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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Soldatennot

Verhältnisse so sind, daß der Esser mehr im Hau.se für sie nicht etwa eine Last
ist. In den armen Gegenden im Osten ist die arbeitslose Zeit im Winter, die
vom dienstlichen Standpunkt die geeignetste Urlaubszeit ist, durchaus nicht die
dazu geeignetste Zeit auch sür das Elternhaus des Soldaten, Ob im einzelnen
Fall nicht eine Heimreise des Soldaten aus den angedeuteten Gründen besser
unterbleibt, wird der Truppenteil dnrch die Ortsbehörde leicht erfahren können.
Aber jedenfalls sollte dem Soldaten als sein gutes Recht der Anspruch zustehen,
wenigstens einmal während seiner Dienstzeit, nötigenfalls auf Kosten der Heeres¬
verwaltung, vierzehn Tage laug der Heimat wiedergegeben zu sein. Sicherlich ist
nicht etwa Engherzigkeit der Heeresverwaltung, sondern allein die Rücksicht auf
das liebe Geld Ursache des Mangels einer derartigen gesetzlichen Bestimmung.
Aber gerade hier ist Abhilfe leicht, denn die Eisenbahnen gehören doch zum
größten Teil dem Staate. Immer finden sich -- besonders in den durchgehenden
Zügen -- leere Plätze; ja es ist ein viel erörterter Übelstand, daß die Plätze bei den
heute herrschenden Einrichtungen zu wenig ausgenutzt werden. Man könnte doch
an Zügen, die sonst keine dritte Klasse führen, in der Weihnachtszeit, die für den
Urlaub am meisten in Betracht käme, ein paar Wagen dritter Klasse einfügen und
die so gewonnenen, der Anzahl nach streng begrenzten Plätze der Militärverwaltung
zur Verfügung stellen. Das muß sich bei gutem Willen ermöglichen lassen.
Bestimmte, im Verhältnis zu dem Raum, den sie einnehmen, wenig wertvolle
Güter, z. B. Düngstoffe, bekommen ausnahmsweise billige Frachtsätze berechnet,
da sonst der Transport nicht lohnt. Warum sollte nicht auch ein ganz billiger
Frachtsatz für Menschen, die dem Staate dienen, ans Bahnen, die dem Staate
gehören, eingerichtet werden können? Der einzelne Regimentskommandeur kann
hier natürlich nicht viel thun. Er scheut einen besondern Antrag, wenn er
es auch noch so gut mit seinen Soldaten meint und noch so fest überzeugt
ist, daß hier eine dringende Notwendigkeit vorliege; bei dem augenblicklichen
freilich sehr berechtigten und notwendigen Spnrsystem weiß er den Bescheid
vorher. Die ihm etwa zur Verfügung stehenden Kantinenersparnisse sind zur
Kaisersgeburtstagsfeier und zu andern Zwecken zu notwendig, als daß zu
Gunsten eines Teiles der Mannschaften Beihilfen zur Ermöglichung von Ur¬
laubsreifen gewährt werden könnten. Und wenn schließlich ein einzelner Truppen¬
teil den Anfang damit machte, seinen aus großer Ferne stammenden Mann-
schaften durch genügenden Zuschuß eine einmalige Urlaubsreise zu vermitteln,
der nächste Kommandeur denkt vielleicht anders, und die Sache bleibt liegen.

