wochen in der Kaserne
wohnen muß! Das sagt genug. So schön sich auch neu erbaute Kasernen nach
außen vielfach ausnehmen, im Innern entbehren sie des notwendigsten. Ein
Blick in die Tageseinteilung der neu eingestellten Soldaten wird das am
besten zeigen.

Zu früher Stunde wird aufgestanden, und es beginnt der Dienst. Ge¬
wöhnlich ist die erste Stunde der Instruktion gewidmet. Der weitere Dienst,
aus Exerzircn, Turnen, Zielen bestehend, erstreckt sich, vielleicht mit einstün¬
diger Unterbrechung, bis nahe an die Mittagsstunde. Dann wird mit Hast
gegessen, denn es gilt "die Lumpen" zum Nachmittagsdienst wieder in Ord-
nung zu bringen. Vielleicht ist dieser um vier Uhr beendet; aber dann giebt
es noch Putz- und Flickstunde und zum Schluß noch einmal Instruktion. Den
jungen Soldaten nimmt das so in Anspruch, er ist so ermüdet, daß er nicht
daran denkt, etwa noch einmal auszugehen, um die Kaserne mit ihrem lauten,
unruhigen Treiben wenigstens ans kurze Zeit los zu werden. Die Müdigkeit
ist zu groß. Aber das wird ja anders nach der Einstellung in die Kompagnie.
Zwar giebt es auch da täglich anstrengenden Dienst -- und das ist in Ort-


Soldatemiot

Lag das wesentlich sie, was wir bisher als Soldatemiot bezeichneten, darin,
daß das Band, das den Soldaten mit der Heimat verbinden soll, zerrissen wird,
so liegt eine weitere Not für ihn darin, daß ihm die Garnison im allgemeinen
keinen Ersatz für die Heimat bietet. Natürlich muß in erster Linie der Dienst
stehen; denn ihm gehört das Leben des Soldaten. Auch an Entbehrungen muß
der Soldat durch den Dienst gewöhnt werde». Im Felde muß er auch die Heimat
entbehren; und ihn zum tüchtigen Feldsoldaten heranzubilden muß alles Dienstes
letztes und höchstes Ziel sein. Aber auch der Mensch im Soldaten muß doch
berücksichtigt werden. Allzu scharf gespannt, platzt der Bogen. Auch der Mensch
wird durch zu starke Anspannung seiner Kräfte eher Einbuße an Kraft als
Stärkung erfahren. Wo ist für den seiner Dienstpflicht genügenden Bürger
das Stück Ruhe und Behaglichkeit, das auch der Arme sein eigen nennt?
Diese Ruhe und Behaglichkeit besteht vor allem darin, daß er die Möglichkeit
hat, einmal allein und ungestört zu sein. Der Fabrikarbeiter erfreut sich dieses
Alleinseins auch daun, wenn er sich — und sei es mit einer Schar von Kindern
verschiednen Alters — des Abends fern von seinen Genossen findet, wenn ihn
das Geräusch der Menschen, der Ab- und Zugehenden nicht stört. Es liegt
viel wahres darin, wenn gesagt wird, ein gut Stück der sozialen Frage sei in
der Wohnungsfrage des Arbeiters enthalten. Ist in der Arbeiterwohnung anch
nur eine Spur von Behaglichkeit vorhanden, so ist dem unsteten Wesen des
Arbeiters, dem Herumtreiben und aller damit verbundnen Gefahr gewehrt.
Was hier der allgemeinsten Zustimmung begegnet — sollte nicht für den Sol¬
daten in der Kaserne darin so manches zu wünschen übrig sein? Ist doch das
Wort Kaserne an sich schon ein Schrecken! Der Einjährigfreiwillige, der sich nicht
gut betragen hat, wird damit bestraft, daß er einige Wochen in der Kaserne
wohnen muß! Das sagt genug. So schön sich auch neu erbaute Kasernen nach
außen vielfach ausnehmen, im Innern entbehren sie des notwendigsten. Ein
Blick in die Tageseinteilung der neu eingestellten Soldaten wird das am
besten zeigen.

Zu früher Stunde wird aufgestanden, und es beginnt der Dienst. Ge¬
wöhnlich ist die erste Stunde der Instruktion gewidmet. Der weitere Dienst,
aus Exerzircn, Turnen, Zielen bestehend, erstreckt sich, vielleicht mit einstün¬
diger Unterbrechung, bis nahe an die Mittagsstunde. Dann wird mit Hast
gegessen, denn es gilt „die Lumpen" zum Nachmittagsdienst wieder in Ord-
nung zu bringen. Vielleicht ist dieser um vier Uhr beendet; aber dann giebt
es noch Putz- und Flickstunde und zum Schluß noch einmal Instruktion. Den
jungen Soldaten nimmt das so in Anspruch, er ist so ermüdet, daß er nicht
daran denkt, etwa noch einmal auszugehen, um die Kaserne mit ihrem lauten,
unruhigen Treiben wenigstens ans kurze Zeit los zu werden. Die Müdigkeit
ist zu groß. Aber das wird ja anders nach der Einstellung in die Kompagnie.
Zwar giebt es auch da täglich anstrengenden Dienst — und das ist in Ort-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/15>, abgerufen am 23.07.2024.