Hier ist offenbar ein Stück Soldatennot. Wer zu ihrer Hebung an zu¬
ständiger Stelle -- und das ist das Parlament und die Presse -- seine
Stimme erhebt, der wird sich den Dank vieler Soldaten, Väter, Mütter u. s. w
und nicht zum mindesten der Militärverwaltung selbst erwerben; denn diese
wird eine Maßregel, durch die ihr die Mittel in die Hand gegeben werden,
einem brennenden Bedürfnis abzuhelfen, mit Freuden begrüßen. Die Erörterung


Soldatennot

Verhältnisse so sind, daß der Esser mehr im Hau.se für sie nicht etwa eine Last
ist. In den armen Gegenden im Osten ist die arbeitslose Zeit im Winter, die
vom dienstlichen Standpunkt die geeignetste Urlaubszeit ist, durchaus nicht die
dazu geeignetste Zeit auch sür das Elternhaus des Soldaten, Ob im einzelnen
Fall nicht eine Heimreise des Soldaten aus den angedeuteten Gründen besser
unterbleibt, wird der Truppenteil dnrch die Ortsbehörde leicht erfahren können.
Aber jedenfalls sollte dem Soldaten als sein gutes Recht der Anspruch zustehen,
wenigstens einmal während seiner Dienstzeit, nötigenfalls auf Kosten der Heeres¬
verwaltung, vierzehn Tage laug der Heimat wiedergegeben zu sein. Sicherlich ist
nicht etwa Engherzigkeit der Heeresverwaltung, sondern allein die Rücksicht auf
das liebe Geld Ursache des Mangels einer derartigen gesetzlichen Bestimmung.
Aber gerade hier ist Abhilfe leicht, denn die Eisenbahnen gehören doch zum
größten Teil dem Staate. Immer finden sich — besonders in den durchgehenden
Zügen — leere Plätze; ja es ist ein viel erörterter Übelstand, daß die Plätze bei den
heute herrschenden Einrichtungen zu wenig ausgenutzt werden. Man könnte doch
an Zügen, die sonst keine dritte Klasse führen, in der Weihnachtszeit, die für den
Urlaub am meisten in Betracht käme, ein paar Wagen dritter Klasse einfügen und
die so gewonnenen, der Anzahl nach streng begrenzten Plätze der Militärverwaltung
zur Verfügung stellen. Das muß sich bei gutem Willen ermöglichen lassen.
Bestimmte, im Verhältnis zu dem Raum, den sie einnehmen, wenig wertvolle
Güter, z. B. Düngstoffe, bekommen ausnahmsweise billige Frachtsätze berechnet,
da sonst der Transport nicht lohnt. Warum sollte nicht auch ein ganz billiger
Frachtsatz für Menschen, die dem Staate dienen, ans Bahnen, die dem Staate
gehören, eingerichtet werden können? Der einzelne Regimentskommandeur kann
hier natürlich nicht viel thun. Er scheut einen besondern Antrag, wenn er
es auch noch so gut mit seinen Soldaten meint und noch so fest überzeugt
ist, daß hier eine dringende Notwendigkeit vorliege; bei dem augenblicklichen
freilich sehr berechtigten und notwendigen Spnrsystem weiß er den Bescheid
vorher. Die ihm etwa zur Verfügung stehenden Kantinenersparnisse sind zur
Kaisersgeburtstagsfeier und zu andern Zwecken zu notwendig, als daß zu
Gunsten eines Teiles der Mannschaften Beihilfen zur Ermöglichung von Ur¬
laubsreifen gewährt werden könnten. Und wenn schließlich ein einzelner Truppen¬
teil den Anfang damit machte, seinen aus großer Ferne stammenden Mann-
schaften durch genügenden Zuschuß eine einmalige Urlaubsreise zu vermitteln,
der nächste Kommandeur denkt vielleicht anders, und die Sache bleibt liegen.

Hier ist offenbar ein Stück Soldatennot. Wer zu ihrer Hebung an zu¬
ständiger Stelle — und das ist das Parlament und die Presse — seine
Stimme erhebt, der wird sich den Dank vieler Soldaten, Väter, Mütter u. s. w
und nicht zum mindesten der Militärverwaltung selbst erwerben; denn diese
wird eine Maßregel, durch die ihr die Mittel in die Hand gegeben werden,
einem brennenden Bedürfnis abzuhelfen, mit Freuden begrüßen. Die Erörterung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/13>, abgerufen am 23.07.2024.